Recycling:"Wie ein gut abgehangener Schinken"

Bauingenieure haben einen neuen, attraktiven Baustoff entdeckt: die alten Plattenbauten der DDR.

Von Susanne Schäfer

Die Plattenbauten der DDR mögen ein ästhetisches Problem haben, bautechnisch sind sie jedoch einwandfrei. "Für die Ewigkeit geplant", urteilt Claus Asam, Bauingenieur an der TU Berlin. 350.000 Plattenbau-Wohnungen werden in den neuen Bundesländern bis zum Jahr 2010 abgerissen, weil sie leerstehen. Dabei halten die Betonplatten Claus Asam zufolge um die hundert Jahre lang. "Jetzt wandern sie nach 20 oder 30 Jahren auf den Müll, obwohl das Material noch nicht ermüdet ist."

Recycling: Idyllisch mit Wintergarten und Sonnenterrasse - so soll das Pilothaus aus Platten in Mehrow bei Berlin bald aussehen.

Idyllisch mit Wintergarten und Sonnenterrasse - so soll das Pilothaus aus Platten in Mehrow bei Berlin bald aussehen.

(Foto: Foto: : Architekturbüro CONCLUS)

Im großen Stil will Asam deshalb Plattenbauten wiederverwerten. Er hat zusammen mit seinen Kollegen vom Institut für Erhaltung und Modernisierung von Bauwerken an der TU Berlin untersucht, wie man Decken und Wände aus den Plattenbauten herauslösen und daraus Einfamilienhäuser bauen kann. Zunächst haben die Ingenieure ein Pilothaus in Mehrow bei Berlin geplant. Der Rohbau steht inzwischen, zwei weitere Einfamilienhäuser sind geplant.

Probleme bereitete zunächst vor allem die Demontage: Weil die Außenwände der alten Gebäude mit Kamelit isoliert waren, einem mineralischen Dämmstoff, der als Krebs erregend gilt, konnten die Ingenieure diese nicht verwenden.

Mittlerweile sind sie dazu übergegangen, die Innenwände aus den Plattenbauten gut verkleidet und isoliert bei den neuen Häusern auch als Außenwände einzusetzen. Die Schwierigkeiten sind nun anderer Natur: Eine Deckenplatte misst stattliche drei mal sechs Meter.

"Wie ein gut abgehangener Schinken"

Um den Abrissfirmen beizubringen, sanft mit den alten Platten umgehen, mussten die Wissenschaftler Überzeugungsarbeit leisten. Asam erinnert sich: "Die Demontage-Firmen haben immer wieder Platten zerstört, weil sie beim Ablegen kein Holz untergelegt oder die Platten aufeinander gestellt haben."

Die beste Methode, einzelne Platten aus den so genannten Spendergebäuden zu lösen, fanden die Ingenieure erst durch Ausprobieren auf der Baustelle: Erst setzten sie Bagger ein und trennten die Platten mit Gewalt voneineinander, doch die brachiale Methode ließ die Oberflächen und Kanten der Betonplatten splittern.

Mit der Zeit lernten sie zu orten, wo die Betonteile über Stahlträger miteinander verbunden sind, und konnten die schonendere "händische Methode" anwenden. Dabei werden die Platten mit einem selbstfahrenden Fugenschneider voneinander getrennt, der normalerweise im Straßenbau eingesetzt wird. Das Gerät sieht ähnlich aus wie ein Rasenmäher, vorne ist eine mit Diamanten besetzte Kreissäge eingebaut.

Mit dem Gerät lassen sich die Platten nicht nur voneinander trennen, sondern auch exakt zuschneiden. Für das Pilothaus in Mehrow blieb nicht eine Wandplatte in der Originalform. Jede einzelne wurde zugeschnitten, manche sogar in Streifen. Der Architekt Hervé Biele, der das Pilothaus in Mehrow entworfen hat, verwendete die Streifen aus den Platten als Pfeiler. Einer ist nur 65 Zentimeter breit, trägt aber ein ganzes überstehendes Zimmer. Beton härtet mit der Zeit nach, indem er Wasserdampf abgibt, die DDR-Platten vergleicht Biele mit einem "gut abgehangenen Schinken".

Biele hat das Haus so gestaltet, dass man ihm nicht ansieht, was es einmal war. So hat er große Fenster und gestaffelte Höhen eingebaut, im Esszimmer hängt die Decke etwas niedriger als in den anderen Räumen. Der Architekt räumt allerdings ein, dass das recycelte Baumaterial Grenzen hat: "Man muss sich für eine klare, strenge Architektur entscheiden. Verschnörkeltes und Verwinkeltes wäre sicherlich nur schwer möglich."

Trotzdem will er zeigen, dass aus Plattenbau-Material Eleganz entstehen kann. Das erste Pilothaus, das ein anderes Forscherteam im Jahr 2001 in Cottbus aus diesem Baustoff gebaut hat, war aus Bieles Sicht noch "ein geschrumpftes Plattengebäude". Dort hätten die Ingenieure die Elemente eins zu eins übernommen. "Da stand dann zum Beispiel das Treppenhaus aus einem elfstöckigen Gebäude in einem Einfamilienhaus. Das sah gewaltig aus."

Biele sagt, er wolle seine Entwürfe stärker an die Wünsche von Bauherren anpassen. Der Architekt und die Ingenieure von der TU Berlin haben vor, die Neubauten aus dem Recycling-Material marktreif zu machen. Ein Rohbau aus weiter verarbeiteten Platten kostet etwa 20 Prozent weniger als einer aus neuem Material - vorausgesetzt, die Logistik klappt. Denn wenn zum Beispiel die abgerissenen Platten nicht zur richtigen Zeit bei der neuen Baustelle ankommen, muss der Kran warten, und das wird teuer.

Auch darf das neue Haus nicht weiter als 60 Kilometer von der Abbruchstelle entfernt sein, denn sonst kostet der Transport zu viel. Da passt es gut, dass viele Berliner ins Umland ziehen. Für die neuen Landbewohner wollen Asam und Kollegen Ein- und Zweifamilienhäuser aus Berliner Plattenbauten errichten.

Das Plattenbau-Recycling soll auch ökologischen Nutzen haben: Das alte Material weiterzuverwenden statt neuen Baustoff herzustellen, spart Energie. Und wer sein recyceltes Haus wieder loswerden will, kann es einfach auseinander nehmen und entsorgen. Denn die Ingenieure verbinden die Beton-Elemente nur mit Dübeln, so lassen sie sich leicht wieder trennen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: