Referentenentwurf:Milliarden für die Pflege

Sterbehilfe

Die Beitragssätze für die Pflegeversicherung steigen.

(Foto: dpa)

Seit 1996 hat sich das keine Koalition getraut: Die Bundesregierung erhöht den Beitragssatz für die Pflegeversicherung kräftig. Alte und Kranke sollen mehr Geld bekommen, die gesetzliche Versicherung "zukunftsfest" werden. Was das im Einzelnen bedeutet.

Von Nina von Hardenberg und Guido Bohsem

Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich viel vorgenommen. Sie will die Pflegeversicherung "zukunftsfest" machen, heißt es in dem Referentenentwurf, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Für die Beitragszahler bedeutet dies zunächst einmal, dass die Pflegeversicherung teurer wird. In zwei Schritten soll der Beitragssatz in dieser Legislaturperiode um 0,5 Prozentpunkte steigen auf dann 2,55 Prozent (Kinderlose: 2,8 Prozent) . Eine derart saftige Erhöhung zu verkünden hat sich seit 1996 - dem Jahr nach der Einführung der Pflegeversicherung - keine Bundesregierung getraut. Was sie mit dem zusätzlichen Geld vorhat, zeigt folgender Überblick:

Wer profitiert von der Beitragserhöhung?

Es profitieren als erstes ganz direkt die alten und kranken Menschen. Die Regierung will die Zahlungen, die sie von der Pflegeversicherung erhalten, im kommenden Jahr um vier Prozent erhöhen. Das ist auch bitter nötig, denn die Sätze wurden jahrelang gar nicht und zuletzt nur unzureichend angepasst. Immer häufiger reichte das Geld der Kassen zusammen mit der Rente nicht für den Heimplatz, zuletzt war deshalb etwa ein Drittel der Heimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen. Die Pflegeversicherung - einst eingeführt, damit Krankheit im Alter nicht direkt in die Armut führt - wurde damit ihrem eigentlichen Auftrag immer weniger gerecht.

Um wie viel steigen die Pflegesätze?

Für Pflegebedürftige im Heim gibt es in der Pflegestufe I statt bislang 1023 Euro 1064 Euro. In der Pflegestufe II und III steigen die Leistungen auf 1330 und 1612 Euro statt bisher 1279 beziehungsweise 1550 Euro. Wer einen Pflegedienst beschäftigt, bekommt in der Pflegestufe I im kommenden Jahr 468 Euro, bisher sind es 450 Euro. In den Pflegestufen II und III steigen die Leistungen auf 1144 und 1612 Euro. Bisher sind es 1100 beziehungsweise 1550 Euro.

Was ändert sich für Demenzkranke?

Zunächst einmal wenig. Das ist auch die Hauptkritik an dem Gesetzesentwurf. Demenzkranke werden in der Pflegeversicherung seit jeher systematisch benachteiligt. Das wollte schon Ministerin Ulla Schmidt (SPD) ändern, sie wollte neue Begutachtungsregeln einführen, die neben körperlichen Gebrechen auch geistige Einschränkungen stärker berücksichtigen. Das Verfahren wurde von vielen Kommissionen getestet und für gut befunden - und soll nun trotzdem nicht direkt eingeführt, sondern weitergetestet werden. Immerhin, das Gesetz gibt einen zeitlichen Rahmen dafür vor: Das neue Bewertungssystem soll noch "in dieser Legislaturperiode" kommen, heißt es in dem Entwurf.

Was verbessert sich für die pflegenden Angehörigen?

Kinder und Ehepartner übernehmen nicht mehr so häufig wie früher die Pflege. Wurden 1999 noch mehr als die Hälfte aller pflegebedürftigen Menschen von ihren Angehörigen versorgt so waren es 2011 nur noch gut 45 Prozent. Trotzdem ist die Familie noch immer die wichtigste Stütze der Pflege und auch die billigste. Die Regierung will dies fördern. Künftig wird deshalb einerseits das Pflegegeld erhöht: Wer von Angehörigen oder Freunden zu Hause versorgt wird, erhält in Pflegestufe I 244 Euro statt bisher 235 Euro. In den Stufen II und III steigt der Satz auf 458 und 728 Euro. Zweitens sollen die pflegenden Familien flexibler unterstützt werden. Schon heute gibt es entlastende Angebote wie etwa die Ersatzpflege, bei der ein professioneller Dienst bis zu vier Wochen im Jahr einspringt, wenn die Angehörigen selbst krank werden oder in den Urlaub fahren wollen. Dieses Angebot kann künftig auf sechs Wochen ausgedehnt werden. Außerdem steigen die Sätze für die Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege.

Was bringt der Vorsorgefonds?

Der Vorsorgefonds ist ein großes Sparschwein, das geplündert werden darf, wenn die geburtenstarken Jahrgänge alt und gebrechlich werden - also plötzlich viel mehr alte Menschen versorgt werden müssen. Dafür sollen von 2015 an 0,1 Prozentpunkte des Beitragssatzes, also etwa 1,2 Milliarden Euro jährlich, in einen Fonds bei der Bundesbank fließen. Das Geld wird dann von 2034 an über zwanzig Jahre ausgeschüttet, so der Plan. Auf den Fonds ist besonders die Union stolz, die ihn durchgesetzt hat. Er schütze "die Jungen vor zu hohen Beitragssteigerungen", sagte Unions-Gesundheitsexperte Jens Spahn. Kritiker wie der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang bezweifeln jedoch, dass der Plan aufgeht. Rothgang glaubt, dass der Finanzbedarf der Pflegeversicherung anhaltend hoch bleibt - auch nach 2055; der Fonds wäre dann aber leer. Die Grünen-Politikerin Elisabeth Scharfenberg sieht zudem die Gefahr, dass Politiker das Geld für andere Zwecke missbrauchen könnten.

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