Reden wir über Geld (28): Reinhard Siekaczek:"Eine Million in der Aktentasche"

Reinhard Siekaczek trat die Siemens-Korruptions-Affäre los - das erste Interview nach dem Urteil.

H. Freiberger, A. Hagelüken, K. Ott

Am 15. November 2006 um sechs Uhr morgens klingelte die Münchner Staatsanwaltschaft bei Reinhard Siekaczek. Die Ermittler erlebten eine Überraschung: Der Ex-Direktor half mit zahlosen Dokumenten, das Schmiergeld-System beim Weltkonzern Siemens zu enttarnen - dem größten Korruptionsfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Er wurde diese Woche zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung und 108.000 Euro Geldbuße verurteilt, die er noch aus seinen Ersparnissen bezahlen kann. Danach muss sich der 57-Jährige einen neuen Job suchen - "eher im Ausland, denn in Deutschland ist mein Name wohl verbrannt", sagt er in seinem ersten Interview.

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Der Mann, der über Siemens auspackte: Reinhard Siekaczek.

(Foto: Foto: dpa)

Siekaczek ist skeptisch, ob sich Korruption auf diesem Erdball abschaffen lässt ("Es wird immer Leute geben, die an den Honigtopf wollen") und gibt erstaunliche Einblicke in die Innenwelt des Konzerns: Wie die Manager über die Schmiergeld-Praktiken scherzten und in Bayern auf politischen Schutz hofften. Und wie Siekaczek nach seinen Enthüllungen Rache fürchten musste.

SZ: Herr Siekaczek, reden wir über Schmiergeld. In einem Hollywood-Film spielt Leonardo DiCaprio einen Hochstapler, der erwischt wird - und Karriere bei den Behörden macht, weil er die Tricks der Hochstapler kennt wie kein anderer. Sie kennen die Tricks beim Schwarzgeld wie wenige andere. Heuern Sie jetzt als Anti-Korruptions-Guru an?

Reinhard Siekaczek: Ich habe dem Landeskriminalamt bei meinen Vernehmungen mehr so im Scherz angeboten, als Berater zu arbeiten, für 'n Appel und 'n Ei. Die haben gleich gesagt, in meinem Alter geht das nicht mehr.

SZ: Und für eine Firma? Sie sind doch erst 57.

Siekaczek: In der freien Wirtschaft geht ab 50 Jahren sowieso nix mehr. Es springen in den Firmen so viele junge Juristen frisch von der Uni herum, die sich um Korruption kümmern. Allerdings ohne die Praxis zu kennen.

SZ: Also zur Praxis. Wann haben Sie bei Siemens zum ersten Mal das Wort Schmiergeld gehört?

Siekaczek: Das habe ich in 38 Jahren ganz selten gehört.

SZ: Wie bitte?

Siekaczek: Das Wort Schmiergeld war verpönt. Es war immer von NA die Rede.

SZ: NA?

Siekaczek: Nützliche Aufwendungen.

SZ: Aha. Und Korruption hieß . . .

Siekaczek: . . . "das Thema".

SZ: Wann hatten Sie zum ersten Mal mit "dem Thema" zu tun?

Siekaczek: Mitte der neunziger Jahre wurde ich versetzt und entdeckte an meiner neuen Stelle in den Büchern NA beziehungsweise Provisionen, die mir hoch erschienen, und fragte nach.

SZ: Und?

Siekaczek: Es hieß, diese Summen verwaltet der kaufmännische Leiter.

SZ: Das reichte Ihnen.

Siekaczek: Später wurde ich selbst kaufmännischer Leiter. Mitarbeiter kamen, um sich NA unterschreiben zu lassen, Zahlungen nach Libyen und so. Ich fragte: Wofür ist das? Antwort: Das wollen Sie nicht wirklich wissen.

SZ: Sie wussten worum es ging.

Siekaczek: Die Manager redeten mit einem Augenzwinkern darüber. Einer sagte, "Was glaubt ihr, wieso wir alle diese Aufträge für Telekom-Anlagen aus Russland oder Afrika bekommen? Weil unsere Produkte so toll sind? Oder weil wir so nett sind?" Dann lachten alle.

