Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler:"Das darf niemand unterschreiben"

In seinem Streben nach Gerechtigkeit ist das deutsche Steuersystem völlig ausgeufert, sagt Reiner Holznagel, Bundesgeschäftsführer beim Bund der Steuerzahler. Eine Vereinfachung wäre bitter nötig. Nur Hoffnung hat Holznagel kaum noch.

Peter Martens

sueddeutsche.de: Vielen Deutschen bedeutet eine Steuererklärung nichts als Kopfschmerzen. Zu Recht?

Reiner Holznagel: Die deutsche Steuererklärung gehört tatsächlich zu den kompliziertesten der Welt. Wenn Sie die Fachliteratur dazu anschauen: Zwei Drittel aller weltweiten Veröffentlichungen zum Steuersystem kommen aus Deutschland. Es gibt eine unzählige Anzahl von Anleitungen, Verweisen, Büchern. Niemand hat den kompletten Überblick.

sueddeutsche.de: Was ist der Grund für die Komplikationen hierzulande?

Holznagel: Die Ursachen dafür sind sehr unterschiedlich. Ein Grund ist der deutsche Anspruch, jedem Gerechtigkeit zu verschaffen. Der Gesetzgeber verteidigt sich mit dem Argument, wir hätten eine sehr fragmentierte Gesellschaft. Das ist prinzipiell richtig, nur ist das System unserer Meinung nach völlig ausgeufert. So wie das jetzt ist, ist es auch nicht gerecht. Der einfache Steuerzahler kann eigentlich nicht mehr unterschreiben und bestätigen, dass er alles befolgt und beachtet hat.

sueddeutsche.de: Wie meinen Sie das?

Holznagel: Es ist doch so: Ohne Unterschrift ist eine Steuererklärung nicht gültig. Mit der Unterschrift bestätigen wir, dass alles befolgt und beachtet wurde. Doch weil es so viele Bestimmungen gibt, darf das eigentlich niemand unterschreiben. Also zwingt uns der Staat, eine Auskunft mit dem Anspruch auf Vollständigkeit zu geben, die so nicht eingetreten ist.

sueddeutsche.de: Seit 2005 kann man seine Steuererklärung erstmals auch auf einem Kurzformular von zwei Seiten abgeben. Voraussetzung: Es handelt sich um einen Standardfall.

Holznagel: Der Bund der Steuerzahler fordert seit 30 Jahren, die Steuerformulare zu erleichtern. Insofern ist das Kurzformular von zwei Seiten ein enormer Fortschritt, der zur Vereinfachung beiträgt. Doch sobald man vom Standardfall abweicht, sollte man besser die ausführlichen Formuare benutzen. Das heißt, dieses Kurzformular ist zu begrüßen, doch wir sind lange nicht am Ende. Es muss noch viel getan werden. Und eigentlich sollte der Gesetzgeber ans Eingemachte ran. Er sollte nicht die Formulare vereinfachen, sondern das Steuerrecht.

sueddeutsche.de: Eine etwas überspitzte These: Traumhaft einfache Steuererklärungen machen den Berufsstand der Steuerberater überflüssig. Was halten Sie davon?

Holznagel: Der klassische Steuerberater ist nicht daran interessiert, Steuererklärungen auszufüllen. Das machen eher Lohnsteuerhilfevereine, und auch die mahnen eine Vereinfachung an. Steuerberater verdienen mit anderen Dingen Geld, wie etwa mit der Erstellung von Abschlüssen oder der steuerlichen Beratung und Beurteilung von Sachverhalten, die in der Zukunft verwirklicht werden sollen. Was das Steuerrecht angeht, ist hier ein ganzer Berufsstand an die Grenzen des Möglichen getreten. Bei jedem neuen Gesetz gibt es Forderungen der Steuerberater nach Vereinfachung. Das können Sie als Beleg der Zunft sehen, dass Steuerberater selbst an einer Vereinfachung interessiert sind.

sueddeutsche.de: Wie beurteilen Sie die beschlossenen Steueränderungen für 2007?

Holznagel: Mit diesen Änderungen werden die Steuerzahler zur Kasse gebeten. Die Mehrwertsteuer wurde direkt erhöht, die drei Prozentpunkte entsprechen einer Erhöhung um rund einem Fünftel. Der Sparerfreibetrag wurde nahezu halbiert, also auch hier eine verdeckte Erhöhung. Die Steuerberatung kann man nur noch teilweise absetzen, auch die Fahrt zum Arbeitsplatz gilt auf den ersten 20 Kilometern steuerlich nicht mehr. Das häusliche Arbeitszimmer wurde für die meisten Steuerzahler ganz gestrichen. Das heißt, auf die Steuerzahler kommt eine erhebliche Mehrbelastung zu, die erst mit der Steuererklärung spürbar wird. Es fand also die größte Steuererhöhung statt, die es je gab, und das Steuerrecht wurde weiter verkompliziert.

sueddeutsche.de: Die Finanzämter sind derzeit bemüht, verstärkt die digitale Steuererklärung Elster einzuführen. Wie beurteilen Sie diese Maßnahme? Wie sieht's mit der Akzeptanz in der Bevölkerung aus?

Holznagel: Eine elektronische Steuererklärung macht sich in Zeiten der Digitalisierung sicher gut. Das Elster-Programm hatte erhebliche Schwierigkeiten in der Anfangsphase, jetzt funktioniert es gut. Steuerzahler, die ihre Erklärung über Elster abgegeben haben, müssen weniger Belege einreichen und bekommen ihre Erklärung früher zurück.

Doch es mangelt noch erheblich an Praktikabilität. Das Programm ist vor allem für Senioren nicht nutzbar, die mit der in Comutertexten üblichen Sprache überhaupt nicht vertraut sind. Hier sehe ich großen Nachbesserungsbedarf.

Was viele nicht wissen: Elster ist ein reines Eingabeprogramm. Es ersetzt nicht die Lektüre eines Ratgeberbuchs, eine kommerzielle Software zur Steuererklärung oder die Dienste eines Steuerberaters.

sueddeutsche.de: Einige grundlegende Gerichtsurteile zum Steuerrecht stehen noch aus. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Fragen bei den laufenden Prozessen?

Holznagel: Wir führen gerade mehr als 25 Musterprozesse. Der entscheidende Richterspruch kommt sicher zur Entfernungspauschale, weil das viele Bürger betrifft. Dieser Beschluss steht für die Steuerpolitik der Großen Koalition. Wenn das Verfassungsgericht entscheidet, dass dieses Gesetz nicht gerecht ist, hätte dieses Urteil einen gewissen symbolischen Charakter.

Auch die Vereinbarkeit des Solidaritätszuschlags mit der Verfassung möchten wir vor Gericht prüfen lassen. Der Soli-Zuschlag sollte aus unserer Sicht nicht mehr weiterbestehen, weil er nicht mehr zeitgemäß ist. Der wurde 1991 eingeführt, daraus ist heute unserer Meinung nach eine Dauerabgabe geworden.

sueddeutsche.de: Was versprechen Sie sich vom Gesetzgeber für dieses und die nächsten Jahre?

Holznagel: Wir versprechen uns vom Gesetzgeber fast nichts mehr. Es bleibt zu hoffen, zu appellieren und zu mahnen. Und natürlich, die Steuern zu senken.

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