Reden wir über Geld (3): Anselm Grün:"Geld gefährdet die innere Freiheit"

Der Mönch und Bestsellerautor Anselm Grün über moderne Ängste, schlechte Vorgesetzte - und warum er von seinen Millioneneinnahmen keinen Cent behält.

Matthias Drobinski und Alexander Hagelüken

Chefzimmer sehen anders aus. Das Büro von Pater Anselm Grün im Kloster Münsterschwarzach ist weder groß noch aufgeräumt. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Papiere. In der Ecke stapeln sich seine millionenfach verkauften Lebensratgeber. Grün scheint tiefen inneren Frieden gefunden zu haben. Gelassen beantwortet er Fragen zu Aggressionen, Sexualität und seinen riskanten Spekulationen.

Anselm Grün

Anselm Grün, geb. am 14. Januar 1945, ist Benediktinermönch. Er trat der Abtei Münsterschwarzach nach dem Abitur bei. Seit 1977 führt er das Kloster als Wirtschaftschef. Daneben schrieb er hunderte spirituelle Bücher zur Lebenshilfe.

(Foto: Foto: dpa)

Süddeutsche Zeitung: Pater Grün, reden wir über Geld. Wissen Sie, wie viel Umsatz Sie in Ihrem Leben gemacht haben?

Anselm Grün: Oh, schwer zu sagen. Ich habe bis heute so um die 15 Millionen Bücher verkauft ...

SZ: Dann haben Sie weit mehr als 100 Millionen Euro umgesetzt.

Grün: Ja, wahrscheinlich.

SZ: Sie verkaufen in Deutschland mehr Bücher als Günter Grass oder der Papst. Sie müssten Multimillionär sein.

Grün: Ich besitze nichts. Ich habe als Benediktinermönch Armut gelobt. Das Geld gehört der Abtei.

SZ: Gibt es nicht mal Taschengeld?

Grün: Doch, wie die anderen Mönche bekomme ich ein wenig Urlaubsgeld. Wenn ich unterwegs zu meinen Vorträgen bin, genehmige ich mir manchmal einen Cappuccino in der Raststätte. Das ist mein Luxus. Aber ich gebe keine 50 Euro Bargeld im Monat aus.

SZ: Geld reizt Sie nicht?

Grün: Geld, das mir gehört? Überhaupt nicht. Ich sehe, wie das Geld viele Menschen hart macht. So will ich nicht werden. Geld gefährdet die innere Freiheit. Eigentlich könnten Menschen mit viel Geld sorglos und frei sein. Aber oft kreisen gerade reiche Leute mit ihren Gedanken immer nur ums Geld. Es gibt Reiche, die glücklich sind, natürlich. Aber das sind die, die innerlich frei von diesem Reichtum sind.

SZ: Wie kaufen Sie Kleider oder Möbel?

Grün: Wenn ich eine Kutte oder Wäsche brauche, gehe ich in die Kleiderkammer. Als ich neulich meinen alten Kulturbeutel am Flughafen vergessen hatte, haben mir meine Geschwister einen neuen geschenkt. Und Möbel passen in meine Zelle ohnehin kaum. Die hat weniger als 20 Quadratmeter. Das ist manchmal ein Nachteil. Vor allem, wenn ich ein Buch schreibe. Da stapelt sich überall Papier.

Auf der nächsten Seite lesen Sie die Antwort auf die Frage: Was macht glücklich, wenn nicht Geld?

"Geld gefährdet die innere Freiheit"

SZ: Und Ihr Auto?

Grün: Ich kaufe immer für 8000, 9000 Euro einen Unfallwagen und fahre ihn, bis es nicht mehr geht. Im Augenblick fahre ich einen Golf mit 240000 Kilometern auf dem Buckel.

SZ: Hm. Hunderte Kilometer unterwegs zu Vorträgen in einer alten Kiste und Sie behaupten, das nervt nicht?

Grün: Manchmal nervt es schon. Aber ich will nichts Besseres sein als meine Mitbrüder.

SZ: Es durchzuckt Sie nie der Gedanke: Mensch, Du könntest ein schönes Haus besitzen, reisen, wohin Du willst?

Grün: Ach, Luxus ist für mich keine Versuchung. Manchmal laden mich Bankvertreter oder Manager zum Essen ein, das ist dann gut und teuer, aber oft fühle ich mich unwohl und denke: Da würdest Du alleine nie hingehen. Da kostet allein die Nachspeise 12 Euro. Es ist lecker, aber einfach übertrieben.

SZ: Was macht Sie glücklich, wenn es nicht Geld und Luxus sind?

Grün: Ich bin glücklich, wenn ich Menschen durch Bücher, Vorträge, Gespräche Wege weisen kann. Und wenn ich spirituelle Erfahrungen mache, wenn ich Gott suche und in der Stille einen tiefen inneren Frieden spüre.

SZ: Sie schreiben, Sexualität und Aggression seien die wichtigsten Lebensenergien. Wie kommen Sie damit klar, als Mönch beides zu unterdrücken?

Grün: Es gibt ja immer die Vorstellung, wir Mönche müssten unsere Sexualität unterdrücken. Ich lasse sie in meine Kreativität fließen.

