Reden wir über Geld: Bertrand Piccard:"Meine Frau sagt, ich sei faul"

Geld fehlt? Na und? Abenteurer Bertrand Piccard ließ sich jedenfalls nicht davon abschrecken. Ein Gespräch über seine Erdumrundungen im Solarflugzeug und chronische Geldsorgen in Entdecker-Familien.

Alina Fichter und Hannah Wilhelm

Bertrand Piccard, 52, ist Abenteurer. Wie schon sein Vater und sein Großvater. Als Erster umkreiste er die Erde mit einem Ballon ohne Zwischenstopp. Es gelang ihm erst beim dritten Versuch. Der Flug machte ihn weltbekannt. Und so hält Piccard heute Vorträge über "Abenteuer als Geisteszustand." Nach seinem Auftritt in München ist er angestrengt, leicht genervt sogar. Und erzählt dann, wie schwer es für Abenteurer ist, Geld für alle ihre Unternehmungen aufzutreiben.

Bertrand Piccard ist nicht nur Entdecker und Psychiater. Er hält auch Vorträge über seine Erkenntnisse: Hier spricht er über sein neuartiges Flugzeug, dass allein mit Sonnenlicht angetrieben wird.

Bertrand Piccard ist nicht nur Entdecker und Psychiater. Er hält auch Vorträge über seine Erkenntnisse: Hier spricht er über sein neuartiges Flugzeug, dass allein mit Sonnenlicht angetrieben wird.

(Foto: AFP)

SZ: Herr Piccard, reden wir über Geld. Stimmt es, dass Sie als Jugendlicher ängstlich waren?

Bertrand Piccard: Oh ja! Ich hatte Angst, auf Bäume zu klettern. Ich war sehr schüchtern. Aber das kann man heilen.

SZ: Wie denn?

Piccard: Bei mir war es der Drachenflug. Mit einem kleinen Stoffdreieck 1000 Meter über dem Boden zu fliegen - das ist eine fabelhafte Übung, nicht in Panik zu verfallen.

SZ: Sie sind Psychiater. Empfehlen Sie Ihren Patienten, Drachen zu fliegen?

Piccard: Mich hat die Luftfahrt aufblühen lassen. Aber das empfehle ich meinen Patienten nicht. Ihnen empfehle ich eher die Hypnose.

SZ: Hypnose?

Piccard: Die Menschen müssen nicht selbst aktiv werden. Es reicht, wenn sie sich die Dinge vorstellen.

SZ: Machen Sie das auch selbst?

Piccard: Ich mache häufig Selbsthypnose, um Ängste und Gefühle zu kontrollieren. Während der Weltumrundung im Ballon habe ich das oft gebraucht.

SZ: Wie funktioniert das?

Piccard: Ich stelle mir vor, wie ich in einer gefährlichen Situation ruhig bleibe und wie ich sie löse. Wenn ich sie dann wirklich erlebe, kann ich die Erinnerung abrufen ...

SZ: ... und Sie haben keine Angst mehr?

Piccard: Ängste sind eine Projektion in die Zukunft. Ich habe gelernt, alle Kräfte in der Gegenwart zu mobilisieren. Konzentration, Bewusstsein, Atmung. Plötzlich ist die nötige Energie da.

SZ: Wenn Sie in der Kneipe Angst hatten, eine Frau anzusprechen?

Piccard: Oh ja, für solche Zwecke ist die Selbsthypnose großartig! Als ich 16 war, war es für mich das gleiche, mit meinem Drachen von einem Berg zu springen oder ein Mädchen anzusprechen.

SZ: Hatten Sie als Jugendlicher Angst um Ihren Vater? Er war der erste Mensch, der zur tiefsten Stelle des Meeres tauchte ...

Piccard: ... zum Marianengraben im Pazifik, zehn Kilometer unter dem Meeresspiegel. Ich hatte Angst, dass er einen Unfall hat.

SZ: Wie haben Ihr Vater und Ihr Großvater die Expeditionen finanziert?

Piccard: Die beiden baten Regierungen um Geld. Die belgische hat für den Ausflug in die Stratosphäre gezahlt, die amerikanische fürs Tauchen.

SZ: Wieso lassen Sie sich Ihre Abenteuer lieber von Unternehmen zahlen?

Piccard: Weil ich sah, wie schwer es für meinen Vater war! Meine ganze Kindheit erlebte ich, wie er ums Geld kämpfte.

SZ: Hatten Sie zu wenig zu essen?

Piccard: Nein, aber die Angst war immer da. Mein Vater belastete unser Haus mit einer Hypothek, um an Geld zu kommen. Wenn wir zu Mittag aßen, sagten meine Geschwister oft: Jetzt haben wir gerade eine Dachziegel aufgegessen. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem mein Vater sagte: Ich verkaufe jetzt mein Auto, weil uns dafür das Geld fehlt.

SZ: Hat Ihre Mutter gearbeitet?

Piccard: Ihr blieb gar nichts übrig. Sie gab Klavierstunden. Und ich musste sehr schnell Geld verdienen, um zu bekommen, was ich brauchte.

SZ: Es überrascht, dass Sie trotz all dieser Probleme auch Abenteurer wurden.

Piccard: Als ich elf Jahre alt war, lud mich der Chef der US-Weltraumforschung Wernher von Braun ein, dem Start der Apollo zuzusehen. Ich dachte mir: Wow, da läuft einer auf dem Mond, alles ist möglich. So ein Leben wollte ich.

SZ: Woher kannten Sie als Elfjähriger Wernher von Braun?

