Rente mit 67:"... da ist noch nicht alles zu Ende"

Mercedes-Benz S-Class Assembly At Sindelfingen Plant

Ein Mitarbeiter der Daimler AG kontrolliert einen Mercedes-Benz S-Klasse

(Foto: Getty Images)

Bis ins Alter gesund, trotz aller Belastung? Wird die ältere Generation verklärt oder herablassend behandelt? Haben Ältere tatsächlich keine Chance auf dem Arbeitsmarkt? Ein Soziologe, ein Jobvermittler und ein Arzt antworten.

Von Jannis Brühl, Oliver Hollenstein und Matthias Huber

Länger arbeiten zu müssen, macht den Menschen Angst: Viele fürchten, nicht bis zum erhöhten Rentenalter von 67 Jahren durchzuhalten, ergab eine Umfrage des DGB. Ein Wirtschaftssoziologe, ein Arbeitsmediziner und ein Jobforscher antworten auf die drängendsten Fragen.

Stephan Lessenich ist Professeor für Soziologie in Jena und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Er erforscht unter anderem, wie sich Selbst- und Fremdbilder von älteren Menschen in der Gesellschaft verändern.

Süddeutsche.de: Herr Lessenich, noch vor wenigen Jahren gingen viele Arbeitnehmer mit 57 Jahren in Frührente. Nun gilt die Rente mit 67 Jahren. Auf der anderen Seite gilt ein Arbeitnehmer, der älter ist als 50 Jahre, heute ja schon als alt und schwer vermittelbar. Haben wir heute nicht ein reichlich paradoxes Bild vom Alter?

Stephan Lessenich: In der Tat ist der gegenwärtige gesellschaftliche Umgang mit dem Alter in hohem Maße widersprüchlich. Einerseits werden ältere Menschen politisch - aber auch medial - durchweg als "junge Alte" dargestellt und angesprochen: Da wird dann regelmäßig behauptet, die Älteren seien heute durchweg gesünder, gebildeter, wohlhabender als früher und hätten daher durchaus noch produktiv zu nutzende Ressourcen - könnten beispielsweise deutlich länger arbeiten als vor einigen Jahrzehnten. Dabei wird weder berücksichtigt, dass sich die Arbeitsbedingungen in dieser Zeit strukturell verändert haben, noch kommt zur Sprache, dass die sozialen Lagen im Alter selbstverständlich genauso unterschiedlich und ungleich sind wie in anderen Lebensphasen. Man kann also gar nicht pauschal von "den" Alten sprechen. Andererseits werden die Leute tatsächlich ab 50 zu den arbeitsmarktpolitischen Problemgruppen gezählt, etwa wenn sie nach diesem Alter den Job verlieren. Und überhaupt gibt es vielfältige Formen der alltäglichen, hierzulande aber praktisch nicht thematisierten Altersdiskriminierung, die so gar nicht zu dem Bild des wertvollen Alters passen wollen, das rund um die Rente mit 67 gezeichnet wird.

In den kommenden Jahren ist die Entwicklung recht eindeutig: Die Alten werden immer mehr, die Jungen immer weniger. Sind wir darauf vorbereitet? Oder droht die Kluft zwischen Jung und Alt noch größer zu werden?

Ja, wir werden einen Wandel der Altersstruktur erleben - doch es gibt keinen Grund, diese absehbare Entwicklung zu dramatisieren. Schon die übliche öffentliche Rede von "immer mehr" Alten und "immer weniger" Jungen klingt nach Endzeitszenarien und Katastrophenfilmen. Es herrschen nach jahrelanger politisch-medialer Problematisierung des demographischen Wandels bei vielen Menschen auch ganz übertriebene Vorstellungen davon, wie viele Ältere auf wie viele Jüngere künftig kommen werden - als seien die Alten irgendwann in der Überzahl. Dahinter steht unsere an den Bildern bröckelnder "Bevölkerungspyramiden" geschulte Überzeugung, es gäbe eine natürliche, "gesunde" Alterszusammensetzung, zu der wir irgendwie wieder zurück müssten, mit Gebärprämien, Kinderfreundlichkeitspropaganda und anderen Instrumenten. Meine kurze Antwort lautet: Nein, diese Gesellschaft ist mental nicht darauf vorbereitet, in einer Gesellschaft mit mehr älteren Menschen zu leben, weil sie einstweilen immer noch ihre negativen Altersbilder pflegt.

Was müsste sich ändern, damit wir die Stärken älterer und jüngerer Arbeitnehmer künftig in Unternehmen und in der Gesellschaft besser zusammenbringen können?

Wie gesagt: zunächst einmal unser Bild des Alters. Die Frage der unterschiedlichen Stärken älterer und jüngerer Beschäftigter ist hierfür ein gutes Beispiel: In jüngerer Zeit werden arbeitspolitisch die Kompetenzen der Älteren "entdeckt". Aber wenn man sich die positiv gemeinte Beschreibung älterer Arbeitnehmer genauer ansieht, dann werden ihnen stets Kompetenzen wie Erfahrung, Übersicht, Abgeklärtheit zugeschrieben - nie aber solche, die man eben immer nur den Jüngeren unterstellt: Kreativität, Innovativität, Flexibilität, sprich all diejenigen Fähigkeiten, die im flexiblen Kapitalismus der Gegenwart gefragt sind. Auch hier wird das Alter konsequent als das Andere der Jugend konstruiert - um dann eine Generationensolidarität im Unternehmen oder in der Gesellschaft zu beschwören, die man damit selbst schon als gefährdet behauptet. Statt "die Alten" immer nur auf und an "die Jungen" zu verweisen, sollte man einfach mal damit beginnen, das Alter und die älteren Menschen an und für sich genauso zu schätzen und ernst zu nehmen wie jedes andere Lebensalter und jede andere Bevölkerungsgruppe auch.

