Rente mit 69:Gute Idee - schlechter Zeitpunkt

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Die Deutschen werden immer älter, gleichzeitig gibt es zu wenige Rentenzahler: Die Rente mit 69 ist richtig. Nur die Debatte kommt zu früh.

Claus Hulverscheidt

Betrachtet man es rein mathematisch, dann hat die Deutsche Bundesbank mit ihrer Forderung nach der Rente mit 69 völlig recht. Wenn die Lebenserwartung weiter steigt, die Zahl der jungen Menschen aber gleichzeitig sinkt, dann kann das für das Renteneintrittsalter nur eines heißen: Es muss rauf. Passiert das nicht, werden in Zukunft immer mehr Bürger für immer längere Zeit in die Rentenkasse greifen - und das bei sinkenden Beitragseinnahmen. Man muss kein Rechengenie sein, um zu verstehen, dass das auf Dauer nicht funktionieren kann.

Senior am Meer: Die Bundesbank plädiert für die Rente mit 69. (Foto: Foto: Photocase/janiszinke)

Natürlich gibt es Alternativen. Ihnen allen ist aber gemein, dass sie bei näherem Hinsehen nichts taugen. So könnten etwa die Rentenbeiträge immer weiter angehoben werden. Das würde aber die Netto-Einkommen der Arbeitnehmer massiv senken und die Arbeitskosten der Betriebe ebenso kräftig steigern.

Den gleichen Effekt hätte eine Anhebung des Rentenzuschusses, der nur über Steuererhöhungen zu finanzieren wäre. Viele Experten und auch viele Rentner unterschlagen gerne, dass es diesen Zuschuss überhaupt gibt. Tatsächlich aber muss der Bund aus seinem Haushalt pro Jahr 80 Milliarden aufbringen, damit die Ruheständler ihr Geld bekommen. Das ist jeder dritte Steuer-Euro. Die letzte Möglichkeit wären Rentenkürzungen, die vielen Senioren aber nicht zuzumuten und politisch auch nicht durchsetzbar wären.

Es spricht also praktisch alles dafür, der Idee der Bundesbank zu folgen - und doch ist sie, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, falsch: aus politischen, aus gesellschaftlichen und aus staatsrechtlichen Erwägungen.

Der gewichtigste Grund ist der politische. Es war eine der wenigen herausragenden Entscheidungen der großen Koalition, das Renteneintrittsalter in einem mehr als 20-jährigen Prozess von heute 65 auf 67 Jahre anzuheben. Dieser Beschluss, gegen den es bis heute Widerstände gibt, wird desavouiert, wenn man jetzt noch draufsatteln will. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die größten Reformverhinderer nicht allein die Ewiggestrigen sind. Es sind auch diejenigen, die die Reformlokomotive immer weiter beschleunigen wollen und dabei übersehen, dass am Ende des Zuges die Waggons aus den Gleisen springen.

Aber nicht nur politisch, auch gesamtgesellschaftlich betrachtet, mangelt es der Bundesbank am nötigen Feingefühl. Sie übersieht, dass es bis heute in der Vorstellungswelt vieler Manager für Menschen mit 67 oder 69 Jahren schlicht keine Arbeitsplätze gibt. Erst wenn die Wirtschaft in dieser Frage umdenkt - und die Demographie wird sie dazu zwingen - ergibt eine neuerliche Debatte über das Rentenalter Sinn.

Und schließlich: Die Bundesbank weist seit jeher jeden noch so lapidaren Ratschlag aus der Politik als Anschlag auf ihre Unabhängigkeit zurück. Sie macht sich aber angreifbar, wenn sie selbst im Gegenzug der Politik öffentlich Nachhilfestunden erteilt.

Richtig ist: Die Rente mit 69 muss diskutiert werden - aber in zehn Jahren und ohne Beteiligung der Zentralbanker.

© SZ vom 22.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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