Reden wir über Geld:"Wir zahlen und zahlen - und sitzen in der Falle"

Die Krise in Griechenland dominiert den Alltag vieler Bürger. Doch wie gehen sie damit um? Die Athener Familie Komninos beschreibt das Leben mit korrupten Politikern, den Umgang mit der Arbeitslosigkeit, die Verzweiflung im Land - und sagt, was sie über Kanzlerin Merkel denkt.

Kai Strittmatter

Athen, eine gemütliche 100-Quadratmeter-Wohnung in einem ruhigen Stadtviertel. Der 44-jährige Architekt Vasilis Komninos und seine 35-jährige Frau Zoe Ganatsious, eine Psychologin, haben zwei Kinder: Tochter Marilena, sechs, und Sohn Dimitris, vier Monate. Die beiden lachen gern, der Familie ging es nicht schlecht. Bislang jedenfalls. Jetzt aber bekommt Komninos keine Aufträge mehr, und das wird wohl auch noch länger so bleiben. Ein Gespräch über das Leben in der Krise.

Reden wir über Geld: Die Familie Komninos: Zoe Ganatsious, Vasilis Komninos und Tochter Marilena.

Die Familie Komninos: Zoe Ganatsious, Vasilis Komninos und Tochter Marilena.

SZ : Griechenland durchlebt turbulente Zeiten. Wie erlebten Sie das letzte Jahr?

Zoe Ganatsious: Es war hart.

Vasilis Komninos: Vor allem emotional, persönlich betraf uns die Krise lange nicht.

Ganatsious: Das kam erst jetzt. Bisher arbeiteten wir beide. Aber seit drei Monaten bekommt Vasilis keine Aufträge mehr. Und Besserung ist nicht in Sicht. Bereits das ganze Jahr über hörten wir all die Gerüchte, was passieren könnte und bekamen das Gefühl, wir dürften der Zukunft kein Vertrauen mehr schenken. Keiner hier weiß, ob er morgen noch Arbeit oder Geld haben wird. Das ist auch traumatisch für die Menschen hier.

Komninos: Wenn du alles anschautest wie eine mathematische Gleichung, war es klar: Wir steuern auf eine Katastrophe zu. Griechenland war immer geprägt von kleinen Familienbetrieben. Nach dem Beitritt zur EU kollabierte dieses Modell.

SZ: Aber oberflächlich schien Griechenland einen Aufschwung zu erleben. Eine Party, wie manche sagten.

Komninos: Ja, auf Pump. Der Staat und die Familien, alle taten das gleiche: Sie begannen auf Pump zu leben. Alle dachten, ok, das Geld kommt ja vielleicht mit dem Tourismus zu uns.

SZ: Machten Sie auch Schulden?

Komninos: Nein, nie.

Ganatsious: Wir konnten nie etwas sparen, aber wir kamen immer gut durch. Erst jetzt merken wir: Das Geld reicht nicht.

SZ: Sind Sie selbständig?

Komninos: Architekten hier arbeiten fast immer selbständig und auf Projektbasis. Unsere Einkommen reichten für ein gutes Leben: Eine Wohnung, ein Auto, ein paar Tage Ferien.

SZ: Wie viel Urlaub machten Sie denn?

Komninos: Dem Gesetz nach haben wir Urlaub für etwa einen Monat, aber weggefahren sind wir immer nur etwa 14 oder 15 Tage im Jahr, für mehr reichte uns das Geld nicht. Die meiste Zeit verbringen wir ohnehin auf einer kleineren Insel oder in dem Heimatdorf von Zoe im Norden, wo ihre Eltern leben.

SZ: Wie viel geben Sie denn aus in einem Urlaubshotel?

Komninos: Im letzten Jahr zahlten wir 35 Euro die Nacht, für die ganze Familie.

SZ: Was dachten Sie denn, als Sie die Mahnung von Kanzlerin Angela Merkel hörten, die Griechen sollten nicht so viel Urlaub machen?

Ganatsious: Mein erster Gedanke war: Die Deutschen sind bestimmt neidisch auf uns. Weil wir die Inseln haben, das Meer und die Sonne. Sie sehen die mediterranen Länder, die Lebendigkeit dort und den Lärm, und sie denken, wir sind faul, aber das stimmt nicht. Ich arbeite 40 Stunden die Woche, Vasilis als Selbstständiger viel mehr. Im Gegensatz zu den Deutschen haben wir jedoch die Gelegenheit zu kleinen Fluchten. Wir können nach der Arbeit schnell noch ans Meer fahren.