Interview: Oliver Hollenstein

Wohin mit den Alten? Ein Arbeitsvermittler erzählt

Nicht nur die Sorge um die eigene die Gesundheit macht älteren Arbeitnehmern zu schaffen. Viele fürchten sich auch davor, nach ihrem 50. Lebensjahr ihren Job zu verlieren - und keine neue Anstellung zu finden. Laut einem Arbeitsvermittler der Arbeitsagentur München, der auf die Integration schwer vermittelbarer Arbeitssuchender spezialisiert ist, ist diese Sorge jedoch im Normalfall unbegründet. Er bleibt hier anonym, um das Vertrauensverhältnis zu den Arbeitssuchenden nicht zu gefährden.

"Man kann nicht pauschal sagen, dass es ältere Arbeitssuchende schwerer haben. Das hängt ganz von der Branche ab. Wenn jemand beispielsweise im Marketing - ein sehr junger, dynamischer Markt - eine leitende Position sucht und bereits die Fünf vorne dransteht, dann kann das schon schwierig sein. Andererseits ist zum Beispiel ein 62-jähriger Ingenieur sehr leicht wieder integrierbar - wegen seiner langjährigen Erfahrung. Andere machen sich in diesem Alter noch sehr erfolgreich selbständig.

Problematischer ist es in Branchen, in denen schwere körperliche Arbeit anfällt. Da muss der Arbeitssuchende bereit sein, auch in diesem Alter noch neue Qualifikationen zu erwerben. Aber diese Bereitschaft müssen alle bringen. Dann können wir ihnen helfen, wieder in den Markt einzutauchen. Grundsätzlich gilt das einfache Argument: Sie gehören in diesem Alter zu den geschätztesten Arbeitnehmern, ohne 'Kinderkrankheiten', aber mit der nötigen Erfahrung und Qualifikation. Das ist alles eine Frage der richtigen Vermarktungsstrategie.

Man muss also keine Angst davor haben, ab einem gewissen Alter keinen Arbeitsplatz mehr zu finden. Daran wird auch das erhöhte Rentenalter mit 67 nichts ändern. Dann wird sich zwar unser Auftrag des Vermittelns und Coachings noch intensivieren. Aber wir begleiten jeden individuell, damit er wieder in den Arbeitsmarkt findet.

Wichtig ist, dass man bereit ist, sich auf etwas Neues einzulassen. Und dass man Selbstkritik übt und die richtigen Fragen stellt: Was verlangt der Markt von mir? Passe ich zu dem Unternehmen, bei dem ich mich bewerbe? Auch kurz vor der Rente, mit 62 oder dann mit 65 Jahren, ist noch nicht alles zu Ende."

Protokoll: Matthias Huber

Haben ältere Mitarbeiter noch den Durchblick? Ein Betriebsarzt antwortet

Muskelschwäche, schlechtere Augen, hoher Blutdruck: Im Alter sind viele Angestellte mit körperlichen Problemen konfrontiert. Die Einführung der Rente mit 67 macht vielen Sorge, ob sie es bis dahin gesundheitlich schaffen. Dem Verband der Betriebs- und Werksärzte zufolge steigen vor allem Rücken- und Knieerkrankungen mit dem Alter deutlich an - zumindest in gering qualifizierten körperlichen Jobs und Dienstleistungeberufen. Unter Managern und Ingenieuren liegt dieses Risiko deutlich niedriger. Ein Gespräch mit Wolfgang Panter, Leitender Betriebsarzt bei Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH und Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte.

Süddeutsche.de: Herr Panter, viele Menschen haben Angst, körperlich nicht bis 67 arbeiten zu können. Macht langes Arbeiten krank?

Wolfgang Panter: Wenn Arbeit richtig gestaltet wird, wirkt sie positiv auf Seele und Körper. Aber: Die Bedingungen müssen stimmen. Wir müssen der Prävention einen ganz anderen Stellenwert beimessen. Und wir müssen über Führung in Unternehmen reden. Mitarbeiter müssen heute mitgenommen werden und das Gefühl haben, fair behandelt zu werden.

Welche Beschwerden sehen Sie am häufigsten?

Das hängt davon ab, wo Menschen arbeiten. Nehmen wir einen Bauarbeiter, der auch bei zwei Grad im Nieselregen draußen arbeiten muss. Bei diesen Menschen stehen Muskel- und Skelett-Erkrankungen im Vordergrund: Verspannungen, Muskelverkürzungen, aber auch Verschleiß bis zum Bandscheibenvorfall. Insgesamt gibt es im Vergleich zu früher mehr psychische Krankheiten wie Depressionen. Das liegt aber auch an einem erhöhten Bewusstsein für diese Diagnosen. Magen-Darm-Erkrankungen wie Magengeschwüre sind dagegen weniger geworden - auch weil die Therapien Fortschritte gemacht haben.

Was raten Sie Arbeitnehmern, die Angst haben, nicht bis 67 durchzuhalten?

Es ist sicher zu spät, sich erst mit 58 Gedanken über Prävention zu machen. Wir müssen in Schule und Ausbildung schon ein Bewusstsein dafür schaffen. Büroarbeiter sollten ihre Arbeit so organisieren, dass sie immer wieder aufstehen und sich nach Feierabend als Ausgleich zum vielen Sitzen körperlich betätigen. Aber nicht nur Arbeitnehmer tragen die Verantwortung: Unternehmen sollten Arbeit nicht nur am Schreibtisch stattfinden lassen.

Interview: Jannis Brühl

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