Reden wir über Geld:"Ich bin vielleicht asozial, aber kein Betrüger"

Frank Schmidt, Verkäufer einer Straßenzeitung, über die Flucht vor den Schulden und das Gefühl, wenn nachts die Ratten kommen.

A. Mühlauer u. H. Wilhelm

Frank Schmidt, 43, Hamburger, gelernter Speditionskaufmann, hat mal eine kleine Firma aufgebaut, ging pleite, flüchtete vor dem Finanzamt, lebte jahrelang auf der Straße. Jetzt sitzt er in einem Münchner Wirtshaus, bestellt ein Rindersteak, an dem er zwei Stunden lang bedächtig kaut. Viel Zeit also für ein Gespräch über Geld.

Frank Schmidt, Foto: Robert Haas

Er hatte eine schicke Dachgeschosswohnung und schöne Autos. Jetzt verkauft Frank Schmidt die Obdachlosenzeitung Biss in München.

(Foto: Foto: Robert Haas)

SZ: Herr Schmidt, reden wir über Geld. Sie waren 30, als Ihre Firma pleiteging. Was ist damals schief gelaufen?

Frank Schmidt: Ich hab mich übernommen. Am Anfang hab ich hart gearbeitet, gut verdient, hatte zehn festangestellte Leute. Lief prima. Und mei, was soll ich sagen, die Firma hat gut Geld gebracht, ich konnte mich bedienen. Mit diesem Überfluss muss man aber auch klarkommen - diese Hürde habe ich nicht geschafft.

SZ: Was machten Sie mit dem Geld?

Schmidt: Das hab ich verlebt. Ich hatte 'ne schicke Dachgeschosswohnung, dicke Autos. Ich wollte halt High Life, um über die Graustufen des Lebens hinwegzukommen. Da scheitern ja einige.

SZ: Wie hoch waren Sie verschuldet?

Schmidt: Sechsstellig. Es war grauenhaft, als der Gerichtsvollzieher kam. Eine Privatinsolvenz gab es damals nicht. Steuerschulden wurden lebenslang verfolgt, alles andere 30 Jahre.

SZ: Und davor sind Sie geflüchtet.

Schmidt: Ja, ich war auf der Flucht vor den Behörden und mir selbst. Ich wollte mich der Sache nicht stellen.

SZ: Wo sind Sie hin?

Schmidt: Zuerst zu meiner Schwester. Ging aber irgendwann nicht mehr.

SZ: Warum?

Schmidt: Sagen wir so: Aus meinem damaligen Lebensstil war nicht erkennbar, dass ich etwas ändern würde. Ich verdiente nichts, konnte keine Miete zahlen.

SZ: Waren Sie obdachlos, nachdem Sie bei Ihrer Schwester auszogen?

Schmidt: Ich bin quer durch Deutschland gereist und hab schnell gemerkt, dass es am besten ist, wenn ich mir Sachen suche, bei denen ich gleich an Bargeld komme. Kellnern, Taxi fahren, auf der Straße Modeschmuck verkaufen. Pensionen konnte ich mir schon noch leisten.

SZ: Wann ging Ihnen das Geld aus?

Schmidt: In Wien, da musste ich das erste Mal draußen schlafen. Ich hab mich auf eine Bank im Stadtpark gelegt, aber da liefen so große Ratten herum. Da konnte ich nicht schlafen. Ich bin dann weiter, vor einem Kaffeehaus standen noch Stühle draußen, da hab ich mich auf einen gesetzt und bin eingepennt. Morgens weckte mich dann ein Koch, der hat mich zum Essen eingeladen. Das war nett, aber danach stand ich wieder ohne Kohle da.

SZ: Wie haben Ihre Eltern reagiert, als sie hörten, dass ihr Sohn obdachlos ist?

Schmidt: Die fanden das natürlich nicht gut. Aber ich war eben eine Belastung, die konnten mir nicht helfen.

SZ: Warum nicht?

Schmidt: Mein Vater war Kaufmann und lebte nach dem Motto: Leistung lohnt sich. Ich hab aber nichts geleistet.

SZ: Stattdessen haben Sie von Tag zu Tag gelebt, ohne Ziel.