Piccard: Viele Menschen, die zu dieser Zeit als Entdecker Geschichte geschrieben haben, gingen bei uns aus und ein. Astronauten, Taucher, Forscher.

"Professor Bienlein ist die Karikatur meines Großvaters"

SZ: Ihr Großvater war das Vorbild für Professor Bienlein im Comic Tim und Struppi. Wie kam das?

Piccard: Nachdem mein Großvater in die Stratosphäre geflogen war, wurde er zu einem der bekanntesten Männer der Welt. Der Comiczeichner Hergé traf meinen Großvater und war tief beeindruckt. Professor Bienlein ist natürlich nur eine Karikatur meines Großvaters.

SZ: Wie reagierten Ihre Eltern, als Sie Abenteurer werden wollten?

Piccard: Mein Vater sagte: Mensch, guck dir nur an, welche Probleme ich habe. Mach lieber was anderes. Ich hab dann Medizin studiert und bin doch irgendwann Entdecker geworden.

SZ: Was war Ihr größter Misserfolg?

Piccard: Der erste Versuch der Non-Stop-Ballonfahrt um die Welt scheiterte, wir hatten Kerosin verloren und mussten auf dem Mittelmeer landen. Ich war sehr enttäuscht.

SZ: Was war der gefährlichste Moment Ihrer Karriere?

Piccard: Einmal, während eines Loopings, in einem Affentempo, ist mein Flugzeug in alle Einzelteile zerbrochen. Ich musste den Rettungsschirm ziehen. Das sind nicht die Momente, die ich mag.

SZ: Es heißt doch, ohne Risiko kein Abenteuer.

Piccard: Ich bin kein Draufgänger. Ich hab das wie eine Warnung erlebt, dass ich zu weit gegangen war.

SZ: Was suchen Sie, wenn nicht das Risiko?

Piccard: Ich liebe es, ein Projekt anzuzetteln, von dem jeder glaubt, es sei unmöglich. Es doch zu schaffen, ist fabelhaft. So war es bei der Ballonfahrt um die Welt, so wird es bei dem Flug mit dem Solarflugzeug sein.

SZ: Sie wollen als erster mit einem Solarflugzeug um die Erde fliegen. Warum?

Piccard: Um zu zeigen, was mit erneuerbaren Energien heute bereits möglich ist. Wir brauchen sie dringend, damit uns die Lebensqualität erhalten bleibt.

SZ: Wie meinen Sie das?

Piccard: Durch erneuerbare Energien entstehen neue Märkte. Durch sie wird es weniger Verschmutzung geben, weniger Krieg, weniger Arbeitslosigkeit. Mein Großvater schrieb bereits 1943, dass die Solarenergie schnellstmöglich Öl ersetzen sollte. Ich will die Tradition der Familie fortsetzen.

SZ: Was heißt das genau?

Piccard: Mein Vater tauchte 11.000 Meter tief, um zu sehen, ob es da unten Leben gibt. Damals wollten Regierungen radioaktive Abfälle dorthin kippen. Mein Vater entdeckte Fische, da verstanden die Regierungen, dass sie das Meer nicht als Mülleimer benutzen können. Heute sind erneuerbare Energien das Thema.

SZ: Haben Abenteurer einen Alltag?

Piccard: Die einzige Konstante ist meine Familie. Ansonsten ist es unmöglich, etwas regelmäßig zu machen, mein Leben ist völlig unstet. Ich reise unglaublich viel, halte ständig Vorträge.

SZ: Ist es nicht schwer für die Familie, dass Sie so viel unterwegs sind?

Piccard: Ich nehme die Kinder mit in Ballons, Hubschrauber, Drachen. Damit sie verstehen, was ich mache. Nach der Weltumrundung mit dem Ballon fragte mich meine jüngste Tochter: Papa, warum erzählst Du anderen Menschen so viel über deine Abenteuer? Es ist mein Beruf, sagte ich, ich verdiene so das Geld.

SZ: Sie halten Vorträge, damit ihre Kinder keine Dachziegel essen müssen?

Piccard: Ich wollte sie nicht die gleichen Dinge erleben lassen. Deshalb habe ich meine Expeditionen viel stärker vermarktet. Ich habe viel Energie reingesteckt, um Firmensponsoren zu finden. Seit ich durch die Ballonfahrt um die Welt berühmt wurde, ist es einfacher.

SZ: Wie steht Ihre Frau zu Ihrer Abenteuerlust?

Piccard: Sie treibt mich an. Als ich ihr das erste Mal sagte, ich wolle die Welt im Ballon umrunden, hat sie sich kaputt gelacht. Ich sei viel zu faul und desorganisiert, das schaffe ich nie, sagte sie mir. Daraufhin habe ich drei Monate lang geschuftet, ein Team gesucht, Geld aufgetrieben.

SZ: Warum sind Sie eigentlich Psychiater geworden?

Piccard: Das Verhalten von Menschen hat mich schon immer fasziniert. Was macht Leute erfolgreich, was lässt sie scheitern?

SZ: Und?

Piccard: Wer akzeptieren kann, Angst zu haben, weil er etwas ausprobiert, was er noch nie zuvor getan hat, wird flexibel im Kopf - und hat Erfolg. Diejenigen, die nur Menschen um sich scharen, die ihnen sagen, wie toll sie sind, bleiben stehen.

SZ: Wie machen Sie es?

Piccard: Ich suche mir immer Leute, die mir sagen: Was du machst, ist total bescheuert. Denk noch mal nach. So kommen gute Ideen zustande.

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