Rösler gegen Pharmaindustrie:Kostenbremse mit Schönheitsfehler

Gesundheitsminister Rösler will die Marktmacht der Pharmakonzerne beschränken. Sein Ansatz ist richtig - doch er überfordert die kleinen Kassen.

Guido Bohsem

Was die Gesundheitsversorgung angeht, ist Deutschland seltsam. Wohl keine andere Nation ist so zufrieden mit seinen Ärzten, Kliniken und Krankenkassen. Alles in allem finden die Deutschen ihr System prima. Gleichzeitig aber hegen die Bürger die Überzeugung, dass eben dieses Gesundheitssystem kurz vor dem Zusammenbruch steht. Beides - hohes Vertrauen und tiefe Sorge - teilen sie den Meinungsforschern in schöner Regelmäßigkeit an. Man könnte sagen, in Bezug auf das Gesundheitssystem herrscht hierzulande eine Art kollektive Identitätsstörung. Das wäre nicht weiter schlimm, hätte dieser Befund nicht zur Folge, dass Debatten über das Gesundheitssystem den hysterischen Ton einer Fernseh-Talkshow annehmen. Schnell geht es nicht mehr nur um Leben und Tod. Es geht um mehr.

Die seltsame Befindlichkeit der Deutschen hat zwei Gründe: Das in Jahrzehnten immer wieder korrigierte System ist für Nicht-Experten kaum noch zu durchschauen und ist gleichzeitig von enormen Wirtschaftsinteressen geprägt. Auf 234 Milliarden Euro beläuft sich der Umsatz. Keine Branche im Land ist größer. Eins bedingt das andere: Gerade weil die ökonomischen Interessen so gewaltig sind, steigt die Regeldichte des Systems in jeder Legislaturperiode. Im Ergebnis weiß der Bürger die meiste Zeit nicht, was vorgeht. Immer aber hat er den Eindruck, es geschehe zu seinen Lasten.

Obwohl es viele behaupten, will kaum jemand diesen Zustand ändern. Denn auf Basis der allgemeinen Verunsicherung lässt sich bestens Stimmung machen gegen die jeweils neueste Reform der gerade amtierenden Regierung. Die aktuelle Debatte über die Regulierung der Arzneimittelpreise zeigt dies nahezu lehrbuchhaft. Kaum sind die ersten groben Überlegungen des Gesundheitsministeriums bekannt, sammelt sich die Pharmaindustrie zum wuchtigen Protest. Da ist von Planwirtschaft die Rede, von teurem Unsinn, schlecht gesetzten Anreizen und widersinnigen Regulierungen.

Das sind Phrasen. Sie dienen nur einem Zweck - auch in Zukunft weiter gutes Geld verdienen zu können. Das ist legitim, denn die Pharmaindustrie hat ja keinen gesellschaftlichen Auftrag. Ihre Unternehmen wollen Gewinne machen, genauso wie Automobilhersteller oder Software-Riesen. Das ist nicht einfach, kostet es doch lange Forschung und millionenschwere Investitionen, um ein neues Medikament zu entwickeln. Und dennoch: Die Renditen der Arzneimittelhersteller im deutschen Markt sind gewöhnlich derart hoch, dass sogar Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann vor Neid erblassen müsste.

Dazu muss man wissen, dass die Krankenkassen hierzulande verpflichtet sind, jedes zugelassene Medikament zu erstatten. Das alleine ist schon günstig für die Industrie. Besonders lukrativ aber sind die Bedingungen für neu entwickelte, sogenannte innovative Arzneien. Hier sind die Kassen nicht nur zum Kauf verpflichtet. Sie müssen auch den Preis zahlen, den ihnen das Unternehmen vorgibt. Alles, was es für dieses Geschäft sonst noch braucht, ist ein Arzt, der die Medikamente verschreibt.

Und damit das geschieht, hat die Industrie ein feines Netzwerk gesponnen. Da geht es um kostenlose Fortbildungen, Gratis-Software für die Praxis und andere Vergünstigungen. In der Konsequenz steigen die Arzneimittelausgaben seit Jahren kontinuierlich, zuletzt um knapp fünf Prozent auf gut 29 Milliarden Euro - allen Spargesetzen und zwei Dutzend Preisregulierungen zum Trotz.

Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) strebt nun eine Neuordnung des Systems an. Er will die Marktmacht der Industrie einschränken. Grob gesprochen soll es den Kassen künftig erlaubt werden, über den Preis der Medikamente zu verhandeln. Gibt es keine Einigung, soll ein staatliches Institut den Nutzen bewerten und einen Preis festlegen.

Das ist zweifellos ein Fortschritt, aber dennoch zu kurz gesprungen. Es würde insbesondere die kleinen Kassen benachteiligen, wenn sie in direkte Verhandlungen mit der Pharmaindustrie treten müssten. Denn ihnen fehlen im Zweifel die Fachleute, die den zusätzlichen Nutzen eines Medikaments tatsächlich beurteilen könnten. Umgekehrt könnten die Versicherer eine übergroße Marktmacht aufbauen, wenn sie sich zusammenschlössen und als Kassenkartell mit den Herstellern verhandelten. Insgesamt käme es zu einem Verfahren, das sehr viel Aufwand verursachen und die Bürokratie der Kassen weiter aufblähen würde.

Die einfachste und beste Regelung liegt auf der Hand, bricht aber mit der deutschen Tradition: Das eigens für diese Aufgabe geschaffene Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitsministerium sollte alle Medikamente auf das Verhältnis von Kosten und Nutzen prüfen, bevor die Kassen dazu verpflichtet werden, sie zu bezahlen. Auf Grundlage dieser Ergebnisse sollte es dann Preisverhandlungen geben.

Das würde die Kosten des Systems dauerhaft senken. Zugegeben, dadurch dauert es länger, bis die Patienten ein neues Medikament erhalten. Wenn man bedenkt, dass es gut zehn Jahre braucht, ein Arzneimittel zu entwickeln, relativiert sich dieses Argument. In Großbritannien funktioniert dieses Vorgehen übrigens seit Jahren und zwar ganz ohne Hysterie.

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