Reden wir über Geld:"Warum sollte ich einem Narren Geld schenken?"

Wu Renbao ist der Patriarch der reichsten Gemeinde Chinas. Wie er unter Mao die Planwirtschaft austrickste - und warum er von Geldpräsenten nichts hält.

Marcel Grzanna

Wu Renbao, 83, ist der Patriarch von Huaxi - der Gemeinde, die mit Abstand das größte Pro-Kopf-Einkommen Chinas aufweist, fünfmal höher als in der Finanzmetropole Shanghai, die nur etwas mehr als 100 Kilometer entfernt liegt. Die Erfolgsgeschichte begann 1961, als die 1500 Einwohner an staatlicher Kontrolle vorbei Agrarwerkzeuge herstellten. Als die Reformpolitik in China anfing, investierte Huaxi in weitere Industriezweige wie Stahl. Und brachte 1999 alle Unternehmen zusammen an die Börse. Die Familien von 1961 besitzen die Aktienmehrheit. Heute leben 60.000 Menschen in dem Ort, der immer noch als Dorf verwaltet wird. Wu Renbao war vor 50 Jahren die treibende Kraft und hat noch heute das Sagen.

Reden wir über Geld: Wu Renbao (Mitte) in den sechziger Jahren: Dem Patriarchen ist Wissen die wichtigste Form des Wohlstands.

Wu Renbao (Mitte) in den sechziger Jahren: Dem Patriarchen ist Wissen die wichtigste Form des Wohlstands.

(Foto: AP)

SZ: Wu Renbao, reden wir über Geld. Sie sind 83 Jahre alt. Ist Geld das Wichtigste, nach dem man im Leben streben kann?

Wu Renbao: Nein, Wissen ist das Wichtigste, nach dem man streben muss. Wissen ist eine Form geistigen Wohlstands und die Basis dafür, Geld zu verdienen. Beide Arten von Wohlstand sind sehr wichtig.

SZ: Ihnen ist es gelungen, viel Geld zu verdienen.

Wu: Als ich jung war, habe ich auf dem Feld gearbeitet und in einer Fabrik. Das waren sehr wertvolle Erfahrungen. Ich habe die Dinge von der Pike auf gelernt und ich habe gelernt, mit anderen Menschen zusammen zu arbeiten. Wer zu Beginn seiner Laufbahn nur auf Geld schaut, der wird am Ende möglicherweise weder geistigen noch materiellen Wohlstand erreichen.

SZ: Aber sie haben sich als junger Mann Mao widersetzt, um Geld zu verdienen. Mit der Entscheidung damals heimlich eine Fabrik aufzuziehen und Werkzeuge zu produzieren, ging es Ihnen doch nicht darum, sich Wissen anzueignen. Es ging ums Geld.

Wu: Es ist sehr wichtig, die Vorgaben der Zentralregierung sehr genau zu befolgen. Die Regeln waren aber nicht eindeutig. Landwirtschaftliche Produktion sollte damals zwar im Mittelpunkt stehen, auch weil das als revolutionär galt. Aber wir haben uns linksradikalen Strömungen nicht angeschlossen. Die Entwicklung anderer Sektoren wurde vom Großen Vorsitzenden Mao Zedong ausdrücklich begrüßt. Damals stand für mich fest, dass die Dorfbewohner von landwirtschaftlicher Produktion nicht reich werden konnten. Also haben wir den Schritt gewagt, weil wir auch gemerkt haben, dass die Beamten auf höheren Ebenen sich nicht einig waren. Wir haben sie streiten lassen, uns heraus gehalten und am Ende Erfolg gehabt.

SZ: Es heißt, Sie haben damals Theater gespielt. Wenn höhere Regierungsbeamte zu Besuch kamen, standen alle Dorfbewohner auf dem Feld. War der Besuch wieder weg, gingen alle zurück in die Fabrik.

