Reden wir über Geld:"Meine Mutter war gesellschaftlich geächtet"

Gewerkschaftschef Michael Sommer über sein Leben als armes, uneheliches Kind, seinen ersten Lustkauf - und das Recht auf Austern.

Thomas Öchsner

Michael Sommer, 57, hat ein Büro, von dem andere nur träumen können. Hier, im siebten Stock des DGB-Hauses, kann der Mann, der die Interessen von mehr als sechs Millionen Gewerkschaftsmitgliedern vertritt, weit über die Dächer Berlins blicken. Platz genug hat der DGB-Chef auch - zum Beispiel für eine Fotomontage auf der Fensterbank. Das Geschenk seiner Sekretärin zeigt Sommers Kopf auf dem Körper des Seemanns Popeye, der die Bizeps anspannt. Darunter ist zu lesen: "Yes, you can". Sommer hat mehr Humor, als er im Fernsehen zeigt. Und er redet ganz offen.

Reden wir über Geld: DGB-Chef Michael Sommer: "Ich habe schon früh angefangen zu arbeiten."

DGB-Chef Michael Sommer: "Ich habe schon früh angefangen zu arbeiten."

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Sommer, reden wir über Geld. Geben Sie eigentlich immer etwas, wenn Sie mal wieder jemand in Berlin um Geld angehauen hat?

Michael Sommer: Ich gebe grundsätzlich Kindern nichts, weil ich etwas dagegen habe, Kinder zum Betteln zu missbrauchen. Der Rest ist so wie im täglichen Leben: Mal gebe ich was, mal nicht. Das hängt davon ab, ob ich das Gefühl habe, da ist jemand bedürftig.

SZ: Also eine Bauchentscheidung?

Sommer: Ja. Ich mag es nur nicht, wenn Leute professionell betteln. Wenn einer in der U-Bahn sagt "Gib' mir mal einen Apfel" und man gibt ihm einen Apfel und läuft dann Gefahr, eines auf die Schnauze zu kriegen, weil man kein Geld herausgerückt hat, dann ist das eher Berufstätigkeit.

SZ: Mussten Sie als Kind der Nachkriegszeit auch Betteln gehen?

Sommer: Nein, aber ich habe schon früh angefangen zu arbeiten. Als Kind holte ich in Berlin für zwei, drei Rentnerinnen den Tagesbedarf an Kohlen hoch. Das waren so zehn bis fünfzehn Briketts. Dafür bekam ich ein paar Pfennige. Meine Süßigkeiten habe ich mir durchs Singen in einer Bäckerei verdient. Ich hatte als Kind eine gute Sopranstimme. Mit 14 habe ich dann Regale aufgefüllt. Der Stundenlohn betrug 1,16 Mark. Und in den Ferien habe ich auf dem Bau Ziegelsteine geschleppt.

SZ: Sie haben kein Taschengeld bekommen?

Sommer: Nein, dafür hatte meine Mutter zu wenig Geld. Ich erinnere mich noch, dass ich einmal als kleiner Junge beim Einkaufen 50 Pfennig verloren habe. Als ich nach Hause kam, hat sie mich nicht ausgeschimpft. Aber sie hat mir sehr deutlich gezeigt, dass sie dafür überhaupt kein Verständnis hat. Das war eine tiefe Form von Verzweiflung. Ich kann deshalb sehr gut nachempfinden, dass für manche Menschen die zehn Euro, die jetzt die Steuersenkung für einige Haushalte im Monat bringt, eine Menge Geld sind.

SZ: Zehn Euro im Monat weniger Steuern, das ist doch lächerlich.

Sommer: Klar, die Meinung kann man vertreten. Aber uns fehlt das Bewusstsein, dass es hier in unserem Land jede Menge Leute gibt, für die zwei, vier oder zehn Euro mehr oder weniger wirklich etwas wert ist.

SZ: Stattdessen wird viel über die Milliarden zur Rettung der Banken und Unternehmen diskutiert.

Sommer: Kürzlich war ich in einer Aufsichtsratssitzung. Da meldete sich einer und erkundigte sich, ob denn hier auch eine Frage zulässig wäre, bei der es um weniger als eine Milliarde geht. Das war natürlich ironisch gemeint, aber bei diesen Diskussionen über die Milliardenhilfen gehen leider sämtliche menschliche Dimensionen verloren. Das ist so ähnlich wie bei den Managergehältern.

SZ: Gönnen Sie Josef Ackermann von der Deutschen Bank und René Obermann von der Telekom die paar Millionen nicht?

