Reden wir über Geld (9): Utz Claassen:"Um Geld kümmert sich meine Frau"

Der ehemalige EnBW-Chef Utz Claassen über Ruhestandsgehälter, warum sich Wirtschaft und Politik nicht immer richtig verstehen - und was es mit seinem Goldkettchen am Handgelenk auf sich hat.

Dagmar Deckstein

Sein Leben lang war Utz Claassen überall der Erste. Mit 17 Jahren legte er in Hannover das Abitur mit einem Notendurchschnitt von 0,72 ab. Joachim Fuchsberger lud ihn deshalb in seine ARD-Sendung ,,Auf los geht's los'' ein. Mit 22 hatte Claassen fertig studiert, mit 25 promoviert. Danach war er Manager bei McKinsey, Ford Europa, VW und EnBW, wo er 2007 ausschied.

Reden wir über Geld (9): Utz Claassen: Utz Claassen: Der einstige EnBW-Chef grübelt noch über seinen nächsten Job.

Utz Claassen: Der einstige EnBW-Chef grübelt noch über seinen nächsten Job.

(Foto: Foto: Getty)

SZ: Herr Claassen, reden wir über Geld. Sie sind seit viereinhalb Monaten arbeitslos. Sie sagten einmal, in diesem Fall könnten Sie auch mit Ihrer Frau T-Shirts am Strand von Bali verkaufen.

Claassen: Also ich bin keinesfalls "arbeitslos", sondern habe immer noch sehr viel zu tun, in aller Regel immer noch einen 16-Stunden-Tag. Mit dem Unterschied, mich jetzt auch inhaltlich und konzeptionell mit solchen Themen befassen zu können, um die sich ein Vorstandschef üblicherweise nicht in der gebotenen Tiefe und Differenziertheit kümmern kann. Der Strand von Bali ist nach wie vor verlockend, es ist nur mit einer zweijährigen Tochter im Moment vielleicht nicht der ideale Zeitpunkt.

SZ: Mit welchen Themen befassen Sie sich denn bis zu 16 Stunden am Tag?

Claassen: Beispielsweise mit sehr grundsätzlichen Fragen unserer Wirtschaftspolitik, Ordnungspolitik und Energiepolitik. Ebenso mit dem Werteverfall in unserer Gesellschaft. Und natürlich mit meiner Lehrtätigkeit an der Universität in Hannover sowie meinem Engagement als Vorsitzender der spannenden BDI-Initiative "Innovationsstrategien und Wissensmanagement".

SZ: In Ordnung finden es manche nicht, dass Sie mit Ihren 44 Jahren von der EnBW ein Ruhestandsgehalt von 400.000 Euro im Jahr bekommen - und das für die nächsten 19 Jahre. Sie etwa?

Claassen: Zunächst einmal ist der zum Teil gezielt öffentlich erweckte Ein-druck, dass es sich bei meiner vertraglichen Vereinbarung um eine ganz besondere, gar singuläre Regelung handele, objektiv falsch. Fakt ist, dass das mir zustehende Ruhegehalt im Prozentsatz sogar unterhalb des Marktüblichen liegt, und Fakt ist auch, dass mir eine ganze Reihe von Vorstandschefs bekannt sind, die weit mehr als das Doppelte an Ruhegehaltsansprüchen haben. Im Übrigen steht es zwei Vertragspartnern frei, Dinge zu vereinbaren, die sie für richtig und für angemessen halten.

SZ: Es ist trotzdem viel Geld. Hat Ihre Sanierungsarbeit dem EnBW-Konzern wenigstens einen vernünftigen Gegenwert gebracht?

Claassen: Ja! Im Übrigen war es die Sanierungsarbeit der ganzen Belegschaft! Alle zusammen haben viele Milliarden Euro Wert für die Aktionäre geschaffen.

SZ: Sie haben in Ihrer Schulzeit zwei Klassen übersprungen und mit 17 sowie einem Notendurchschnitt von 0,72 Abitur gemacht. Schon als Teenie sahen Sie sich dereinst einmal an der Spitze eines Unternehmens. Wegen des Geldes?

Claassen: Ich hatte damals gar keine konkrete Vorstellung darüber, wie viel oder wie wenig Geld es dort zu verdienen geben würde. Nein, ich wollte ins Topmanagement wegen der damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten.

SZ: Ihr Lebensstil scheint unprätentiös: Sie trinken vorzugsweise Cola light, gehen gern - auch nach Mitternacht - zu McDonald's. Was machen Sie mit Ihrem vielen Geld? Bei EnBW waren es zum Teil mehr als vier Millionen Euro jährlich.