Schmidt: Genau. Irgendwann stand in meinem Personalausweis "o.f.W.", ohne festen Wohnsitz. Da muss dich jede Gemeinde in Deutschland versorgen. Das Sozialamt gibt dir einen Tagessatz von 17 Mark, eine Schlafstelle und etwas zum Anziehen. War spitze.

"Mein Motto war: Take it easy, let the good times roll."

SZ: Wenn man Ihnen so zuhört, klingt es, als ob Sie ganz zufrieden waren.

Schmidt: Das Reisen war aufregend. Aber es war auch furchtbar, besonders nachts in den Schlafsälen; der Gestank von Obdachlosen, die sich ewig nicht gewaschen hatten oder in die Hose machten. Die meisten waren angetrunken und aggressiv. Aber es blieb mir nichts anderes übrig - draußen war es zu kalt.

SZ: Waren Sie stets allein unterwegs?

Schmidt: Meistens. Ich hatte mal eine Freundin in Darmstadt. Die lebte in einer Studenten-WG. Dort gab es eine Strichliste, wer wie viele Flaschen Bier trinkt. Hinter meinem Namen waren immer die meisten Striche. Ich hatte aber kein Geld - da musste ich gehen.

SZ: Sie sind von Ort zu Ort gezogen, weil Sie es sich mit jedem verscherzten.

Schmidt: (zögert) Ja, ich lag jedem halt irgendwann auf der Tasche.

SZ: Auch dem Staat.

Schmidt: Ich bin vielleicht asozial, aber kein Betrüger. Ich hab mal einen Typen kennengelernt, der war mit allen Wassern gewaschen, Alkoholiker, spielsüchtig. Der zog von Leverkusen nach Köln und in noch zwei weitere Orte, und kassierte überall den Tagessatz von 17 Mark, es stand ja "o.f.W." in seinem Ausweis. Das war kriminell.

SZ: Wie oft sind Sie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen?

Schmidt: Immer mal wieder. Eine Spezialität von mir war es, in Eisenbahnzügen zu übernachten. Die alten Züge hatten ja so schöne Abteile mit ausziehbaren Sitzen. Da kannste super schlafen.

SZ: Wie oft wurden Sie erwischt?

Schmidt: Bloß zweimal. Aber da erzählt man halt 'ne Story, dann lässt einen die Bahnpolizei wieder laufen. Genauso beim Toilettentrick.

SZ: Was ist das denn?

Schmidt: Kennen Sie den nicht? Da sperrt man sich beim Zugfahren einfach in die Toilette ein. Funktioniert spitze, mit den großen Taschen, die ich dabei hatte, wurde es ziemlich eng.

SZ: Was war denn in den Taschen?

Schmidt: Ach, man nimmt allen möglichen Krempel mit. Totaler Blödsinn. Was ich allein an Geld für Bahnhofsschließfächer ausgegeben habe!

SZ: Also, was hatten Sie dabei?

Schmidt: Kristallgläser, die hab ich mal in Stuttgart geschenkt bekommen. Und einen Druck von Keith Haring, den hab ich in Heidelberg gefunden.

SZ: Haben Sie die Sachen noch?

Schmidt: Nee, aber eine Lederjacke, die hab ich mir mal für teures Geld gekauft. Die und ein Rennrad sind die einzigen Stücke, die ich heute immer noch habe. Erinnerungen an die gute Zeit.

SZ: Hatten Sie das Rad immer dabei?

Schmidt: Das stand lange bei meinem Vater. Irgendwann hab ich es mir geholt und bin dann quer durch Deutschland gefahren. Mein Motto war: Take it easy, let the good times roll. Ganz ehrlich, mir war klar: Schulden kannste nicht bezahlen, arbeitsmäßig kommste nicht voran.

SZ: Haben Sie mal gebettelt?

Schmidt: Hab's probiert, kann ich aber nicht. Man muss schon etwas tun fürs Geld.

SZ: Haben Sie Kinder?

Schmidt: Zum Glück nicht. Die hätte ich nur unglücklich gemacht. Ich war ja nicht fähig, eine Beziehung zu führen.

SZ: Haben Sie sich arm gefühlt?

Schmidt: (zögert) Nee, das nicht, nur manchmal.

SZ: In welchen Momenten?

