Reden wir über Geld:"Nicht verrückter als auf dem Fußballplatz"

Der Finanzprofessor Weber über die Fehler der Anleger und warum die Börse rationaler ist als die Trainer-Transfers von Bayern München.

C. Hoffmann

Der Wirtschaftsprofessor Martin Weber, 57, lehrt an der Uni Mannheim. Seine Schwerpunkte sind Bankbetriebslehre und Behavioral Finance. Er beschäftigt sich also mit der Frage, welche Rolle menschliche Schwächen am Finanzmarkt spielen. Unverblümt kritisiert er die Marketingtricks der Finanzindustrie - und versucht die Anleger zu missionieren. Börsenprognosen hält er für Scharlatanerie.

Martin Weber, oh

Kritiker der Finanzindustrie: Der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Martin Weber hält Börsenprognosen für Scharlatanerie.

(Foto: Foto: oh)

SZ: Herr Weber, was haben die Deutschen aus zwei Aktiencrashs in einem Jahrzehnt gelernt?

Martin Weber: Jedenfalls nicht genug. Sie haben zwar gelernt, dass Aktien riskante Papiere sind, deren Kurse nicht nur steigen. Doch sie ziehen daraus die falsche Schlussfolgerung und investieren gar nicht mehr in Aktien.

SZ: Was empfehlen Sie Privatanlegern?

Weber: Als Wissenschaftler sage ich ihnen: Die Anlageentscheidung ist unabhängig von der Börsenlage, sie ist dieselbe vor der Krise wie in der Krise und nach der Krise. Am Kapitalmarkt ist der Preis für höhere Renditen ein höheres Risiko. Und Risiko heißt eben, dass die Kurse mal steigen und mal fallen. Deshalb muss man sein Vermögen auf riskante und sichere Anlagen aufteilen. Wenn man dann verliert, ist es traurig. Aber da kann man nichts machen. Aktionäre müssen damit rechnen, dass auch mal was schiefgeht.

SZ: Im Januar 2008 antworteten Sie im Interview auf die Frage, ob Anleger ihre Aktien verkaufen sollten: Der Kleinanleger soll sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und die Zeitung zuschlagen...

Weber: ...besser den Sportteil lesen als den Wirtschaftsteil.

SZ: So viel Gelassenheit hat den Kleinanleger viel Geld gekostet. Bereuen Sie Ihren Rat?

Weber: Nein. Man kann sogar sagen: Die Tatsache, dass die Anleger Verluste erlitten haben, zeigt gerade, dass ihre Investition riskant war. Nur wer etwas riskiert, kann eine positive Rendite erwarten, die über dem Tagesgeldzins liegt. Sie können als Unternehmer - und das sind Sie ja als Aktionär - nur dann dicke Zigarren rauchen, wenn Sie auch die Risiken tragen können.

SZ: Es wäre Anfang 2008 aber besser gewesen, die Aktien zu verkaufen.

Weber: Ich hätte mir meine Verluste auch gern erspart. Aber niemand kann wissen, wann und wo Anleger am besten investieren. Das Timing gelingt weder Profis noch Wissenschaftlern - und dem Privatanleger erst recht nicht. Nur Frau Schlotterbeck aus dem Kinderbuch "Räuber Hotzenplotz" hat eine Kristallkugel, mit der sie die Zukunft lesen kann. Alle anderen wissen nicht Bescheid, wie sich die Kurse entwickeln.

SZ: Heißt das: Einsteigen geht immer? Es ist völlig egal, wann ich Aktien kaufe?

Weber: Wenn man eine Anlageentscheidung trifft, muss man die Vergangenheit völlig ausblenden. Es spielt keine Rolle, ob ein Kurs gestiegen oder gefallen ist. Das bedeutet nichts für die Zukunft. Aktienkurse gehorchen dem Zufall.

SZ: Was heißt das?

Weber: Zufall heißt, dass wir nicht vorhersagen können, wie die Börsenkurse morgen sein werden. Sie können steigen, fallen oder fast gleich bleiben - ohne dass wir es heute schon wissen oder auch nur erahnen können.

SZ: So fatalistisch wie Sie den Aktienmarkt betrachten, ist die Börse für den Anleger ein reines Lotteriespiel. Ich weiß nie, geht es hoch oder runter?

Weber: Das Tolle an diesem Lotteriespiel ist doch: Am Aktienmarkt kann der Anleger einen positiven Trend erwarten, und dieser ist in der Vergangenheit auch eingetreten. Wenn Sie die vergangenen 100 Jahre betrachten, haben Sie mit Aktien eine Rendite von fünf Prozent im Jahr erzielt - nach Inflation. Das ist doch phantastisch! Aber es bedeutet natürlich nicht, dass Sie in jedem einzelnen Jahr fünf Prozent bekommen.