Claassen: Ich habe ja nie vorrangig gearbeitet, um viel Geld zu verdienen. Ich habe in meinem Leben glaube ich noch keine zwei Stunden mit Bankern über mögliche private Geldanlagen geredet. Natürlich freut man sich, wenn man sehr gut verdient. Es ist einerseits eine Anerkennung für die Arbeitsleistung und andererseits komfortabel, nicht mit jedem Cent rechnen zu müssen. Dafür bin ich sehr dankbar, zumal ich mir sehr bewusst bin, dass es vielen Menschen nicht so gut geht und viele durchaus mit jedem Cent rechnen müssen.

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"Um Geld kümmert sich meine Frau"

SZ: Wie muss man sich so einen Geldfluss vorstellen: Jeden Monat läuft eine fünfstellige Summe aufs Girokonto?

Claassen: Also, um das Geld kümmert sich bei mir ausschließlich meine Frau. Wenn Sie sich als Vorstandschef oder früher als Finanzvorstand den ganzen Tag um Geld, um Zahlen, um Finanzielles kümmern müssen, dann haben Sie im Privaten keine Lust mehr, sich ebenfalls den ganzen Tag damit zu beschäftigen. Auch zwischen meiner Frau und mir sind Geldanlagestrategien noch nie Gegenstand einer Diskussion gewesen.

SZ: Dann können Sie vermutlich mit Horaz nichts anfangen, der sagte: Dem Wachstum des Geldes folgt die Sorge.

Claassen: Die Vorstellung, mit immer mehr Geld würde die Lebensqualität und die Zufriedenheit immer mehr steigen, ist eine Illusion. Ein Beispiel: Als ich das erste Mal in Spanien im Urlaub war, ging ich in ein Ein-Sterne-Hostal in Lloret de Mar. Dann folgten Zwei-, Drei-, Vier-Sterne-Hotels in Mallorca. Inzwischen kann ich mir auch Fünf-Sterne-Hotels leisten und Fernreisen - etwa nach Bali. Aber die Zufriedenheit im Fünf-Sterne-Luxushotel ist nicht größer als die im Ein-Sterne-Hostal, im Gegenteil: Man hat ja plötzlich ein ganz anderes Erwartungsniveau. Da bemängelt man plötzlich noch die kleinste Kleinigkeit, die eigentlich gar nicht bemängelnswürdig ist, wohingegen man im Hostal auch gröbere Unzulänglichkeiten klaglos weggesteckt hat. Zudem hat Horaz ohnehin recht: Je mehr man hat, desto mehr macht man sich Gedanken, umso mehr muss man sich kümmern.

SZ: Kein Porträt über Utz Claassen, das versäumte, Ihr nicht gerade unauffälliges Goldkettchen am Handgelenk zu erwähnen. Was hat es damit auf sich?

Claassen: Diese Goldkette war ein Geschenk meiner Eltern zu meinem 25.Geburtstag. Insofern ist sie für mich eine permanente Erinnerung an meine Eltern, besonders an meinen inzwischen leider verstorbenen Vater. Insofern würde ich auch nicht auf die Idee kommen, sie auch nur eine Minute nicht zu tragen.

SZ: Manche mokieren sich aber gerade über dieses Goldarmband.

Claassen: Das zeigt, wie sehr wir uns in Deutschland oftmals mit Oberflächlichkeiten abgeben, in welcher in manchen Teilen spießigen und auf Uniformität ausgerichteten Gesellschaft wir eigentlich leben. Ex-Citigroup-Chef Sandy Weill, einer der überragenden Banker unserer Zeit, trägt eine Goldkette um den Arm, die ein gutes Stück dicker und auffälliger ist als meine. In den USA thematisiert das niemand. Aber unser beider Goldketten waren der Beginn einer guten Freundschaft. Als ich Sandy Weill zuletzt in Frankfurt traf, hat er, als er mir die Hand gab, als erstes meine Manschette hochgeschoben und geschaut, ob die Goldkette noch da war.

SZ: Welche Rolle spielte Geld in Ihrem Elternhaus?

Claassen: Geld war nichts, was im Überfluss da war, denn mein Vater war Beamter und hatte noch eine Frau und zwei Kinder aus seiner ersten Ehe zu versorgen. Wir haben bescheiden, aber reich an familiärer Harmonie gelebt, ohne über das Thema Geld groß zu reden.

SZ: Ihre Einladungen an Politiker zu WM-Fußballspielen waren Gegenstand eines Prozesses. Sie haben gewonnen. Werden Sie Politikern auch künftig Einladungen zukommen lassen?

