Rente:Die Furcht der Frauen vor der Altersarmut

Rente: Das Rentengefälle zwischen Mann und Frau ist laut OECD nirgends so hoch wie in Deutschland. Szene aus München (Archivbild)

Das Rentengefälle zwischen Mann und Frau ist laut OECD nirgends so hoch wie in Deutschland. Szene aus München (Archivbild)

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Viele haben Angst, dass die Rente nicht reicht. Und die Sorgen sind berechtigt. Drei Frauen berichten, wie sie sich für die Zukunft absichern.

Von Ulrike Heidenreich und Gianna Niewel

Die "Rentenrechnerin" ist kugelrund. Sie ist in fröhlichem Gelb gehalten, zarte Pastelltöne gesellen sich dazu. Wer mit ihr zu tun hat, sollte eigentlich schnell den richtigen Dreh heraushaben. Andererseits kann eine Begegnung mit der Rentenrechnerin auch zum frustrierenden Erlebnis werden. Es handelt sich um eine Drehscheibe, die anhand von einigen recht drastischen Beispielen zeigt, mit wie viel - oder wie wenig - Rente man in fünf oder 30 Jahren rechnen kann. Die Frauen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi haben diese Scheibe entworfen - denn es sind die Frauen, die von der Erwerbs
armut direkt in die Altersarmut schlittern.

Das Rentengefälle zwischen Mann und Frau ist laut OECD nirgends so hoch wie hierzulande. Zehn Prozent der Frauen 
in Deutschland leben in Altersarmut. Die Ursachen: vorsintflutliche Rollenklischees, starre Verhaltensmuster, altertümliche Steuermodelle, schwammige Passagen im neuen Unterhaltsrecht. Und es liegt an der Liebe zur Teilzeit, die deutsche Frauen pflegen: Nur rund 40 Prozent der 25- bis 59-Jährigen sind Vollzeit berufstätig. Zum Vergleich: In Frankreich sind es drei von vier Frauen.

Wer wenig verdient, zahlt wenig ein

Es soll an dieser Stelle nun nicht noch einmal plattgewalzt werden, dass das deutsche Wort "Rabenmutter" in keine 
andere Sprache übersetzbar ist, weil es in anderen Ländern schlichtweg nicht existiert. Dies ist aber natürlich immer ein Hinweis darauf, was in den Köpfen und Herzen passiert. Von Seiten der Politik tut dann noch das Ehegattensplitting - 
europaweit fast einzigartig - sein Übriges, um Frauen den Weg in die Altersarmut leicht zu machen. In Großstädten wird mittlerweile jede zweite Ehe geschieden, und nach dem neuen 
Unterhaltsrecht müssen die Frauen in der Regel, wenn die Kinder älter als drei Jahre sind, nach der Scheidung wieder Vollzeit in den Beruf einsteigen. Auch wenn das mit den üblichen Kita-Öffnungszeiten nicht zusammengeht.

Die Folge ist immer wieder die gleiche: Wer wenig verdient, zahlt wenig ein und hat später eine Minirente. Vor allem ältere Frauen aus Westdeutschland sind zunehmend auf Sozialhilfe angewiesen. Gut 60 Prozent der westdeutschen Rentnerinnen müssen mit weniger als 700 Euro im Monat auskommen. Da hilft alles Drehen an der bunten Rentenrechnerin nichts mehr. Dann ist es zu spät.

Im Folgenden berichten drei Frauen darüber, wie sie sich gegen Altersarmut absichern:

Corinna Wolf: Früh loslegen

Corinna Wolf ist gerade 30 Jahre alt geworden und spart seit sieben Jahren für ihre Rente. Ein Protokoll

"Kann sein, dass junge Leute Sparen spießig finden. Ich finde es spießig, als Frau an alten Rollenmustern zu haften und finanziell von einem Mann abhängig zu sein. Ich bin im Januar 30 geworden. Meine Generation arbeitet vielleicht mit 70 noch, das sind 40 Jahre bis zur Rente. Klar, bis dahin kann die Welt dreimal untergehen. Aber was, wenn nicht?

Für meine Mutter war das nie ein Thema: Fonds, Berufsunfähigkeitspolicen, Pensionsplan. Sie war ja verheiratet. Aber als meine Eltern sich scheiden ließen, stand sie plötzlich da und hatte nichts.

Ich habe eine Ausbildung zur Tourismuskauffrau gemacht. Seit ich die 2009 begonnen habe, lege ich einen Teil meines Geldes an. Zum einen in die Riester-Rente, zum anderen sorge ich auch privat mit einem Fonds vor. Die Tourismusbranche, das ist leider ein Berufszweig, in dem die Verdienstaussichten eher mau sind. Viel Herzblut, sicher, aber wenig Lohn. Ich habe lange mit mir gerungen und mich dann entschieden, doch noch einmal zu studieren. Gerade bin ich im Master für Erziehungswissenschaften. Später möchte ich mich als Psychotherapeutin selbstständig machen und Kindern und Jugendlichen helfen.

Ich will auch mal eine Woche in den Urlaub fliegen

Bis dahin habe ich das Glück, dass mich meine Eltern finanziell unter
stützen. Ich bin zeitweise bei meiner Mutter eingezogen, so konnte ich Miete sparen - das ist ja normalerweise der größte Ausgabeposten. Neben dem Studium arbeite ich an der Volkshochschule als Lehrerin und bringe ausländischen Kindern unsere Sprache bei. Von dem Geld kann ich 200 Euro in die Altersvorsorge einzahlen. Der Betrag musste gedrosselt werden, weil ich gerade natürlich nicht so viel verdiene wie während der Ausbildung; aber es war mir wichtig, dass es weiterläuft.

Ob ich das alles gemacht hätte, wenn ich nicht aus dem Fehler meiner Mutter gelernt hätte, die sich nicht frühzeitig selbst gekümmert hat? Ehrlicherweise wohl nicht. Gleichaltrige Freunde leben lieber im Hier und Jetzt. Mir ist es wichtig, einen Teil meines Geldes gut anzulegen. Ich will schon jetzt wissen, dass ich später nicht mit ein paar Euro Ren
te rumkrebsen muss. Ich will auch als Rentnerin mal eine Woche in den Urlaub fliegen oder mir ein richtig gutes Essen gönnen. Und wenn das bedeutet, dass ich jetzt schon anfangen muss, zu sparen - dann bitte."

Helma Sick: Dranbleiben

Helma Sick wurde durch private Erfahrungen zur gefragten Finanzberaterin. Ein Interview

Frau Sick, Sie sind in Viechtach im Bayerischen Wald zur Schule gegangen. Wie viele Klassenkameradinnen haben damals Abitur gemacht?

Sick: Keine einzige, soweit ich weiß. In den Fünfzigerjahren hieß es für Mädchen: "Heirate bald, dann bist du versorgt. Und bis dahin gehst du ins Büro." Auch ich bin mit mittlerer Reife ins Büro und habe Verträge abgeheftet und Akten sortiert. Aber ich wusste immer - selbst als ich dann Vorstandssekretärin war -, ich kann mehr. Ich wurde dann kaufmännische Geschäftsführerin des städtischen Frauenhauses. Das war eine extreme Erfahrung: Keine der Frauen hatte Geld, kaum eine wusste, was ihr Mann verdient. Manche kehrten zurück zu dem Mann, der sie geprügelt oder gar vergewaltigt hatte - weil sie total abhängig waren.

Dann gingen Sie selbst in Elternzeit.

Ich blieb zu Hause, ganz klassisch, weil mein Mann, von dem ich mittlerweile geschieden bin, viel mehr verdient hat als ich. Aber auch, weil es mir ein Herzensanliegen war. Es ist ja in Ordnung, wenn eine Mutter bei ihrem Kind bleibt. Darum geht es mir nicht.

Worum dann?

Um die Dauer der Elternzeit. Darum, dass Frauen sich selbst versorgen und vorsorgen können, unabhängig sind. Und das geht nur mit bezahlter Arbeit.

Sie haben im Abendstudium Betriebswirtschaftslehre gelernt.

Das ging nur, weil sich mein Mann nach der Arbeit um unseren Sohn gekümmert hat. Sonst hätte ich das nicht geschafft. Es war mir aber wichtig, weil ich damit den Grundstock für meine spätere berufliche Selbstständigkeit gelegt habe.

Sie sagen, viele Frauen heute wissen nicht, wie wichtig das ist.

Sagen wir mal so: Sie sind stärker sensibilisiert. Mittlerweile haben auch die 25-Jährigen begriffen, dass ein Mann sie nicht mehr absichert; etwa, weil sich die Eltern haben scheiden lassen und sie nicht wollen, dass es ihnen geht wie 
ihrer Mutter. Die hat vielleicht immer Teilzeit gearbeitet und kommt nun mit der Rente nicht aus. Ich rate Frauen, 
sich nicht auf den Partner zu verlassen, berufstätig zu sein. Und von Montag bis Freitag jeden Tag fünf Euro wegzulegen und in einen Aktienfonds zu stecken.

25 Euro pro Woche - ist das nicht ein bisschen viel in dem Alter?

Ich sehe jeden Tag junge Leute, wie sie ihren Coffee to go schlürfen und beim Bäcker für belegte Brötchen anstehen. Wer sich sein Brot nicht selbst schmieren muss, dem kann es so schlecht nicht gehen. Ich glaube jedenfalls nicht, dass bei jungen Leuten nie Geld da ist, wenn man sieht, wofür sie es ausgeben. Die Frage ist doch:

Wo setzt man Prioritäten? Ich selbst habe mit Ende 20 angefangen, Geld in einen Bausparvertrag einzuzahlen, ich hatte eine Lebensversicherung, mehr kannte ich nicht. Mein Mann und ich schlossen weitere Lebensversicherungen ab, als unser Kind kam. Wir kauften ein renovierungsbedürftiges Haus, großteils auf Kredit. Das haben wir nach und nach saniert. Es ist neben anderen Geldanlagen meine Altersvorsorge.