SZ: 1999 stellte die Bundesregierung Bestechung im Ausland unter Strafe. Da muss Ihnen klar gewesen sein, dass Sie Illegales tun und riskieren, dass Sie in den Knast kommen.

Siekaczek: Zu der Zeit wies ein Rundschreiben aus der Zentrale auf die Strafbarkeit hin. Wir haben es gelesen und abgeheftet. Wir dachten, wenn mal was passiert, wird es sowieso Schutz geben.

SZ: Wie kamen Sie darauf?

Siekaczek: Es gab ja einen Fall, bei dem ein Zentralvorstand offensichtlich die Wirtschaftsprüfer angewiesen hatte, bestimmte Praktiken nicht zu durchleuchten. Ein Vorstand unserer Telekom-Sparte hatte immer den Spruch drauf: "Wenn mal was ist, haben wir jemanden, der mit einem von der Justiz in die Sauna geht. Dann ist das geregelt."

SZ: Das hat Sie beruhigt?

Siekaczek: Das hat uns beruhigt. Es gab auch ständig neue Begründungen, warum geschmiert werden musste. Erst zahlte man, um den Auftrag zu bekommen, dann für die Einfuhrgenehmigung in das Land, später, damit der Kunde die Ware überhaupt bezahlte. Oder: Mitarbeiter in Osteuropa oder Afrika sagten: "Es gibt Versprechungen, wenn Ihr nicht zahlt, ist unser Leben in Gefahr."

SZ: Stimmte das?

Siekaczek: Tatsache ist, dass Mitarbeiter anderer Firmen in solchen Ländern entführt wurden, Siemens-Leute nicht.

Auf der nächsten Seite: Drei Russen, groß wie Schränke, vor dem Haus.

"Eine Million in der Aktentasche"

SZ: Haben Sie Drohungen erlebt?

Reden wir über Geld (28): Reinhard Siekaczek: Reinhard Siekaczek bei Beginn des Prozesses mit seinen Anwälten Wolfgang Kreuzer und Uwe von Saalfeld (von rechts).

Reinhard Siekaczek bei Beginn des Prozesses mit seinen Anwälten Wolfgang Kreuzer und Uwe von Saalfeld (von rechts).

(Foto: Foto: AP)

Siekaczek: Ein Vorstand wollte einmal Zahlungen stoppen. Da sagte ein Kollege: "Der wird schon sehen, was passiert, wenn die drei Russen, groß wie Schränke, vor seinem Haus stehen."

SZ: 2002 wurden Sie endgültig zum "Herrn der schwarzen Kassen", wie die Staatsanwälte sagten. Sie stellten 50 Millionen Euro Schmiergeld bereit.

Siekaczek: Wir saßen mit fünf, sechs Leuten beim "Alten Wirt" in Forstenried. Das Top-Management fürchtete, dass es einen Wildwuchs gibt, man wollte eine zentrale Kasse. Dann hieß es, wer übernimmt das? Alle schauten mich an.

SZ: Warum haben Sie nicht Nein gesagt?

Siekaczek: Wir haben kalkuliert, ohne Aufträge aus den Ländern, wo man schmieren muss, fällt eine Milliarde Euro Umsatz weg. Das war jeder vierte Euro Umsatz in diesem Bereich. Das ganze Telefon-Netzwerk-Geschäft mit 50.000 Mitarbeitern war dem Tod geweiht, das wäre untergegangen.

SZ: Ihre Aktion war umsonst, ein paar Jahre später wurde dieses Geschäft sowieso verkauft.

Siekaczek: Ja, aber damals fühlten wir uns solidarisch mit unserer Sparte. Die Runde, die im "Alten Wirt" zusammensaß, hatte zusammen mehr als 130 Berufsjahre bei Siemens auf dem Buckel. Wir haben rund um die Uhr geschuftet, damit der Laden nicht unterging. Außerdem wussten wir doch, dass quer durch den Konzern so vorgegangen wurde, nicht nur in unserer Sparte.

SZ: Das klingt ja sehr edel. Haben Sie nicht deshalb den Schwarze-Kassen-Mann gemacht, weil es eine Anerkennung für Sie war, als Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen, als einziger Nicht-Akademiker im Kreise der Direktoren?

Siekaczek: Nein, nein.

SZ: Wie schwierig war es, dieses von außen undurchschaubare Geflecht von Scheinzahlungen über mehrere Kontinente aufzubauen?