SZ: Müssen es unbedingt Aktien sein?

Weber: Aktien bilden nun mal die Produktivkräfte der Welt ab. Vor 100 Jahren hatten normale Bürger keine Chance, sich daran zu beteiligen. Dafür musste man Unternehmer sein. Heute hat jeder mit der Aktie diese Möglichkeit. Ohne sich groß über einzelne Firmen informieren zu müssen, können sie einen Aktienindex kaufen und im Markt mitschwimmen. Diese Chance muss man nutzen.

Im zweiten Teil: Die Sünden der Anleger - und warum die Börse rationaler ist, als die Transfers von Bayern München.

"An der Börse geht es auch nicht verrückter zu als auf dem Fußballplatz"

SZ: Sie reden ahnungslosen Anlegern das Wort?

Kliensmann, AP

Es ist zum Heulen: Der ehemalige Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann bei einem Wutausbruch im Spiel gegen Arminia Bielefeld.

(Foto: Foto: AP)

Weber: Wenn Sie Briefmarken kaufen, in Kunst oder einen Tennis-Star investieren, brauchen Sie auf jeden Fall mehr Know-how als am Aktienmarkt. Das Schöne an der Börse ist doch, dass die Kurse wirklich alle Informationen widerspiegeln, die am Markt herumschwirren.

SZ: Ist das nicht ein Widerspruch, wenn Sie erst sagten, Aktien gehorchen dem Zufall, und dann Kurse widerspiegeln alle Informationen am Markt?

Weber: Der heutige Kurs spiegelt alle heutigen Informationen wider, beim morgigen Kurs - den wir nicht vorhersagen können - kommen neue Informationen hinzu, die wir eben nicht vorhersagen können. Wer (außer Frau Schlotterbeck) weiß schon, wie sich die Rohstoffpreise bis morgen entwickeln, was der Politik bis dahin einfällt, wie sich Verbraucher entscheiden, was sich die Konkurrenz überlegt, welche Katastrophen vielleicht geschehen, und was sonst alles passiert.

SZ: Aktive Fondsmanager suchen aber gezielt nach Aktien, die aussichtsreicher sind als andere. Ist das Humbug?

Weber: Zunächst mal sind wir als Anleger dankbar, dass die Manager das tun. Wir profitieren davon. Wenn sich möglichst viele Leute damit beschäftigen, dann wird der Preis besser. Ich würde also sagen: Beschäftigt euch, erstellt Analysen! Ich bin der Free Rider dieser Information. Also macht ruhig!

SZ: Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat einmal gesagt: "Im Umgang mit Geld sind die Menschen besonders unvernünftig." Sehen Sie das genauso?

Weber: Das würde ich nicht unbedingt sagen. An der Börse geht es auch nicht verrückter zu als auf dem Fußballplatz. Wenn ich mir den Trainer-Transfermarkt von Bayern München angucke, sehe ich da auch keine höhere Rationalität als an der Börse.

SZ: Was sind die gröbsten Verstöße der Anleger gegen die Rationalität?

Weber: Der Glaube, den Markt schlagen zu können, ist nicht auszurotten. Vor allem wir Männer wollen immer besser sein als die anderen. Doch wir überschätzen unsere eigenen Fähigkeiten. Wenn wir an der Börse Geld verdienen, sagen wir uns: Das hab' ich toll gemacht. Aber es war nur Zufall. Wir hoffen, den Erfolg wiederholen zu können, handeln zu viel hin und her - und verlieren doch nur Geld. Die meisten Anleger verschwenden zu viel Zeit mit der Frage, ob sie lieber BMW oder Daimler kaufen sollen. Dabei ist das vollkommen unerheblich. Wer einfach den Märkten vertraut und auf breite Indizes setzt, ist ganz gut dabei. Das ist der Rat der Wissenschaft.

SZ: Zocken verboten?

Weber: Wer es nicht lassen kann, darf auf mongolische Milchkannen wetten oder birmanische Zinnminen. Mit ein bisschen Spielgeld ist das in Ordnung. Aber doch nicht für die Altersvorsorge oder die Ausbildung der Kinder! Bei den wichtigen Dingen geht das nicht.

SZ: Welche Sünden begehen Sparer noch?

Weber: Nur sehr wenige Anleger beschäftigen sich mit den Kosten. Das sollten sie aber tun. Man muss sich einfach mal ausrechnen, was ein Prozentpunkt mehr oder weniger Gebühren bedeutet. Das ist mehr, als man denkt.