Sommer: Erstens zählt Herr Obermann im Unterschied zu Herrn Ackermann nicht zu den Top-Verdienern. Und zweitens finde ich prinzipiell, dass da die Wertigkeiten nicht mehr stimmen. Wir hatten früher die Regel: Der Herr Direktor verdient vielleicht das Zehn- oder Zwanzigfache des Facharbeiters - und nicht das Hundert- oder Zweihundertfache. Inzwischen haben aber amerikanische Bezahlungssysteme bei uns Einzug gehalten.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Michael Sommer das Gehalt von Luca Toni offenlegen möchte - und wie hoch das Monatsgehalt des DGB-Chefs ist.

"Meine Mutter war gesellschaftlich geächtet"

SZ: Und die halten Sie für schlecht?

Sommer: Unsere Gesellschaft definiert sich über Geld. Und sie definiert auch den Wert von Menschen über Geld. Wenn ein Mensch aber 200-mal so viel wert sein soll wie ein anderer, dann stimmt etwas in dem sozialen Gefüge dieser Gesellschaft nicht mehr. Das ist doch ein Ausdruck für die Perversion des Finanzkapitals. Ich glaube, dass sich das wieder zurückentwickeln muss.

SZ: Sagen Sie das Herrn Obermann oder Herrn Ackermann auch direkt ins Gesicht?

Sommer: Ich nenne hier keine Namen, aber glauben Sie mir, ich kann sehr offen zu hochbezahlten Top-Managern sein.

SZ: Und wie reagieren die darauf?

Sommer: Ganz unterschiedlich. Manche sagen, Vorstandsmitglieder in anderen Unternehmen verdienen doch auch so viel. Andere sagen: "Ich muss ja auch ein anderes Leben führen als Sie", "Da drückt sich mein Wert aus" oder "Das steht mir auch zu". Und dann gibt es tatsächlich welche, die jede Form von Vergleich mit Normalverdienern als unfair empfinden. Die meinen, es sei unanständig, wenn sich jemand Gedanken macht, wie viel sie überhaupt verdienen. Das finde ich wiederum unanständig.

SZ: Wollen Sie eine Obergrenze für Spitzengehälter einführen, auch für Fußballer oder Showstars?

Sommer: Wir müssen zunächst einmal Transparenz herstellen. Wenn die Vorstände ihre Gehälter offenlegen müssen, sollte dies auch für andere Spitzenverdiener gelten. Dadurch entsteht ein starker öffentlicher Rechtfertigungsdruck.

SZ: Sie wollen, dass jeder genau weiß, wie viel zum Beispiel der Bayern-Stürmer Luca Toni verdient?

Sommer: Warum nicht? Das interessiert die Bayern-Fans bestimmt.

SZ: Das ist doch ein Eingriff in die Intimsphäre. Ich möchte nicht, dass mein Nachbar weiß, was ich verdiene.

Sommer: Mir geht es nur um bestimmte Spitzenverdiener. Wir machen hier ein fürchterliches Getue in Deutschland. Immer heißt es, über Geld redet man nicht. Ich finde aber schon, dass zum Beispiel ein Showstar, der beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen arbeitet und teilweise von Gebührenzahlern sein Honorar bekommt, offenlegen muss, wie viel er bekommt. Und ich halte es für eine falsche Entwicklung, wenn die teilweise mit eigenen Produktionsfirmen arbeiten und Millionen kassieren.

SZ: Also doch Gehälter gesetzlich begrenzen?

Sommer: Nein, das geht wohl nicht. Aber jemand, der viel verdient, sollte auch anständig besteuert werden.

SZ: Wie viel verdienen Sie eigentlich?

Sommer: 11.200 Euro bei dreizehneinhalb Monatsgehältern. Die Tantiemen aus meinen Aufsichtsratsmandaten bei der Telekom und der Postbank führe ich an die Hans-Böckler-Stiftung ab.

SZ: Sind Sie mit dem Gehalt zufrieden?

Sommer: Ja, das ist ein sehr gutes Gehalt. Wenn ich wirklich hätte Geld scheffeln wollen, hätte ich etwas anderes machen müssen. Das wollte ich aber nicht.

SZ: Was haben Sie gekauft, als Sie das erste Mal richtig Geld verdient haben?

Sommer: Ich habe meiner Mutter eine Dusche in ihrer Toilette einbauen lassen und ihr ein Aquarium geschenkt. Davon hat sie immer geträumt. Und mir habe ich einen Burberry-Trenchcoat gekauft, das war mein erster Lustkauf.

SZ: Passt Ihnen der noch?

Sommer: (lacht) Ich habe heute ein Nachfolgemodell. Das ist für mich immer noch ein Symbol dafür, dass ich es geschafft habe.