Siekaczek: Ich habe das Modell ja übernommen. Das war keine große Sache. Der Treuhänder in Liechtenstein wollte ein Papier, das meine Berechtigung nachwies, für Siemens Konten zu eröffnen. Das hat die Rechtsabteilung bestätigt.

SZ: Die Rechtsabteilung des Weltkonzerns Siemens hat das bestätigt?

Siekaczek: Ja.

SZ: Wie haben Sie den Mitarbeitern Geld übergeben, damit die global schmieren konnten?

Siekaczek: Ich habe mehrere Male in der Schweiz oder in Liechtenstein Bargeld von einem Treuhänder erhalten und dann das Geld weitergereicht. Eine Million Euro passen bequem in so eine Tasche (er zeigt auf seine Aktentasche).

SZ: Hatten Sie nicht Angst, dass Ihnen die Million geklaut wird? Dass Sie einen Unfall haben oder kontrolliert werden?

Siekaczek: (lacht) Polizeikontrollen muss man zwischen Liechtenstein und der Schweiz nicht fürchten. Und vorm Klauen hatte ich keine Angst. Ich bin kein ängstlicher Mensch. Wenn einer mit dem Geld nach Nigeria fährt, ist das was anderes. Da wurden unsere Geldboten von bezahlten Offiziellen durch die Kontrollen gelotst und mit zwei gepanzerten Fahrzeugen abgeholt.

SZ: Wieso mit zwei Autos?

Siekaczek: Im zweiten Auto saßen die Bodyguards. In Nigeria werden Sie schon für tausend Dollar erschossen, und unsere Leute hatten ja mehr dabei.

Auf der nächsten Seite: Ordner voller Kopien, in Schließfächern in der Schweiz.

"Eine Million in der Aktentasche"

SZ: Wann dachten Sie das erste Mal, alles fliegt auf?

Siekaczek: Uns Managern war allen klar, dass wir etwas Strafbares tun. Ich betone: Das war allen klar, bis nach ganz oben. Ich habe mir von Anfang an gezielt Kopien gemacht, um mich abzusichern, falls man alles auf mich schieben sollte. Was dann ja auch tatsächlich versucht wurde. Da kamen 39 Ordner zusammen. Kopien von einem Teil des Materials habe ich in Schließfächern in der Schweiz aufbewahrt, vorsichtshalber.

SZ: Dann kam die Razzia am 15. November 2006.

Siekaczek: Ich hatte die ganze Nacht Vorahnungen. Im Ausland ermittelten ja schon Staatsanwälte. Um sechs Uhr morgens klingelt es an der Tür. Ich öffne im Schlafanzug, draußen steht ein halbes Dutzend Polizisten und Staatsanwälte. Beim ersten Verhör sagte die Staatsanwältin: "Der frühe Vogel fängt den Wurm." Ich hatte schon länger mit meinem Anwalt über eine Selbstanzeige gesprochen und war deshalb ohnehin darauf vorbereitet, auszupacken. Das habe ich dann auch gleich getan und auf eine milde Strafe gehofft.

SZ: Ohne Sie hätte die Justiz den Siemens-Dschungel mit all seinen Nutznießern in aller Welt nicht gelichtet. Hatten Sie keine Angst vor Rache?

Siekaczek: Naja, es gab schon Vorkommnisse. Ein Mitarbeiter von uns ist mit Vollgas gegen einen Baum gefahren, offenbar Selbstmord. Am Abend davor soll er einen Anruf aus Moskau bekommen haben, er solle bloß die Klappe halten.

SZ: Hatten Sie selbst Angst?

Siekaczek: Richtig besorgt war ich Ende 2007, als das Wall Street Journal die Liste mit Schmiergeldempfängern in Libyen, Russland oder Nigeria veröffentlichte. Da standen die ganzen Leute drin, die nach meinen Aussagen aufgeflogen waren. Ab da habe ich nach links und rechts geschaut, wenn ich das Haus verließ.

SZ: Bot Ihnen die Justiz Schutz an?

Siekaczek: Die Staatsanwälte wollten mir am Anfang sogar eine neue Identität geben, einen neuen Namen und so. Ich sagte, das ist Quatsch, meine Kinder studieren hier, wir können nicht nach Buxtehude gehen. Sie haben dann ein Polizeiauto drei oder vier Mal am Tag vor meinem Haus patrouillieren lassen.

