Regierungsgebäude:Die Form folgt der Macht

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Indien, Libyen, Vietnam: Deutsche Architekten bauen neue Parlamente in aller Welt.

Gerhard Matzig

Von oben betrachtet könnte das Architektur-Modell des Parlaments für den indischen Bundesstaat Tamil Nadu auch eine exotische Minigolfanlage illustrieren.

Mandala mit Kuppel: Die Architekten von Gerkan, Marg und Partner planen das Parlament des indischen Bundesstaates Tamil Nadu in Chennai. (Foto: Abb.: Gerkan, Marg und Partner)

Die Architekten vom Hamburger Büro GMP (von Gerkan, Marg und Partner) wollen das neue Parlament inmitten der am Golf von Bengalen gelegenen Hafenstadt Chennai in Form eines langgezogenen, sich nach Nordosten hin verjüngenden und an den Stirnseiten gerundeten Baukörpers errichten.

Das Parlament, das im Jahr 2010 fertig sein soll, wird dann fünf kreisrunde Höfe und acht halbkreisförmige Einschnitte umschreiben: als Hommage an die Geometrie des in Ostasien verbreiteten Mandala-Motivs. Vor wenigen Tagen wurde der Planungsauftrag erteilt.

Eines der Atrien aber - das ist die durch und durch globalistische Pointe dieser aktuellen Bauaufgabe jenseits lokaler Form- und Kulturverweise - soll von einer gläsernen Kuppel mit horizontaler Gliederung überwölbt werden. Das indische Parlament in Chennai wird also, in einigen Perspektiven zumindest, an den Reichstag in Berlin erinnern.

Ewige Demut der Deutschen

Diese Berlin-Kuppel ist medial präsent wie kaum ein anderes Bauwerk in Deutschland. Den Polit-Berichten dient sie als Signet - als kulissenhafter Kurzschluss von Politik und Architektur: Wo Kuppel draufsteht, ist Politik drin. Die Kuppel aber stammt von Lord Norman Foster. Und der hatte sich - gute Güte: ein Brite! - seinerzeit beim deutschesten aller deutschen Architekturwettbewerbe ausgerechnet gegen GMP durchgesetzt.

Prompt wetterte Meinhard von Gerkan gegen die Fremdherrschaft der Parlamentsarchitektur. Eigentlich, so Gerkan damals, müsste doch ein Land wie Deutschland so souverän sein, sein eigenes Parlament von einem deutschen Architekten gestalten zu lassen.

Gerkan erhielt damals viel Beifall in der deutschen Architektenschaft. Und sogar in England, Frankreich, Dänemark oder Italien wunderte man sich über die ewige Demut der Deutschen, die sogar ihr wichtigstes Gebäude, das Herz ihrer Politik, zur Disposition eines international besetzten Wettbewerbs stellten. Keine Nation, so dachte man abseits von Berlin, sollte ihre repräsentativsten Architekturen, ihre Stein, Stahl und Glas gewordenen politischen Systeme, ausländischen Akteuren aussetzen.

Dabei war Deutschland, wie sich jetzt zeigt, nur seiner Zeit voraus. Wobei es vor allem weltweit erfolgreich tätige Architektur-Büros wie das von GMP sind, die nun von einem höchst eigenartigen Phänomen profitieren: Deutsche Architekten entwickeln sich in aller Welt offenbar zu gefragten Spezialisten für Parlamentsbauten. Die Kulissen der Macht, die derzeit in Vietnam oder Indien, in Libyen oder Saudi-Arabien entstehen, tragen also in gewisser Weise den Vermerk "Planned in Germany".

Zum Beispiel in Hanoi, Vietnam. Dort soll GMP den Bau des neuen Parlaments realisieren. Vor einigen Monaten wurde ein entsprechender Wettbewerb entschieden. Die Fertigstellung ist ebenfalls für das Jahr 2010 geplant. Dann soll sich das neue Parlament an prominenter Stelle der Öffentlichkeit - beziehungsweise der Machtelite der Sozialistischen Republik Vietnam - präsentieren: auf dem historischen Grund der versunkenen Stadt gegenüber dem Denkmal des Volkshelden Ho Chi Minh.

Nach deutschen Entwürfen wird aber nicht nur in kommunistisch geprägten Ländern gebaut, sondern auch in lupenreinen Ex-Schurkenstaaten, etwa in Libyen. "Tripoli Greens" heißt beispielsweise der Entwurf des Berliner Architekturbüros Léon Wohlhage Wernik.

"Demokratie braucht ein Haus"

Der Wettbewerb um den neuen Regierungssitz wurde im Sommer 2007 entschieden. Gegen namhafte Konkurrenten wie Zaha Hadid aus London oder Kisho Kurokawa aus Tokio konnte sich das Berliner Büro mit der Idee einer grünen Mall durchsetzen: Auf einem 230 Hektar großen Areal, gelegen in der Suburbia der libyschen Hauptstadt unweit des Flughafens, soll eine kleine Idealstadt der Politik entstehen - bestehend aus 22 Ministerien und dem Sitz des Ministerpräsidenten, bestehend aus Volkskongress, Moschee und Hotel. Erwartungsvoll ist von "New Libya" die Rede.