SZ: Und das reicht, Sie haben kein Bedürfnis nach Sexualität?

Grün: Nach Sexualität nicht, nur manchmal nach Zärtlichkeit.

SZ: Sie sind mit ihren Büchern extrem erfolgreich. Warum?

Grün: Ach, wenn ich das so genau wüsste. Ich treffe, glaube ich, die Emotion vieler Leser, meine Sprache bewertet nicht und drängt nichts auf. Ich gaukle keine heile Welt vor. Und dann hat die christliche Spiritualität auch eine eigene Kraft, und die versuche ich, den Leuten zu erschließen. Dass ich da erfolgreich bin, freut mich schon. Da gönne ich mir manchmal eine kleine Eitelkeit und genieße die Anerkennung.

Ist ein Mönch stolz auf Einnahmen? Die Antwort lesen Sie im nächsten Abschnitt

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SZ: Sind Sie stolz, wenn Sie am Jahresende die Einnahmen zusammenrechnen?

Grün: Ja. 2006 waren es 490000 Euro an Buchhonoraren und 126000 Euro an Vorträgen und Seminaren. Ja, da bin ich zufrieden.

SZ: Kann man nach 200 Büchern noch neue Gedanken haben?

Grün: Gute Frage. Die Verlage wollen immer neue Werke von mir. Natürlich wiederhole ich mich in vielen Büchern. Aber wenn ich mal das Gefühl hätte, dass mir gar nichts Neues mehr einfällt, höre ich auf.

SZ: Welche Rolle spielte Geld in ihrer Kindheit und Jugend?

Grün: Mein Vater hatte ein Elektrogeschäft. Er ging nach der Währungsreform pleite und baute alles wieder auf. Ich habe seinen Geschäftssinn mitbekommen. Als ich in Rom studierte, schmuggelte ich immer Radios und Taschenlampen über die Alpen und verkaufte sie den Kommilitonen. Aber als 1974 der Abt auf die Idee kam, mich zum Finanzchef zu machen, bekam ich eine furchtbare Krise. Ich wollte Seelsorger werden.

SZ: Jetzt gehen Sie viel mit Geld um.

Grün: Was mich reizt, ist die Kreativität. Viele Klöster haben einfach keine guten Ideen. Erst wirtschaften sie schlecht, dann jammern sie. Aber sie strengen nie den Kopf an. Wie sagte der große Theologe Karl Rahner: Denkfaulheit ist keine Gabe des Heiligen Geistes. Ich habe in den Achtziger Jahren Schulden aufgenommen und das Geld gut angelegt.

SZ: Fanden Ihre Mitbrüder das gut?

Grün: Die Reaktionen im Kloster waren verheerend: Wie soll das gehen, dass man mit Schulden Geld vermehrt? Irgendeiner muss dabei doch verlieren! Ich habe dann erklärt, warum etwa die Schweizer so viel Geld haben, dass sie es billig verleihen können, und die Vereinigten Staaten so viel Geld brauchen, dass sie es teuer leihen müssen. Aber das war mühsam. Vor allem, weil auf einmal der Dollar dramatisch fiel und meine ganze Rechnung in die Schieflage geriet.

SZ: Welche Rendite erwirtschaften Sie bei den Anlagen des Klosters?

Grün: So zehn Prozent im Jahr. Das ist besser als die Entwicklung des Deutschen Aktienindex (Er blickt zufrieden). In letzter Zeit hab' ich viel mit Bonuszertifikaten gemacht, da sind Renditen von 10 bis 15 Prozent drin (Er holt einen dicken Packen Kontoauszüge aus der Schublade und blättert). Da, Bayer, die liefen gut.

SZ: Bonuszertifikate? Riskant.

Grün: Ich hab 30 Prozent Puffer und setze stark auf deutsche Blue Chips. Nur drei Prozent der Papiere haben den Puffer verletzt, das geht. Es gab ein paar Verluste, die konnte ich aber ausgleichen.

Im nächsten Abschnitt: Anselm Grün über seine größte Fehlspekulation

"Geld gefährdet die innere Freiheit"

SZ: Was war die größte Fehlspekulation?

Grün: Das waren die argentinischen Staatsanleihen. Die galten als sicher, und dann verloren sie zwei Drittel ihres Wertes. Da habe ich in kürzester Zeit drei Millionen Euro Miese gemacht. Das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich nicht gut geschlafen habe. Aber ich habe das mit Russland-Anleihen wieder wett gemacht. Die habe ich für 29 Dollar gekauft und für 170 verkauft.

SZ: Wie entscheiden Sie?

Grün: Ich lese die Süddeutsche und einen Fachdienst und vertraue meinem Bauch. Das Internet brauche ich nicht. Das frisst nur Zeit. Mit Geldanlage beschäftige ich mich am Tag maximal eine halbe Stunde.

SZ: Spüren Sie den Thrill, den Anleger spüren, die anders als Sie in die eigene Tasche wirtschaften?

Grün: Manchmal schon. Aber ich glaube, ich bin gelassener als andere Anleger.