"Olympische Spiele - ein Desaster"

SZ: Sie arbeiten als Psychologin in einem Programm für Drogensüchtige. Wurde auch Ihr Gehalt gekürzt?

Ganatsious: Ich bekomme bis zu 15 Prozent weniger. Vor den Kürzungen verdiente ich inklusive Kindergeld 1700 Euro.

Komninos: Und alles wird teurer. Die Steuern gehen hoch. Zigaretten sind um 20 Prozent teurer, sie kosten vier Euro. Benzin kostet 60 Prozent mehr als vor einem Jahr, für den Liter Super zahlt man 1,80 Euro. Ich denke manchmal, Athen ist die teuerste Stadt Europas.

SZ: Wie kommt das?

Komninos: Wir produzieren nichts. Alles kommt von außen. Sogar Zitronen und Obst importieren wir mittlerweile.

SZ: Was bauten Sie als Architekt?

Komninos: Bahnhöfe, Fußgängerbrücken, Häuser und Hotels, alles.

SZ: Waren Sie schon mal arbeitslos?

Komninos: Nein. Im Jahr 2004 wurden hierzulande ja die Olympischen Spiele vorbereitet.

SZ: Es herrschte Goldgräberstimmung.

Komninos: Für Griechenland war es ein Desaster. Baufirmen verdienten zwar ein Riesengeld, in fünf Jahren sollte eine komplett neue Infrastruktur aus dem Boden gestampft werden. Aber das war zu teuer für unser armes Land. Alles war zu unorganisiert und es gab viel Korruption.

Ganatsious: Die Korruption ist noch immer da. Auch im Gesundheitssektor. Ich glaube nicht, dass das besser geworden ist.

Komninos: Arbeitslos zu sein, ist schlimm. Mein Gefühl ist, der ganze Bausektor ist nun tot. Was in der Infrastruktur getan werden musste, ist getan. Und das Land steht voller Geisterstädte. 200.000 neu gebaute Häuser stehen leer. Dabei war ich noch einer der Glücklichen. Viele Kollegen haben schon lange keine Arbeit mehr.

SZ: Architekten sind zusammen mit Rechtsanwälten und Ärzten die Buhmänner der Nation, werden als Steuerhinterzieher an den Pranger gestellt.

Komninos: Das gilt nur für eine kleine Gruppe von Spitzenverdienern. Meine Kunden zahlten mich dagegen nie bar, sondern immer per Überweisung, ich bin für Steuerbehörden leicht kontrollierbar.

SZ: Hat sich Ihr Leben verändert?

Komninos: Wir haben nur mehr ein Gehalt. Und wir haben keine Ersparnisse, auf die wir zurückgreifen konnten. Vorher kamen wir beide zusammen auf 40 oder 45.000 Euro im Jahr, vor Steuern. Davon konnten wir ab und zu ins Restaurant gehen oder ins Theater.

Ganatsious: Jetzt gehen wir nicht mehr aus. Ferien sind gestrichen. Im Supermarkt lassen wir den teuren Käse liegen. Gleichzeitig haben wir mehr Ausgaben mit dem Baby. Unsere Freunde treffen wir jetzt nicht mehr im Lokal, sondern lieber im Park oder gleich zu Hause.

SZ: Sie wirken so zuversichtlich.

Komninos: Lasst uns unsere letzten Tage mit Wein und Rosen genießen...(lacht)

Ganatsious: Wir müssen optimistisch sein. Wir haben zwei Kinder. Aber wir haben keine große Hoffnung für ihre Zukunft. Es gibt keine Jobs. Die Schulen werden schlechter von Tag zu Tag. Gut, sie kosten nichts. Aber sie sind so schlecht, dass wir die Kinder zusätzlich auf private Paukschulen schicken müssen.

Komninos: Im Krankenhaus gilt das Gleiche. Wenn du eine Operation brauchst, dann lässt dich das staatliche Krankenhaus vielleicht ein Jahr warten. Wenn es eilt, musst du in eine Privatklinik. Bislang war es auch üblich, den Ärzten unterm Tisch ein wenig Geld zuzustecken. Aber wir haben das bei der Geburt unseres Sohnes nicht getan. Und wir wurden dennoch sehr nett behandelt.

Ganatsious: Wir sehen nun, was für Glück wir hatten, mit all dem, was wir erleben durften in unserem Leben. Aber was wird mit ihnen? (Sie deutet auf ihre Tochter).

Exodus der jungen Leute

SZ: Viele junge Leute verlassen jetzt das Land.