SZ: War was?

Siekaczek: Einmal stieg ich mit meinem Sohn ins Auto. Da fuhr ein dunkler Wagen heran, drinnen zwei Männer, und folgte uns. Ich hab sofort nervös beim Landeskriminalamt angerufen und die Autonummer durchgegeben. Nach fünf Minuten kam der Rückruf: "Keine Sorge, das sind unsere Leute." Ich hab' gesagt: "Gebt halt Bescheid, wenn Ihr statt Polizeiautos plötzlich Zivilstreifen schickt."

SZ: Wie reagierten Ihre ehemaligen Kollegen auf Ihre Enthüllungen?

Siekaczek: Manche gaben zu verstehen, dass sie mich für einen Verräter halten. Andere wollten mich treffen, da kam so eine Mischung aus Bitten und Drohungen. Meist drohten sie mit der Veröffentlichung irgendwelcher Dokumente. Aber was sollte mich noch belasten?

Auf der nächsten Seite: Nächte nur mit Schlaftabletten.

"Eine Million in der Aktentasche"

SZ: Sie blieben gelassen?

Siekaczek: Wenn man alles ernst nimmt, geht es einem zum Schluss wie dem armen Kollegen, der an den Baum gerast ist. Das ist das schlimmste Vorkommnis in der ganzen Sache.

SZ: Sie wirken tatsächlich gelassen.

Siekaczek: Ich war jahrelang in leitender Funktion in Geschäftsbereichen, die von Schließung bedroht waren. Sozialpläne, Entlassungen - da brauchen Sie ein dickes Fell, wenn Sie das durchstehen wollen. Aber in letzter Zeit gab es viele Nächte, die ich nur mit Schlaftabletten durchstand.

SZ: Warum?

Siekaczek: Da dachte ich auf einmal: Du musst doch ins Gefängnis. Obwohl du ausgepackt hast.

SZ: Sie hatten ja auch jahrelang ein Bestechungs-Netzwerk organisiert. Warum fürchteten Sie das Gefängnis so?

Siekaczek: Ich habe enge Bindungen zu meiner Familie, meine Eltern sind betagt. Da wäre es ein Horror, mehrere Jahre weggesperrt zu sein.

SZ: Haben Sie mal bereut, ausgepackt zu haben?

Siekaczek: Ja, in den vergangenen Wochen, als ich fürchtete, in den Knast zu kommen.

SZ: Vor drei Jahren saßen Sie mit einem Topmanager im Biergarten und haben nochmal über das ganze Bestechungs-Netzwerk gesprochen. Später hat der Mann Sie verleugnet.

Siekaczek: Ich hatte ihm eine harmlose Mail geschrieben und um einen kleinen Gefallen gebeten. Er war nicht mehr bei Siemens, ich auch nicht. Er teilte mir über seinen Anwalt mit, er verbitte sich jede Kontaktaufnahme. Das war eigentlich nur peinlich. Wir kennen und duzen uns seit 1990. Das war bitter.

SZ: War es auch deshalb bitter, weil Sie wie ein Befleckter dastanden und er wie ein Saubermann?

Siekaczek: Ja, genau. Noch einen Monat vor der Razzia der Staatsanwälte hatten wir bei ihm im Büro gescherzt. Ich sagte: In deinem neuen Job solltest du nicht mehr so viele Belege für bestimmte Zahlungen persönlich unterschreiben.

SZ: Sie sind als Erster für das Schmiergeld-System verurteilt werden. Glauben Sie, dass viele Menschen Sie für den Hauptschuldigen halten, dass Sie das Gesicht der Affäre werden?

Siekaczek: In manchen Artikeln stand schon, ich hätte die Korruption bei Siemens erfunden. Da kann man verzweifeln. Oder verrückt werden.

SZ: Top-Manager und Zentralvorstände von Siemens betonen bisher, sie hätten nichts gewusst.

Siekaczek: Das ist völlig unglaubwürdig. Das ist so hanebüchen.

SZ: Befürchten Sie, dass man die Kleinen verurteilt und die Großen laufen lässt?

Siekaczek: Ja.

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