Reetdächer in Gefahr:Aggressiver Pilz lässt Dächer verrotten

Die mit Reet gedeckten Häuser gehören zu Norddeutschland wie das Salz zum Meer. Doch immer öfter gehen die Dächer kaputt - Wissenschaftler wissen jetzt, warum.

Sie gehören zu Norddeutschland wie das Salz zum Meer: Die mit Reet gedeckten Häuser prägen seit vielen Jahrhunderten die Region zwischen Ost- und Nordsee. Früher als Arme-Leute-Dach verschrien, ist das Rohr inzwischen auch zum Inbegriff ökologischen Bauens geworden: Der nachwachsende Werkstoff gedeiht quasi vor der Haustür. Das Reet wird ohne chemische Behandlung verlegt, seine Lebensdauer beträgt 30 bis sogar 50 Jahre. Doch das Image des romantischen Schilfdachs ist ins Wanken geraten.

Reetdächer in Gefahr: Schönheit in Gefahr: Die Ursache für das mysteriöse Reetdachsterben in Norddeutschland ist gefunden. Greifswalder Mikrobiologen haben fünf holzabbauende Pilze identifiziert, die die schilfbedeckten Dächer innerhalb weniger Jahre verrotten lassen.

Schönheit in Gefahr: Die Ursache für das mysteriöse Reetdachsterben in Norddeutschland ist gefunden. Greifswalder Mikrobiologen haben fünf holzabbauende Pilze identifiziert, die die schilfbedeckten Dächer innerhalb weniger Jahre verrotten lassen.

(Foto: Foto: dpa)

91 Bakterien- und 68 Pilzstämme identifiziert

Immer mehr Hausbesitzer klagen darüber, dass ihnen die Reetdächer bereits wenige Jahre nach der Eindeckung über dem Kopf verrotten. Der Obermeister der Reetdachinnung in Mecklenburg-Vorpommern, Konrad Engemann, beschreibt das typische Schadensbild so: "Es entstehen Löcher auf dem Dach. Das Reet wird weich und zerbröselt wie ein Sandklumpen in der Hand". In einigen Fällen seien innerhalb weniger Jahre nach der Eindeckung sogar Komplettsanierungen der rund 25.000 bis 40.000 Euro teuren Dächer erforderlich.

Die Gesellschaft zur Qualitätssicherung Reet - ein Zusammenschluss der Reetdachdeckerinnungen der drei Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen - schätzt, dass von den rund 50.000 Reetdächern in Deutschland inzwischen rund 1000 betroffen sind. "Wir haben einen enormen Handlungsdruck", sagt Geschäftsführer Jan Juraschek. Den Gesamtschaden schätzen die Experten inzwischen auf einen zweistelligen Millionenbetrag.

Mikrobiologen der Universität Greifswald und des Instituts für Marine Biotechnologie haben nun das beschädigte Rohr unter die Lupe genommen. Der Naturstoff ist offenbar ein Tummelplatz für eine Vielzahl von Mikroorganismen, denn die Experten fanden neben verschiedenen Algen und Moosen auch 91 Bakterien- und 68 Pilzstämme. Während die überwiegende Mehrzahl der Mikroorganismen völlig ungefährlich für das Rohr ist, erwiesen sich die holzabbauenden Pilze - sogenannte Weißfäulepilze - als besonders aggressiv. Sie zerstören das Lignin, die Grundsubstanz des Holzes.

Aggressiver Pilz lässt Dächer verrotten

Vor allem zwei Vertreter dieser Gruppe, Pycnoporus cinnabarinus und Trametes versicolor, erwiesen sich dabei als besonders fleißig: In Laborversuchen reduzierten sie innerhalb von zehn Wochen rund 80 Prozent der Trockenmasse des Reets, wie der Projektleiter und Mikrobiologe Frieder Schauer sagt. Zudem sei die Elastizität und Stabilität des verbliebenen Reets stark beeinträchtigt. "Diese Pilze, ursprünglich auf kleinen Ästen und Reisig beheimatet, können das Reet sehr effektiv zerstören", sagt Schauer.

Das Problem trat laut dem Greifswalder Pilzexperten Hanns Kreisel erstmals in den 1980er Jahren in Dänemark, später in den Niederlanden auf. Seit rund 15 Jahren wird es auch immer öfter in Norddeutschland beobachtet. Warum sich die Pilze zunehmend auf Reetdächern ansiedeln, ist bisher noch nicht eindeutig geklärt. "Wir gehen aber davon aus, dass die veränderten Umweltfaktoren eine bedeutende Rolle spielen", erklärt Mikrobiologe Schauer. Die Pilze liebten für ihr Wachstum Feuchtigkeit und Temperaturen zwischen 20 bis 35 Grad. Zudem gebe es weniger Winter mit Frosttemperaturen, die das Röhricht absterben ließen. Das Rohr werde somit feuchter geerntet.

Die Gesellschaft zur Qualitätssicherung Reet erwartet von den Forschern nun Handlungsempfehlungen für die rund 300 Reetdachdeckerbetriebe in Deutschlands Norden. Denn nach ihren Erkenntnissen haben auch handwerkliche und konstruktive Fehler beim Bau von neuen reetgedeckten Häusern die Bedingungen für das Wachstum des Pilzes optimiert. So werde das Rohr teilweise vor dem Verlegen nicht mehr ausreichend getrocknet. Die Gaubendächer seien zu flach konstruiert, Bäder und Zimmer in den in früheren Generationen unbewohnten Reethaus-Obergeschossen sorgten dafür, dass auch Feuchtigkeit von innen an das Rohr dringe. Zudem werde angesichts des hohen Marktdrucks immer mehr Rohr aus anderen Ländern importiert - möglicherweise auch Material minderer Qualität.

Die Forscher wollen in einer weiteren Studie die Reetarten auf den Ligningehalt überprüfen. Denn je höher der Holzanteil ist, desto beständiger ist das Rohr gegen die aggressiven Pilze.

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