Regeln für die Wirtschaft:Spekulationen auf die Gerechtigkeit

Die US-Regierung tut in der Krise, was sie zuvor stets ablehnte: Sie greift massiv in die Wirtschaft ein. Doch wäre es nicht besser, der Staat setzte dem Kapitalismus generell strengere Regeln?

Heribert Prantl

Der Papst mahnte vergeblich. "Unversehens", so sagte er, "haben sich Vorstellungen in die menschliche Gesellschaft eingeschlichen, wonach der Profit der eigentliche Motor des Fortschritts sei". Nur das Wort "unversehens" zeigt an, dass diese päpstliche Warnung vor einem "schrankenlosen" Kapitalismus nicht aus dem Jahr 2008 stammt.

Kinder, Lehman Brothers, Tokio, Reuters

Das Kleine und das Große: Weltweit operierende Bankhäuser wie Lehman Brothers lassen sich nicht von nationalen Regierungen reglementieren. Wenn überhaupt, könnten wohl nur die G 8 die Kontrolle der Finanzmärkte forcieren.

(Foto: Foto: Reuters)

Lamento einer alten Religion über eine neue

Sie stammt aus den Anfangstagen der Globalisierung, aus dem Jahr 1967. In der Enzyklika über den Fortschritt der Völker beschreibt Papst Paul VI., ohne das Wort zu gebrauchen, den Neoliberalismus. Seine Sätze haben prophetische Kraft, weil sie die Auswüchse der Globalisierung schon benennen - und sie sind zugleich von anrührender Hilflosigkeit, weil sie mit dem Appell enden: "Noch einmal sei feierlich daran erinnert, dass Wirtschaft im Dienst des Menschen steht".

Wer boshaft sein will, der mag sagen: Das war das Lamento des Vertreters einer alten Religion über eine neue, die an den freien Markt glaubt und an ewige Gewinnmaximierung. Doch es waren und sind nicht nur die Päpste der katholischen Kirche, die sich darüber sorgende Gedanken machen, und die glauben, dass der Kapitalismus mehr Regeln braucht. Die säkularen Päpste der Weltwirtschaft taten und tun dies auch, aber bisher gleichfalls ohne großes Echo: George Soros, der sich mit Spekulationen ein Milliardenvermögen verdient hat, kämpft seit einem Jahrzehnt für eine Regulierung der Finanzmärkte.

Jetzt sucht wieder der Staat die Antwort

"Die Krise des globalen Kapitalismus" heißt sein Buch aus dem Jahr 1998; in diesem sieht er - angesichts des Scheiterns von nationaler und internationaler Politik - "das kapitalistische Weltsystem vor seiner Auflösung". Und der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, einst Chefökonom der Weltbank, warnt seit Jahren vor einer ernsten Krise: "Der Tag der Abrechnung naht". Abrechnung wofür? Dafür, dass der Satz, wonach die Wirtschaft für den Menschen da ist, und nicht die Menschen für die Wirtschaft, vergessen und verhöhnt worden sei. Diesen Gedanken hat nicht erst der Papst vor 42 Jahren erfunden, er findet sich schon vor 220 Jahren bei Adam Smith, dem Gründervater der Volkswirtschaftslehre.

In Krisenzeiten, so hat der Münchner Soziologieprofessor Ulrich Beck alsbald nach dem 11. September 2001 erklärt, "steht der Neoliberalismus ohne jegliche politische Antwort da." Und deshalb sucht jetzt wieder der Staat, suchen Regierungen die Antworten: Die radikalste Antwort geben soeben die Vereinigten Staaten, die Banken unter Kuratel stellen und verstaatlichen. Das ist wohl die schärfste Form der Repression. Repression ist ein Begriff aus der inneren Sicherheit, aus der Abwehr von kriminellen und terroristischen Gefahren. Auf diesem Gebiet ist die internationale Kooperation schon ziemlich weit gediehen; die könnte man sich auf dem Gebiet wirtschaftlicher Sicherheit zum Vorbild nehmen - und dann, wie dort auch, über Mittel zur Prävention nachdenken.

Die Tobin-Steuer und Attac

Über eines dieser Mittel wird seit 1971 diskutiert: die Tobin-Steuer, benannt nach dem US-Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin. Es ist dies die erste Steuer, für die Menschen auf die Straße gehen. Denn die wichtigste Gruppe der Globalisierungskritiker trägt sie als Forderung im Namen: Association pour une taxation des transactions financieres pour l'aide aux citoyens, Vereinigung für die Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger - kurz "Attac". Diese progressive Devisenumsatzsteuer soll ein Instrument sein zur Kontrolle ausufernder Devisenmärkte und schneller Geldgeschäfte; sie soll kurzfristige Devisengeschäfte verteuern, also bestrafen und langfristige begünstigen. Die Tobin-Steuer würde all diejenigen hart treffen, die täglich oder gar alle paar Minuten riesige Devisenkäufe tätigen. Einzelheiten sind umstritten.

Eine solche Steuer ist ein Baustein in dem, was der CDU-Politiker Heiner Geißler "internationale öko-soziale Marktwirtschaft" nennt. Nicht der Markt sei falsch, sondern der ungeordnete Markt und der ungeordnete Wettbewerb. Heutzutage berufen sich die Verfechter des freien Markts auf Ludwig Erhard. Aber der war auch der Erfinder der Kartellgesetzgebung, des Bundeskartellamtes, der Fusionskontrolle.

Die Gedanken, die darin stecken, will Geißler von der nationalen auf die internationale Ebene heben: Die globale Ökonomie brauche eine globale politische Antwort. Er stellt, als einsamer alter Rufer in seiner Partei, eine Handvoll Forderungen auf, er propagiert: "Erstens eine internationale Bankenaufsicht. Zweitens: Ein Weltkartellamt, also eine weltweite Fusionskontrolle zur Herstellung von Ordnung im globalen Wettbewerb. Und schließlich fordert er die Demokratisierung der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation.

"Langfristig sind wir alle tot"

Das ist gleichsam eine Zusammenfassung aller Vorschläge von Organisationen wie Attac oder der Global-Marshal-Plan-Initiative - und sie klingt utopisch. Geißler freilich setzt auf die Macht einer Idee, deren Zeit gekommen ist; und weil es halt keine Weltregierung gibt und die UN schwach sind, appelliert er nun an die G 8. Die Pragmatiker einer neuen Wirtschaftsethik wären freilich schon froh, wenn die Honorierung der Großmanager von den Gewinnen abgekoppelt würde - weil vor allem das die Spekulationsgeschäfte antreibe.

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz pflegt auf die Bemerkung "langfristig nützt die Globalisierung allen Menschen" zu antworten: "Langfristig sind wir alle tot." Er meint damit, dass es nicht reicht, darauf zu warten, dass der große Reichtum, der sich oben sammelt, irgendwann nach unten durchtröpfelt und sich dort verteilt. Das sei "Polit-Rhetorik". Von Politik müsse man aber mehr verlangen können als Rhetorik.

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