Renten:Das große Missverständnis Solidarität

Ein Plädoyer gegen die Rentengarantie: Wenn die Löhne der Arbeitnehmer sinken, müssen auch die Rentner kürzertreten.

Axel Börsch-Supan

An diesem Freitag soll der Bundestag über eine "ewige Rentengarantie" abstimmen. Egal, wie sich die Einkommen der Arbeitnehmer entwickeln, und unabhängig davon, welche Lasten die Demographie der jüngeren Generation aufbürdet, soll eine Schutzklausel eingeführt werden, die Rentenkürzungen ein für allemal verbietet.

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Einseitige Verteilung der Lasten? 100 Tage vor der Wahl will der Bundestag eine "ewige Rentengarantie" beschließen.

(Foto: Foto: AP)

Wie schön ist das gedacht von unserem Arbeitsminister, auf die Stunde genau 100 Tage vor der Bundestagswahl. Die Renten werden endlich wirklich sicher. Noch schöner wäre es natürlich gewesen, der Arbeitsminister hätte auch gleich verboten, dass die Summe aller an die Arbeitnehmer ausbezahlten Löhne sinken darf. Dann wären auch die Arbeitseinkommen endlich wirklich sicher geworden.

Leider funktioniert so weder eine Volkswirtschaft noch ein soziales Sicherungssystem. Rentenempfänger und Beitragszahler sitzen in einem Boot. Alles, was an sozialen Leistungen ausbezahlt werden soll, muss von den Beitrags- und Steuerzahlern erwirtschaftet werden.

Sinkt die Wirtschaftsleistung, müssen entweder die Renten sinken, die Beiträge steigen oder es muss ein wenig von beidem passieren. Einseitige Garantien für die eine Seite bedeuten einseitige Belastungen für die andere Seite.

Solidarität ist keine Einbahnstraße

Die Kernidee der 1957 eingeführten dynamischen Renten war, dass die Rentner am Lohnwachstum der Arbeitnehmer beteiligt werden. Das wurde als ein Gebot der Solidarität verstanden. Solidarität ist aber keine Einbahnstraße. Der Grundsatz der dynamischen Rente bedeutete daher immer auch, dass die Renten in dem Ausmaß sinken müssen, in dem die Arbeitnehmerlöhne zurückgehen. Dank des aus historischer Perspektive spektakulären Lohnwachstums der vergangenen 50 Jahre ist dieser Fall jedoch noch nie eingetreten.

Dies könnte sich aufgrund der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise nun ändern. Zum ersten Mal prognostizieren die führenden Wirtschaftsinstitute einen Rückgang der beitragspflichtigen Einkommen pro Arbeitnehmer - und zwar um mehr als zwei Prozent.

Das ist noch mäßig in Anbetracht eines Einbruchs der gesamten Wirtschaftsleistung um etwa sechs Prozent, wie es die Bundesbank und die Institute für dieses Jahr befürchten, denn einen großen Anteil am Rückgang des Bruttoinlandsprodukts müssen diejenigen tragen, die arbeitslos werden.

Es war also einigermaßen zynisch, von Solidarität zwischen den Generationen zu sprechen, als der Arbeitsminister entschied, dass die Arbeitnehmergeneration per Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen die gesamte Last der Wirtschaftskrise tragen soll, während eine Garantie die Rentnergeneration verschonen möge.

Wider besseren Wissens

Die Bundesregierung betont immer noch, diese Garantie bestehe ja nur auf dem Papier, da der Fall einer Lohnsenkung ohnehin nicht eintreten würde. Sie verweist auf ihre letzte Prognose, die in der Tat von einem glimpflichen Verlauf der Wirtschaftskrise ausgeht.

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Findet, die Rentengarantie belaste einseitig die jüngere Generation: Axel Börsch-Supan.