Wu: Wenn wir uns an das gehalten hätten, was die unmittelbaren Vorgesetzten von uns verlangten, dann hätte die wirtschaftliche Entwicklung unseres Dorfes darunter gelitten. Wir wären heute niemals dort, wo wir jetzt sind. Deswegen stimmte das, was wir den Beamten erzählt haben, nie mit dem überein, was wir getan haben. Solange wir ihnen sagten, was sie gerne hören wollten, waren sie zufrieden. Es war ein rein formeller Akt, den ich Formalismus gegen Bürokratie getauft habe. Ich denke, es war ein guter Mechanismus, mit dem wir diese Hürde genommen haben.

SZ: Aber das Risiko war groß. Sie hätten es mit dem Leben bezahlen können.

Wu: Ich habe mir nie zu viele Sorgen gemacht. Andere sind für den gleichen Weg, den wir gegangen sind, denunziert worden. Ich hatte das Glück, dass ich nie bestraft wurde.

SZ: Sind Sie also Chinas erster Kapitalist gewesen, der die Fassade des Kommunismus abgelegt hat?

Wu: Ganz egal ob Kommunismus, Kapitalismus oder Sozialismus: Es geht darum, zum Wohl der Bevölkerung das Beste aus allen drei Ismen zu ziehen. Kommunismus kann schnell zum Egalitarismus werden. Ähnliches gilt für den Sozialismus. Kapitalismus dagegen kann eine große Kluft zwischen Arm und Reich fördern. Alle Ismen haben also Nachteile. Ich versuche, die jeweiligen Vorteile zu absorbieren.

SZ: Welche Vorteile sind das?

Wu: Bei uns bekommt jeder Bewohner kostenlos Grundnahrungsmittel zur Verfügung gestellt. Das ist Kommunismus. Sozialismus bedeutet, dass unsere Bürger mehr verdienen, je mehr sie arbeiten. Je weniger jemand zum Gemeinwohl beisteuert, desto weniger profitiert er. Und das Geld, das wir in Huaxi verdienen, wird in Huaxi reinvestiert, was wiederum der Gemeinde zugute kommt. Das ist Kapitalismus.

SZ: Kapitalismus ist auch der gemeinsame Börsengang aller Unternehmen der Gemeinde als Huaxi-Gruppe im Jahr 1999. Denken Sie nicht, dass Sie das Gemeinwohl der Kommune damit aufs Spiel setzen? Was passiert, wenn die Kurse einbrechen?

Wu: Ich bin eher konservativ, weswegen ich den Börsengang bis heute misstrauisch bewerte. Heute mag der Aktienkurs steigen, morgen sinkt er. Ich war der Ansicht, dass es leichter wäre, wenn wir uns auf unsere eigentlichen Industrien konzentrieren. Aber ich habe nicht allein das Sagen. Wir haben damals abgestimmt. 20 von 21 Stimmen waren für den Börsengang, nur ich war dagegen. Vielleicht liegt das an meinem Alter. Die jungen Leute im Dorf haben sich sehr zuversichtlich über den Börsengang geäußert. Um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass ich von der ganzen Materie wenig verstehe. Ich weiß nur, dass es das Allerwichtigste ist für uns, dass unsere Unternehmen gesund bleiben.

SZ: Diejenigen, die am meisten von der Entwicklung ihres Dorfes profitieren, sind diejenigen Familien, die seit 1961 in Huaxi leben. Alle besitzen eine mehrstöckige Villa mit rund 600 Quadratmetern Wohnfläche und dazu zwei Autos. Wer jetzt erst dazustößt, hat nichts dergleichen. Ist Huaxi ist ein exklusiver Klub nur für Mitglieder?

Wu: Jeder, der hier lebt, profitiert vom Wohlstand der Gemeinde. Das beginnt bei der Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und setzt sich fort mit der sozialen Sicherung. Jeder kommt in den Genuss medizinischer Versorgung, von Bildung und einer Rente. Und eine Villa besitzen inzwischen auch viele, die erst später nach Huaxi gekommen sind. Das gilt für 15 bis 20 Prozent unserer Einwohner. Ich bin sicher, dass wir eine breite öffentliche Unterstützung in der Bevölkerung haben. Unsere Gesellschaft hier ist fair, und die Regierung klatscht unserem System Beifall.