Auf Sand wird auch anderswo in hoffnungsfroher Weise gebaut: Das Frankfurter Büro AS & P, Albert Speer und Partner, soll ein Ministerium für Saudi-Arabien in Riad errichten. In Sanaa, Jemen, hatten die Architekten zuvor den Wettbewerb um den Neubau der Volksvertretung gewonnen. In Afghanistan dagegen ist noch offen, ob und wann Hamid Faruqui, geboren in Kabul und seit langem in Geisenheim als Architekt tätig, den alten Königspalast als neues Parlament wiedererrichten darf. "Demokratie braucht ein Haus", sagt der Wahl-Rheingauer.

Seit Jahren bereist er Afghanistan, um dort, inmitten des Krieges der Systeme und Kulturen, den Darul-Aman-Palast als Hort freiheitlicher Gesinnung zu reanimieren. Ein Palast als Ort des Volkes? In Kabul lässt sich das immer auch moralisch interpretierbare Dilemma der neuen, von Deutschen oder von Deutschland aus erdachten Parlamente besonders gut veranschaulichen. Es ist nicht zuletzt das Dilemma eines Erfolgs: des Architektur-Exports.

Denn der schon länger boomende Export deutscher Architekten, die in Izmir Stadträume und in Moskau Hochhäuser planen, die in Aserbaidschan Golfplätze, in Peking Schulen und in Schanghai Universitäten errichten, umfasst erstmals einen politischen Aspekt: das Bauen in und an der Politik selbst. Wer politischen Systemen Schauräume und bauliche Emblematik liefert, produziert der nicht auch eine Blaupause der Macht? Und was, wenn die Macht nicht demokratisch legitimiert ist?

Seit einiger Zeit ist in Deutschland eine Debatte um den Architektur-Export entbrannt. Es ist ein Streit, der über Architectural Correctness hinausweist. Schon vor einem Jahr empörte sich Wolf D. Prix vom Wiener Büro Coop Himmelb(l)au in der SZ über deutsche Architekten wie Gerkan und Speer, die "für Tyrannen oder Autokraten bauen".

Bauen für den Teufel

Später schaltete sich Christoph Ingenhoven ein, der im Spiegel zu Protokoll gab: "Ich baue nicht in China." Und Daniel Libeskind sekundierte im Gespräch mit Vanity Fair: "Für mich ist Architektur ein Bekenntnis zur Demokratie." Totalitäre Bauherren schließt der New Yorker Planer für Ground Zero und Architekt des Freedom Towers aus.

Ein anderer New Yorker, der legendäre Theoretiker und inzwischen verstorbene Architekt Philip Johnson, hat das schon immer mit der ihm eigenen Drastik vollkommen anders gesehen. Auf die Frage nach der Moral auf der Baustelle hat er einmal geantwortet, er würde "natürlich auch für den Teufel" bauen - solange das Honorar stimmt. An dessen luziferische Größe reicht der Nimbus eines gewissen Hitlers immerhin nah heran, gefolgt von einem gewissen Stalin. Für den einen, Hitler, wollte Mies van der Rohe noch vor seiner Emigration aus Abscheu vor den Nazis nur zu gerne eine Reichsbank bauen; für den anderen, Stalin, stellte sich Le Corbusier in die lange Reihe der Architekten, die Stalins Lieblingsprojekt, den Palast der Sowjets, realisieren wollten.

Zwei der größten Interpreten der Moderne, Corbusier und Mies, dienten sich also wie selbstverständlich den beiden machtvollsten und grausamsten Regimes der Moderne an. Vor dem Hintergrund der Weltgeschichte ist es insofern schon fraglich, ob die Dimensionen der Entrüstungen und Empörungen im gegenwärtigen Architektenstreit angemessen sein können. Und es ist auch die Frage, ob Jacques Herzog, der in Peking gerade das neue, gewaltige Olympiastadion erbaut, ganz falsch liegt, wenn er behauptet, dass die Demokratie allein "noch kein Garant für Baukultur ist".

Andererseits: Wenn nicht hinter jeder dorischen Säule "ein blutbefleckter Diktator" steht - wie der Münchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger das einmal formuliert hat -, dann sind vor allem auch die politischen Bauten in ihren lichten und modernen, in Deutschland entworfenen Gewändern noch lange keine Gewähr dafür, dass in ihnen die Freiheit verhandelt wird oder werden könnte.

Interessant ist deshalb, was der britische Architekturkritiker Deyan Sudjic als "Edifice Complex" bezeichnet: den Architekturkomplex, der nicht nur Diktatoren und ihre Architekten befällt, sondern auch die Mächtigen in Demokratien, die Reichen wie die Politiker.

© Quelle: SZ vom 04. 03. 2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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