Das Thema Vorsorge war bei Ihnen immer präsent?

Natürlich. Und mich erschreckt es, wie wenige Frauen sich darüber Gedanken machen, weder in jungen Jahren noch später in einer Beziehung.

Es ist eben kein schönes Thema.

Aber eine verheiratete Frau kriegt in der Regel nach der Scheidung keinen Unterhalt, wenn sie keine Kinder unter drei Jahren zu versorgen hat. Je nach Dauer der Ehe hat sie maximal Anspruch auf einen Versorgungsausgleich bei der Rente oder den Zugewinnausgleich, wenn Vermögen da ist. Aber meist reicht doch eine Rente gar nicht für zwei! Und: Eine nicht verheiratete Frau geht ganz leer aus. Bei mir sitzen verzweifelte Endfünfzigerinnen, die sagen: "Ich hab ihm den Rücken frei gehalten. Und nun muss ich um jeden Euro kämpfen." Frauen müssen einen Beruf ausüben, eigenes Geld verdienen, dann kommt bei einer Trennung zum Schmerz nicht auch noch ein finanzielles Desaster. Darüber schreiben Renate Schmidt und ich auch im Buch Ein Mann ist keine Altersvorsorge.

Sind Sie für einen Ehevertrag?

Ja, und bei Unverheirateten für einen Partnerschaftsvertrag. Ein Paar sollte sich gemeinsam überlegen, wer die Kinder erzieht, wie lange welcher Partner zu Hause bleibt und wie der finanzielle Ausgleich für die Renteneinbuße aussehen soll. Einigt man sich auf Unterhalt nach einer Trennung? Natürlich ist das nicht angenehm, darüber zu reden, und dann zu sagen: "So, Schatz, jetzt unterschreib bitte unten links." Aber das müssen Paare austragen. Alles andere ist blauäugig.

Wieso tun es trotzdem die wenigsten?

Weil sie glauben, dass die Beziehung halten wird. Selbstverständlich sollte man aufs Beste hoffen. Aber ich muss gleichzeitig für schlechte Zeiten vorsorgen.

Christina Neuses: Für sich selbst

Christina Neuses muss nicht kellnern, tut es aber trotzdem - für ihre Selbständigkeit.

Sie müsste nicht arbeiten, eigentlich. Ihr Mann verdient genug, die kleine Eigentumswohnung wirft Mieteinnahmen ab, die Kinder sind aus dem Haus. Christina Neuses drückt einen Knopf, die Kaffeemaschine faucht. Fünfmal die Woche bindet sie sich die Schürze um, um Latte Macchiato und Schwarzwälder Kirschtorte zu servieren. Hier, in einem kleinen Café an der Grenze zu Luxemburg, ist sie Mädchen für alles. Sie schleppt Einkäufe, putzt Fenster, zapft Bier, wenn das Café abends zur Kneipe wird, am Stammtisch Siggi und Klaus. "Ob ich zu Hause bleiben soll, weil ich's könnte?" Sie lacht. "Die Frage hab ich mir nie gestellt."

Christina Neuses legt Besteck auf den Tresen; während sie erzählt, rollt sie Gabeln und Messer in weiße Servietten. Die Großmutter, die Mutter - "... bei mir in der Familie war es normal, dass die Frauen auch finanziell beisteuern". Dass es wichtig ist, eigenes Geld zu verdienen, habe auch ihre Tochter verstanden. Die Mama lebte es vor. Jeweils ein gutes Jahr ist Neuses nach der Geburt der zwei Kinder zu Hause geblieben, ehe sie wieder Vollzeit in den Job einstieg.

Ihr Mann war nie ihr Versorger

Dass auch der Vater Gute-Nacht-Geschichten vorliest, sei selbstverständlich. Rabenmutter?
 Neuses schüttelt den Kopf: Ihr Beruf, sagt sie, war nie zweitrangig nach dem ihres Mannes. Und ihr Mann war nie ihr Versorger. "Ich hätte keine Lust, ihn aus der Umkleidekabine anzurufen und um ein neues Kleid bitten zu müssen", sagt Neuses. Sie wolle in den Laden gehen, aussuchen, anprobieren. Passt? Dann ab zur Kasse - ihr Portemonnaie auf. Sie und ihr Mann haben getrennte Konten; aus einer gemeinsamen Kasse zahlen sie 
Einkäufe, Reparaturen, den Urlaub.

Neuses weiß, dass Altersarmut in Deutschland vor allem die Frauen trifft, es steht in den Zeitungen, es läuft in den Nachrichten. "Man muss es hören wollen", sagt sie. "Das ist der Punkt." Sie will noch mindestens zehn Jahre weiterkellnern. "Es gibt mir ein sicheres Gefühl, weil ich weiß, dass ich im Zweifel mit eigenen Rücklagen über die 
Runden komme." Im Zweifel? Stille. "Ja, 
wenn - was ich nicht hoffe - meinem Mann etwas passiert."

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