(Foto: Foto: ddp)

Die Welt hat sich jedoch seitdem geändert, und leider nicht zum Besseren. Die Entwicklung des letzten Quartals war schlimmer als erwartet. Bundesbank und Institute haben ihre Prognosen revidiert. Es ist unredlich, wenn die Bundesregierung nun Gesetze schmiedet, deren Kosten sie wider besseres Wissen ignoriert, weil es nur noch hundert Tage bis zur Wahl sind.

Die Kosten einer Rentengarantie für die Beitragszahler sind keineswegs gering. Folgt man der Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsinstitute, lägen die Kosten einer Rentengarantie bei 0,5 Prozentpunkten des Beitragssatzes. Bei pessimistischeren Annahmen für die Löhne (und daher optimistischeren Annahmen über die Arbeitslosigkeit) würden die Kosten höher ausfallen: circa 0,8 Prozentpunkte. Dies entspricht 240 Euro im Jahr für den Durchschnittsverdiener.

Erstaunlicherweise unterstützen die Gewerkschaften eine Rentengarantie. Ihr Argument ist, dass die Kaufkraft der Rentner damit gestärkt wird. Aber dies ist schon aus rein buchhalterischen Gründen falsch. Denn was den Rentnern mehr gegeben wird, muss man den Arbeitnehmern per Beitragssatzerhöhung wieder wegnehmen. Deren Kaufkraft sinkt dementsprechend. Es ist eindrucksvoll, welch eine zutiefst arbeitnehmerfeindliche Politik die Gewerkschaften mittlerweile vertreten.

Manche argumentieren, dass man eine Beitragssatzerhöhung vermeiden könnte, wenn man anstatt der Beiträge den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung erhöhen würde. Als ob das eine Lösung des Dilemmas wäre!

Der Bundeszuschuss fällt ja schließlich nicht vom Himmel - er muss aus Steuern finanziert werden. Die zukünftigen Beitragszahler sind aber auch die zukünftigen Steuerzahler, und denen ist es ziemlich egal, ob sie ihren Obolus per Beitrag oder per Steuer entrichten müssen, denn ihr Portemonnaie wird gleich geschmälert.

Völlig bauernfängerisch ist das Argument, dass man das geplante und heute zur Abstimmung stehende Rentenkürzungsverbot mit einem weiteren "Nachholfaktor" wieder ausgleichen wird. Wie alle guten Vorsätze sind solche Versprechen nur deswegen attraktiv, weil man sie heute noch nicht einlösen muss.

Die Einführung eines zusätzlichen Nachholfaktors ist zwar im Prinzip richtig, aber unglaubwürdig, da es bereits deren viele gibt - vier sind es mittlerweile. Selbst Fachleute wissen kaum noch, welche aus kurzfristigem Populismus aufgehobene Regel wann wieder ausgeglichen werden soll. Derzeit würde die konsequente Abarbeitung aller Nachholfaktoren bis circa 2021 dauern. Wie viele Wahlen wird es bis dahin geben mit der Versuchung, das Aufarbeiten wieder etwas weiter nach hinten zu verschieben?

Ungedeckter Scheck auf die Zukunft

Die Rentengarantie ist ein weiterer ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Sie bewirkt eine milliardenschwere Umverteilung von Jung nach Alt und vergrößert die Nachhaltigkeitslücke, die man seit 2001 mit Mühe versucht hat zu verringern.

Zudem schürt das Vorhaben unhaltbare Illusionen und ist deswegen unseriös. Ewigkeitsgarantien, die von anderen finanziert werden sollen, sind langfristig nicht einhaltbar. Nicht einhaltbare Versprechungen unterminieren aber das ohnehin bröckelnde Vertrauen in die wichtige Institution Rentenversicherung. Der Bundestag sollte den Mut haben, sich auf den Grundgedanken der dynamischen Rente zu besinnen, gegenseitige Solidarität ernst zu nehmen und gegen das unseriöse Versprechen einer ewigen Rentengarantie zu stimmen.

Professor Axel Börsch-Supan ist Direktor des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demographischer Wandel (MEA).

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