Claassen: Das Landgericht Karlsruhe hat ja inzwischen mit nicht zu überbietender Klarheit deutlich gemacht, dass es mein Verhalten nicht für rechtswidrig oder gar strafbar hielt. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Deutschland grundsätzlich mehr und nicht weniger Kontakt zwischen Politik und Wirtschaft brauchen. Die Politik hat häufig unzureichende Kenntnisse über ökonomische Zusammenhänge, und die Wirtschaft hat häufig unzureichendes Verständnis für politische Abläufe. Ich werde auch weiterhin im Rahmen des Zulässigen an diesem Diskurs teilhaben.

SZ: Sie hätten sich vor Prozesseröffnung mit einem Bußgeld von 2500 Euro aus der Affäre ziehen können. Im späteren Verfahren forderte die Staatsanwältin eine Geldstrafe von 450.000 Euro für Sie. Eine interessante Relation.

Claassen: Mit dieser Relation hat sich der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung in angemessener Deutlichkeit befasst, sodass ich dazu nichts weiter sagen möchte. Als ich die Geldauflage ablehnte, war für mich entscheidend, dass Schuld und Unschuld keine relativierbaren Begriffe sind. Ich hätte nicht einmal einen Euro gezahlt, selbst dann nicht, wenn man ihn mir geschenkt hätte, weil ich von meiner Unschuld überzeugt war. Das gebot mir auch mein Respekt vor dem Rechtsstaat.

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"Um Geld kümmert sich meine Frau"

SZ: Man hat Ihnen einmal Geld angeboten, damit Sie der Übernahme eines deutschen Unternehmens durch ein ausländisches zustimmen. Sie haben abgewinkt - warum?

Claassen: Weil für mich Schwäche, Erpressbarkeit und Bestechlichkeit sowie alle Formen von Korruption verachtungswürdig sind. Über so ein Angebot denke ich nicht eine Sekunde lang nach.

SZ: Wie viel Geld bot man Ihnen an?

Claassen: Einen zweistelligen Millionen-Dollar-Betrag.

SZ: Und Sie sagten trotzdem Nein?

Claassen: Ja, klar. Man muss allerdings auch feststellen, dass Unbestechlichkeit häufig zu Folgeproblemen führt, weil die Welt vielfach andere Erwartungen hat. Auch ich habe häufig Querschüsse und Widrigkeiten erlebt, die mir erspart worden wären, wenn ich diesbezüglich "pflegeleichter" gewesen wäre.

SZ: Kommt Wirtschaft also ohne Beziehungspflege vulgo: Korruption aus?

Claassen: Ja, aber man darf hier nicht pharisäerisch sein. Ganz klar, man kann, soll, muss ohne Korruption auskommen. Punkt. Ich selbst habe aber immer in Branchen gearbeitet, in denen das im Hinblick auf die Kundenseite einigermaßen unproblematisch war: Autos, Strom, Analysewaagen. Es mag Geschäftsfelder und Regionen in der Welt geben, in denen die Marktgegebenheiten ganz andere sind. Ich würde nicht voreilig Menschen verurteilen wollen, die in solchen Regionen und solchen Märkten tätig sind und sich an diesen bestimmten Gegebenheiten orientieren müssen.

SZ: Sie haben sicher schon neue Jobangebote erhalten.

Claassen: (nickt)

SZ: Haben Sie schon entschieden?

Claassen: (lächelt und schüttelt den Kopf)

SZ: Was würden Sie am liebsten machen?

Claassen: Mit zunehmendem Fortschritt im persönlichen Werdegang wird die Frage der Position, des Status und des Einkommens zunehmend weniger relevant. Das wird oft falsch gesehen, weil wir in einer sehr positionalen Gesellschaft leben - leider. Zunehmend relevant wird: Wie viel Prozent meiner Arbeit muss ich mit Administration, exzessiven Abstimmungsprozessen, Abwehr von Intrigen und Ähnlichem verbringen. Und wie viel meiner Zeit kann ich nutzen für zukunftsorientierte Gestaltung, für sinnhafte Strategie und analytisch-intellektuelle Themen. Kurz: Wie viel Zeit muss ich politischer Komplexität opfern, wie viel Zeit kann ich ökonomischer Rationalität widmen? Das wird für mich in der Zukunft das entscheidende Selektionskriterium sein.

SZ: Welcher Posten könnte das sein?

Claassen: Ich glaube, meine Kernkompetenz ist, Veränderungsprozesse mit einem Team zu gestalten und dabei das Team zu Zielen und Leistungen zu führen, die es allein nicht erreicht hätte. Wohl wissend, dass ich es alleine auch nicht hätte erreichen können. Diese Kompetenz lässt sich recht breit einsetzen.

SZ: Auch in der Politik zum Beispiel?

Claassen: Meine Frau hat mit mir gestern Nacht zwischen ein und 2.30 Uhr gerade diskutiert, ob man solch eine Kernkompetenz zur gegebenen Zeit nicht auch einmal im gesellschaftlich-sozialen Bereich einsetzen könnte.

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