Schmidt: Ich hab mal zwei Nächte in einem Bauwagen übernachtet. Draußen hat es geregnet und gestürmt. Da lag ich da und dachte: Mensch Junge, du hast null Spielraum, du kriegst nichts hin, du kannst nichts machen. Vom Rauchen und vom Alkohol war ich so schwach, dass jede Bewegung wehtat. Ich fühlte mich arm und schwach - nutzlos.

"Moshammer hat mir zu Heiligabend mal 500 Mark in die Hand gedrückt."

SZ: Wie versuchten Sie aus dieser Misere rauszukommen?

Schmidt: Ich hab mir eines Tages geschworen: kein Schlendrian mehr, jetzt musst du dich zusammenreißen! Ich war damals in München und ging dorthin, wo sie Jobs für Tagelöhner verteilen. Das lief gut. Man hat mehrere Tage, mal sogar eine Woche gearbeitet und das Geld bar auf die Kralle bekommen. Dafür musste man um sechs Uhr früh da sein, Steine schleppen, Möbel schleppen. War hart, aber ging schon. Da hab ich zum ersten Mal mein Geld zusammengehalten.

SZ: Hatten Sie das Geld immer dabei?

Schmidt: Ja, im Brustbeutel, ich hatte doch kein Bankkonto. Als ich später mal bei den katholischen Schwestern eingezogen bin, haben die drauf aufgepasst.

SZ: Wie sind Sie denn dort gelandet?

Schmidt: Die haben Obdachlose aufgenommen und für sie gebetet. Schwester Ortrud war meine Bezugsperson, meine Bank. 15.000 Mark hab ich gespart, und sie hat das Geld unter ihr Kopfkissen gelegt und darauf aufgepasst. So konnte ich es nicht mehr versaufen oder verspielen. Irgendwann kam ich dann zu Biss ...

SZ: ... der Münchner Obdachlosenzeitschrift ...

Schmidt: ... ja, die haben mir die Hand gereicht. Die von Biss haben mir das mit der Entschuldung vorgeschlagen.

SZ: Wie viele Schulden hatten Sie?

Schmidt: 140.000 Mark. Nach der Verhandlung hat das Finanzamt Hamburg auf 110.000 Mark verzichtet. Den Rest hat zu einem Drittel Biss bezahlt, ein Drittel kam von Spenden und ein Drittel habe ich über die Jahre abbezahlt. Da hab ich gemerkt: Es geht doch.

SZ: Seit wann sind Sie schuldenfrei?

Schmidt: Seit zwei Jahren. Jetzt bin ich bei Biss fest angestellt und muss 1000 Stück im Monat verkaufen.

SZ: Klingt nach viel.

Schmidt: Geht so. Man muss halt sieben Tage die Woche rumlaufen.

SZ: Wie reagieren die Menschen auf Verkäufer einer Obdachlosenzeitschrift?

Schmidt: Es stört mich nicht, wenn Leute mich abfällig anschauen. Schlimm ist es, wenn man gar nicht angeschaut wird. Man braucht die Zuwendung der Menschen. So Leute wie der Moshammer: Der hat mir zu Heiligabend mal 500 Mark in die Hand gedrückt.

SZ: Wie leben Sie heute?

Schmidt: Ich habe eine Ein-Zimmer-Wohnung. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich die dicken Autos vor dem Nobelrestaurant Tantris vorfahren. Da denk ich mir: Die haben's geschafft.

SZ: Verkaufen Sie Biss im Tantris?

Schmidt: Nee. Zu wenig Umsatz.

SZ: Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Vater gesprochen?

Schmidt: Im Juli. Da hat er mich zum Geburtstag angerufen.

SZ: Über was haben Sie gesprochen?

Schmidt: Nichts weiter. Drei Sätze, dann hat er aufgelegt.

SZ: Schmerzt Sie das?

Schmidt: Och, ein bissel. Der findet das natürlich nicht gut, was ich mache.

SZ: Auch jetzt nicht? Sie sind nicht mehr obdachlos und verdienen Geld.

Schmidt: Für meinen Vater bin ich gescheitert. Aber wenigstens macht er mir keine Vorwürfe mehr.

SZ: Sind Sie heute glücklich?

Schmidt: Ja. Ich bin frei, muss mich keinem unterordnen. Es gibt da im Norden so einen Spruch, der passt ganz gut zu mir: Lieber tot als Sklave.

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