SZ: Trotz Ihrer Vergangenheit, in der sie den Anweisungen höherer Beamter nicht gehorcht haben.

Wu: Weil es uns aber gelungen ist, den Aufbau eines neuen ländlichen Chinas im Sinne der Zentralregierung zu vollenden. Das ist uns deshalb gelungen, weil wir eben nicht alle Vorgaben bedingungslos umgesetzt haben, sondern sie pragmatisch an die reale Welt angepasst haben. Mit dieser Strategie haben wir jetzt bereits die zweite Stufe der Entwicklung von Dörfern erreicht, nämlich eine Form der ländlichen Urbanisierung. Ziel ist es letztlich, das Leben besser zu gestalten als in der Stadt und den Bewohnern hier einen größeren Wohlstand zu ermöglichen.

SZ: Bereuen Sie, dass Sie innerhalb der Partei nie Karriere gemacht haben?

Wu: Nein, das bereue ich nicht. Mir sind in der Vergangenheit auch höhere Posten von der Partei angeboten worden. Ich sollte in der Verwaltung eines Einzugsbereichs mit 1,2 Millionen Einwohnern Chef der Disziplinarkommission werden. Aber das habe ich abgelehnt. Ich bin jemand, der häufig das sagt, was er denkt. Auf dieser Parteiebene hätte ich mir sicherlich schnell den Mund verbrannt. Die Aufgabe hier in Huaxi ist genau das Richtige für mich.

SZ: Sie selbst leben nicht in einer Villa, sondern in dem gleichen zweistöckigen Gebäude, in dem Sie seit den siebziger Jahren leben. Haben Sie keine Lust auf das Luxusleben?

Wu: Ich habe nicht das Bedürfnis, in ein teures Haus zu ziehen. Das hat keinen bestimmten Grund. Ich mag einfach die Wohnung sehr gerne, in der ich seit so vielen Jahren lebe.

SZ: Aber Sie haben sich doch schon einmal etwas richtig Teures geleistet, oder?

Wu: Ich glaube, dass man mit Geld immer sehr moderat umgehen sollte. Das wünsche ich mir auch von jedem, der hier in Huaxi lebt. Ausgaben sollten den eigenen Einkünften angemessen sein. Und man sollte abwägen, ob sie wirklich nötig sind. Das halte ich für sehr wichtig. Ich habe ein Haus und ich mag gutes Essen. Luxusartikel kaufe ich mir keine. Denn meine Überzeugung lautet: Selbst wenn du zehn Tonnen Gold zur Verfügung hast, brauchst du nur drei Mahlzeiten am Tag. Und wenn du die teuerste Wohnung zur Verfügung hast, kannst du trotzdem nur in einem Bett schlafen.

SZ: Zum chinesischen Frühlingsfest ist der mit Geld gefüllte rote Umschlag an Verwandte ein traditionelles Geschenk. Machen sie Ihren Enkelkindern Geldgeschenke?

Wu: Nein, das mache ich grundsätzlich nicht. Es würde nur ihre Motivation verderben, eigenes Wissen anzuhäufen. Die Konsequenz daraus wäre dann, dass sie immer weniger nach Wissen streben würden. Und dann macht es erst recht keinen Sinn, ihnen noch mehr Geld zu geben. Warum sollte ich einem Narren Geld schenken?

SZ: Aber mit wachsendem Reichtum der Familien in der Kommune werden doch zwangsläufig mehr Narren heran gezogen.

Wu: Auch wenn wir reich sind, legen wir hier sehr viel Wert auf die Ausbildung unserer Kinder. Wir sind sehr streng, aber sehr erfolgreich. Was wir unseren Kindern vermitteln, ist der Wert und die Bedeutung von harter und akribischer Arbeit.

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