SZ: Ein Beispiel bitte!

Weber: Wenn ein Anleger 100.000 Euro für 30 Jahre anlegt und dafür acht Prozent im Jahr bekommt, erzielt er bei geringen Kosten von 0,45 Prozent jährlich ein Endvermögen von 887.000 Euro. Bei fünf Prozent Ausgabeaufschlag und 1,5 Prozent Managementgebühr bleiben ihm lediglich 630.000 Euro. Der Unterschied zwischen einem günstigen und einem teuren Investment macht also gut 250.000 Euro aus.

Im dritten Teil: Wie sich Martin Weber selbst schon einmal verzockt hat - und warum Erfolg an der Börse berechenbar ist.

"Erfolg an der Börse ist berechenbar"

SZ: Haben Sie selbst mal gezockt?

Weber: Ich habe mich mal mit einem geschlossenen Fonds an einem großen Haus in London beteiligt. Das ist so ziemlich das Dümmste, was man machen kann, weil die Gebühren extrem hoch sind und man das Investment nur schwer verkaufen kann. Der Fonds wurde nach zwei Jahren aufgelöst, kurz vor der Hochphase des Immobilienbooms. Ich habe 50 Prozent an dem Haus verdient. Es war definitiv eine miserable Entscheidung mit einem extrem guten Ertrag. Man kann eben auch mal Glück haben.

SZ: Viele Anleger suchen ihr Glück noch immer in Zertifikaten. Gute Idee?

Weber: Warum soll ein komplexes Anlageprodukt besser sein als ein einfaches? Das ist mir nie klar geworden. Komplexer ist teurer. Das muss so sein - von der Logik der Sache her. Ein komplexes Produkt wäre ja nur besser, wenn ich damit den Markt schlagen könnte. Aber die Idee, dass mir die Bank das Geld schenkt, ist doch idiotisch.

SZ: Aber Bonus- und Garantiezertifikate verkaufen sich gut. Wollen Sie das verbieten?

Weber: Man dürfte Zertifikate nur verkaufen, wenn sie der Aufsichtsrat der Bank innerhalb kürzester Zeit verstehen und erklären kann. Da sitzen ja schließlich gebildete Leute. Oder man müsste einen Stempel draufhauen...

SZ: ...so wie auf die Zigarettenschachtel? "Dieses Wertpapier kann zu einem langsamen und schmerzhaften Verlust Ihres Vermögens führen."

Weber: Kein schlechter Vorschlag.

SZ: Haben Sie sich selbst schon einmal die Finger verbrannt an der Börse?

Weber: Klar. Mit meinem allerersten eigenen Investment. Ich hatte in den Semesterferien in einer Bank gearbeitet und mein sauer verdientes Geld im März in eine Bayer-Option gesteckt. Die lief sechs Monate. Im September war ich in Griechenland mit dem Rucksack unterwegs, und die Option verfiel wertlos. Die ganze Arbeit von einem Monat war weg.

SZ: Was war Ihre Lehre daraus?

Weber: Ich habe nie wieder Optionen gekauft.

SZ: Heute sind Sie nicht nur Hochschullehrer, sondern managen auch einen Fonds. Was wollen Sie beweisen?

Weber: Dass ich es besser kann als alle anderen. Nein, im Ernst: Die Wissenschaft weiß schon einiges über die Finanzmärkte. Das wollte ich weitergeben.

SZ: Glauben Sie ernsthaft, dass Erfolg an der Börse berechenbar ist?

Weber: Ich bin überzeugt davon. Wir streuen nach wissenschaftlichen Kriterien optimal über verschiedene Anlageklassen- Aktien, Anleihen, Rohstoffe - bei möglichst geringen Kosten. Das wird langfristig schon laufen. Ob wir nach drei Monaten im Plus sind oder nicht, ist eine andere Frage. Nach dem ersten halben Jahr läuft es immerhin sehr gut.

SZ: Wissenschaftler reizt es immer wieder, ihre Theorien mit echtem Kapital an der Börse zu testen. Besonders erfolgreich sind die Professoren-Investments nicht. Macht Ihnen das keine Angst?

Weber: Viele US-amerikanische Kollegen beraten Fonds erfolgreich. Ein viel diskutiertes Beispiel sind Robert Merton und Myron Scholes, die mit ihrem Hedgefonds LTCM Milliarden verspielten. Die haben an ihre Modelle geglaubt, und der Markt hat sich einfach anders entwickelt. Das ist dumm gelaufen. Das Beruhigende daran ist, dass diejenigen, die LTCM übernommen haben, nachher keinen Verlust gemacht haben. Der Fall ist schon faszinierend.

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