SZ: Sie halten Seminare für Manager ab. Welche Werte wollen Sie vermitteln?

Grün: Für mich heißt führen: Gerechtigkeitssinn, Bereitschaft, den gerechten Lohn zu zahlen. Und vor allem: Leben wecken in den Menschen. Dass ich sie nicht auspresse, die Würde des Einzelnen achte, an das Gute im Menschen glaube, keinen Menschen aufgebe. Führen heißt, eine menschliche Sprache zu sprechen, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter aufrechter nach Hause gehen, ohne Angst und Depressionen.

Im nächsten Abschnitt: Welche Ängste Anselm Grün hat.

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SZ: Viele Deutsche klagen über Angst und Depressionen.

Grün: Diese Leiden sind Ausdruck der maßlosen Ansprüche an sich selber: Ich muss immer cool, erfolgreich und gut gelaunt sein. Irgendwann spüren die Leute sich selber nicht mehr, sie haben kein Selbstwertgefühl mehr. Das ist ja die Gefahr des Geldes. Geld ist nicht an sich schlecht, aber es hat die Tendenz, die Maske zu verstärken. Irgendwann geht im Innern der Menschen etwas kaputt. Ich will Reichtum nicht verurteilen, das tut auch die Bibel nicht. Aber wenn das Geld im Mittelpunkt steht, wird es leer im Menschen. Ich setze dagegen: Wertschöpfung durch Wertschätzung. Wer den Menschen achtet, kann auch reich werden - und selber Mensch bleiben.

SZ: Sie sagen: Ängste und Depressionen sind Ausdruck der Zeit. Haben Sie selbst welche?

Grün: Depressionen nicht, wohl aber Traurigkeiten. Und auch Angst, ja. Die Angst, nicht gut genug zu sein zum Beispiel. Aber mit dem Alter nimmt das ab.

SZ: Erschreckt Sie die Globalisierung?

Grün: Die Globalisierung bringt Konkurrenz mit sich, natürlich. Aber sie bietet auch Chancen. Insgesamt gehen die Firmen nicht kreativ genug mit ihr um. Sie schauen nicht nach Stärken, sie reagieren mit Angst, entlassen Mitarbeiter, starren nur auf die Kosten. Da gibt es starre Dogmen. Dagegen ist die katholische Kirche ausgesprochen flexibel und differenziert in ihren Lehraussagen.

SZ: Sie sind Chef einer mittelständischen Firma mit 200 Mitarbeitern. Wann sprachen Sie die letzte Kündigung aus?

Grün: Ich musste eine Putzfrau entlassen. Die hatte geklaut. Das geht nicht, wegen der Wirkung auf die anderen. Ansonsten versuche ich immer, Mitarbeitern zu helfen, sie zu motivieren, Stärken zu sehen statt Schwächen. Das hilft oft mehr, als mit Entlassung zu drohen.

Im letzten Abschnitt: Anselm Grün über Betrüger, Langeweile und Armut

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SZ: Wenn Sie über Ihre Einnahmen verfügen würden, könnten Sie mit dem Geld Gutes tun, wann Sie wollen.

Grün: Ich entscheide ja gemeinsam mit dem Abt, wo das Geld hingeht - in unsere Schule zum Beispiel. Die Kirche zieht sich aus den Bildungshäusern zurück, dagegen setzen wir ein Zeichen. Manchmal spenden wir. Ich erhalte viele Bettelbriefe. Ich bin aber skeptisch. Einmal habe ich 300 Euro an eine Frau geschickt, die sich als Betrügerin entpuppte. Der Polizist lachte mich aus und sagte: "Ich schicke Ihnen auch einen Brief."

SZ: Wie stark profitieren eigentlich die Mönche selbst von Ihrem wirtschaftlichen Erfolg als Manager und Autor?

Grün: Naja, wir diskutieren bei Baumaßnahmen, was wir uns leisten. Gerade haben wir beredet, ob jeder eine Dusche auf dem Zimmer bekommt. Ich bin auf der Seite der Armut. Wir brauchen keine Dusche im Zimmer, wir können über den Gang zur Gemeinschaftsdusche gehen.

SZ: Sie sind seit über 30 Jahren Finanzchef des Klosters Münsterschwarzach. Wird das nicht langweilig?

Grün: Noch macht es Spaß, es gibt aber schon zwei, drei junge Mönche, von denen ich hoffe, dass sie mein Nachfolger werden können.

SZ: Und Sie werden loslassen können?

Grün: Das weiß ich nicht so genau. Jetzt sage ich natürlich: Ich kann loslassen. Aber wenn es so weit ist, wer weiß? Andererseits habe ich viele Interessen.

SZ: Werden Sie das Spekulieren vermissen?

Grün: Mmh. (Längere Pause). Kann schon sein.

Anselm Grün wird am 14. Januar 1945 im fränkischen Junkershausen geboren. Nach dem Abitur tritt er als Benediktinermönch in die Abtei Münsterschwarzach ein. Seit 1977 führt er das Kloster als Wirtschaftschef. Daneben schrieb er hunderte spirituelle Bücher zur Lebenshilfe.

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