SZ: Was würde Ihre Mutter dazu sagen, wenn sie noch leben würde?

Sommer: Die würde sich sozusagen vor Glück im Grabe umdrehen, nicht nur weil ich jetzt ordentlich verdiene, sondern auch eine gewisse gesellschaftliche Achtung erfahre.

Lesen Sie auf der dritten Seite, was für Michael Sommer Luxus ist - und warum auch Gewerkschaftsbosse Austern essen dürfen.

"Meine Mutter war gesellschaftlich geächtet"

SZ: Ihre Grundschullehrerin soll zu Ihnen "Bastard" gesagt haben.

Sommer: Ja, das stimmt, weil ich ein uneheliches Kind war. Meine Mutter war deshalb gesellschaftlich geächtet. Dieses Schicksal teilte sie damals mit Hunderttausenden Frauen in Deutschland. Das war dieser Muff in der Adenauer-Gesellschaft. Ich habe das neulich auch der Bundeskanzlerin erzählt, weil die immer den Adenauer so hochjubelt. Alles, was der Spießernorm nicht entsprach, wurde abrasiert. Damit hat die Generation der 68er Gott sei Dank Schluss gemacht.

SZ: Was ist für Sie Luxus?

Sommer: (denkt nach) Wenn ich abends mal zu Hause bin und den Kamin anmachen kann, das ist für so ein 50-Pfennig-Kind Luxus. Und unser Häuschen im Grünen natürlich auch.

SZ: Was noch?

Sommer: Anständige Klamotten sind für mich auch Luxus. Meine Mutter konnte mir nicht regelmäßig neue Schuhe kaufen. Deshalb habe ich heute eine Hammerzehe.

SZ: Eine Hammerzehe?

Sommer: Das ist eine kleine körperliche Deformation. Ein kleiner Zeh ragt seitlich heraus. Der sieht aus wie ein Hammer, weil ich als Kind oft zu kleine Schuhe tragen musste. Ich gehe mit neuen Schuhen deshalb immer zum Schuster. Der beult mir den einen Schuh aus.

SZ: Darf ein Gewerkschaftsboss eigentlich Luxus genießen? Das Magazin Focus berichtete darüber, wie Sie sich beim ZDF-Sommerfest über den Geschmack von Austern in den Monaten mit R und ohne R ausgelassen hätten.

Sommer: Schreiben Sie ruhig, dass der Kollege, der das veröffentlicht hat, eine Vollmeise hat.

SZ: Wieso?

Sommer: Weil hinter dieser Meldung die Überzeugung durchschimmerte, Gewerkschafter müssten am ungehobelten Holztisch essen und denen stehen keine Austern zu. Ich bin aber sehr wohl der Meinung, dass die Zeiten, in denen bestimmte Nahrungsmittel nur bestimmten großbürgerlichen Kreisen oder bestimmten Interessenvertretern vorbehalten waren, vorbei sind. Das erinnert mich auch an einen Kollegen, als ich noch bei der Postgewerkschaft arbeitete. Der fuhr immer Mercedes, weswegen ihn manche Postler aufgezogen haben. Der hat immer gesagt: "Arbeiter bauen ihn, Arbeiter fahren ihn."

SZ: Wie haben Sie Ihr Geld angelegt?

Sommer: Meine Ehefrau und ich haben ein Postsparbuch 3000 plus, zwei oder drei Bausparverträge, damit Geld da ist, wenn wir mal ein neues Dach brauchen, und eine Lebensversicherung. Ansonsten zahlen wir unser Haus ab.

SZ: Wann waren Sie das letzte Mal bei einem Anlageberater?

Sommer: Ich war noch nie in meinem Leben bei einem Anlageberater.

SZ: Sie haben auch keine Aktien?

Sommer: Nein, ich spekuliere nicht. Ich wundere mich sowieso immer, wie die Leute das schaffen: sich ein Auto leisten, in den Urlaub fahren, ein Haus abbezahlen und zusätzlich noch mit Lehman-Zertifikaten jonglieren.

SZ: Haben Sie etwas gegen Privatanleger, die spekulieren?

Sommer: Wenn jemand ein höheres Risiko eingehen will, soll er das ruhig tun. Nur sollten die Banken den Leuten nicht sagen, ihr bekommt zehn Prozent Zinsen ohne Risiko. Dadurch sind natürlich etliche Anleger reingelegt worden. Andererseits frage ich mich schon, ob bei manchen nicht der Verstand aussetzt, wenn sie zehn Prozent oder mehr hören. Dieselben Leute, die nicht an Gott glauben, die glauben dann an solche Anlageprodukte.

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