Komninos: Klar: Vier von zehn Leuten unter 25 sind arbeitslos.

Ganatsious: Es war viel die Rede von der 700-Euro-Generation. Jetzt planen sie, den Mindestlohn unter 600 Euro zu senken. Warum sollten sie hier bleiben? Das ist keine Arbeit mehr, das ist Sklaverei, wenn du jung bist und dein Lohn nicht reicht, um dich selbst zu ernähren.

Komninos: Ein Faktor, der hilft, die Lage stabil zu halten, ist die Familie. Jeder hilft dem anderen. Nur deshalb haben wir noch keine schwere soziale Krise.

SZ: Viele Leute leben von ihren Ersparnissen, weil der Lohn nicht reicht.

Komninos: Was für Ersparnisse? Die meisten Griechen hatten schon vorher bloß Schulden.

SZ: Einige wollen Athen nun verlassen.

Komninos: Ja. Wir denken auch darüber nach.

Ganatsious: Aber es ist nicht einfach. Wir müssen auch an die Kinder denken. Außerhalb Athens sind die Schulen noch schlechter.

SZ: Was halten Sie von der Regierung?

Komninos: Sie führt ein Theaterstück auf. Eine Tragödie. Eine Tragikomödie. Bisher haben sie nur gespart - aber keine einzige Strukturreform durchgebracht. Keine.

SZ: Was muss sich ändern?

Komninos: Sie müssen die Steuern eintreiben von den Reichen. Einer kleinen Schicht von Leuten gehört 90 Prozent des Wohlstandes. Aber bis heute werden alle Ausgaben bestritten von den 90 Prozent der Bevölkerung, die vielleicht zehn Prozent des Volksvermögens besitzen. Der Politik fehlt der Wille, das zu ändern, beide großen Parteien sind verstrickt mit der alten Oligarchie. Wir hatten einmal Könige in Griechenland, einen bayerischen sogar. Wir haben ihn rausgeworfen - jetzt aber haben wir Hunderte von Königen, und sie alle wollen so leben als wären sie der eine Souverän. Dazu halten sie sich Zehntausende Höflinge in Wirtschaft, Politik und Medien. Die ganze Nation arbeitet für sie. Bis heute ist nicht einer von ihnen ins Gefängnis gegangen. Nicht einer. Und nicht ein Politiker ist zurückgetreten.

SZ: Sehen Sie die Gefahr einer sozialen Explosion?

Ganatsious: Natürlich. Uns geht es ja noch gut. Aber es gibt Menschen, die haben nichts mehr zu verlieren. Sie sind verzweifelt.

Komninos: Die Griechen haben sich nie sehr für die Gemeinschaft eingesetzt, immer nur für eigene Firma oder Familie.

Ganatsious: Das liegt auch daran, dass man das Konzept des "Freiwilligendienstes" in schlechten Ruf gebracht hat: Von jungen Leuten wurde jahrelang wie selbstverständlich erwartet, dass sie in Firmen und Institutionen als "Freiwillige" ohne jede Bezahlung arbeiteten, und sie taten das, um einen Fuß in die Türe zu bekommen. Das ist Ausbeutung. Aber wir müssen als Bürger nun aktiver werden. Wir überlegen, den Spielplatz gegenüber selbst zu renovieren, weil er verfällt.

SZ: Nächste Woche soll das Parlament ein neues Sparpaket beschließen. Was bedeutet das für Sie?

Ganatsious: Mehr Sorgen. Mehr Frust. (lacht). Uns wurde etwas anderes versprochen. Nun zahlen wir und zahlen, die Wirtschaft stirbt, der Schuldenberg wächst. Wir sitzen in der Falle. Ich überlege, einen Job im Ausland anzunehmen. Ich habe recherchiert, es gäbe Arbeit für uns in England oder Belgien. Aber Vasilis will nicht.

Komninos: Ich will Bauer werden.

SZ: Im Ernst?

Komninos: Natürlich. Wir werden immer zu essen haben. Und die Welt steuert auf eine große Ernährungskrise zu. Dann werden die Bauern wieder reich. Oliven, Wein, Auberginen, Tomaten, ein paar Ziegen für Milch und Käse, das wär's. Ich überlege mir das ernsthaft.

SZ: Wann fällt die Entscheidung?

Komninos: Ich gebe mir sechs Monate. Dann ist unser Geld weg. Diese Wohnung hier ist nur gemietet.

Ganatsious: Im Notfall können wir ins Dorf meiner Eltern. Das ist unser Sicherheitsnetz.

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