Reaktionen auf Lehman-Anleger-Urteil des BGH:Bankberater sind auch nur Verkäufer

Der Bundesgerichtshof hat entschieden: Schadensersatz steht den Anlegern der Pleite-Bank Lehman nicht zu. Das Urteil zeigt deutlich: Wer eine Bank betritt, muss ein gesundes Misstrauen mitbringen - und sollte den Bankberatern nicht immer glauben.

Kristina Läsker

Er ist seinem Image nicht gerecht geworden: Seit zwei Jahren ist Ulrich Wiechers der oberste Bankenrichter der Republik. Der Jurist steht dem XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe vor. Im März hatte er sich den Ruf als "Anlegerfreund" erarbeitet. Damals verdonnerte der 61-Jährige die Deutsche Bank zu einem Schadenersatz, weil sie einen Kunden nicht detailliert genug über ein kompliziertes Finanzprodukt, ein so genanntes Zinstauschgeschäft (Swap), aufgeklärt hatte.

BGH verwirft Schadenersatzklagen von Lehman-Anlegern

Bankenviertel in Frankfurt, abgeschirmt von einem Geschädigten der US-Investmentbank Lehman Brothers.

(Foto: dapd)

Doch mit solcher Anlegerfreundlichkeit ist nun Schluss: Drei Jahre nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers hat der BGH am Dienstag erstmals Ansprüche auf Schadenersatz verhandelt - und diese deutlich abgewiesen. Die Hamburger Sparkasse (Haspa) habe keine Fehler bei der Beratung gemacht, als sie ihren Kunden Lehman-Zertifikate verkauft habe, erklärte Richter Wiechers. Weder habe die Haspa die Risiken der Anlage verschleiert, noch sei sie verpflichtet gewesen, über ihre Gewinnmargen aufzuklären. Geklagt hatten ein pensionierter Lehrer, der vor einigen Wochen gestorben ist, und eine Ernährungsberaterin. Sie hatten 2006 und 2007 bei der Haspa für je 10.000 Euro Lehman-Zertifikate erworben, die nach der Pleite wertlos wurden.

Verbraucherschützer kritisieren das Urteil mit großer Schärfe. "Der BGH ist weit weg von den Wirklichkeit", sagte Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die obersten Richter hatten geurteilt, dass ein Institut nur dann über Gewinnmargen aufklären muss, wenn es Wertpapiere von anderen vermittelt und daran verdient. Wenn also an einem Geschäft drei Parteien beteiligt sind.

Dies sei aber bei den umstrittenen Zertifikaten nicht der Fall, so die Richter. Grund: Die Haspa hatte eine Tranche von Zertifikaten von einer Lehman-Holding in den Niederlanden gekauft und diese aus dem eigenen Bestand weiterverkauft. Dass Kunden solche Zusammenhänge wissen müssten und in der Beratung dementsprechend danach fragten, sei "lebensfremd", betonte Verbraucherschützerin Castello.

Es gibt noch Chancen auf Entschädigung

Nicht nur in Hamburg ist der Ärger groß: "Wir sind enttäuscht von dem Urteil. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Lehman-Geschädigten", sagte Manfred Westphal, Leiter des Fachbereichs Finanzen beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Westphal ärgert sich darüber, dass das erhoffte Grundsatzurteil ausgeblieben ist. Bis zu 50.000 Lehman-Geschädigte soll es in Deutschland geben. Viele hatten sich einen übergreifenden Schiedsspruch gewünscht. Doch der kam nicht.

Das Urteil habe nur "eine gewisse Pilotfunktion", hatte Bankenrichter Wiechers eingeräumt. Die Dinge könnten sich in anderen Fällen anders darstellen. Etwa, weil Risiken und Konditionen bei vielen Zertifikaten unterschiedlich waren. So bleiben etliche Geschädigte im Unklaren, ob sie doch noch klagen sollen - oder ob sie ihr verlorenes Geld aufgeben müssen. Der Schaden ist groß: Viele Anleger haben zwischen 10.000 und 50.000 Euro verloren.

Zu glauben, dass für alle Lehman-Opfer nun generell die Chancen auf Entschädigung sinken, sei aber falsch, betonte der Hamburger Anwalt Ulrich Husack. Vielmehr müssten Anleger mit einem Anwalt prüfen, ob sich eine Klage lohnen könne.

Wie angemessen eine Prüfung ist, zeigt das BGH-Urteil: Die Richter meinen, dass die Haspa in den Jahren 2006 und 2007 nicht über ein konkretes Emittentenrisiko hätte aufklären müssen. Also über die Gefahr, dass Lehman Brothers Pleite gehen könnte und die Papiere dann wertlos würden. Darauf müsse ein Verkäufer nur hinweisen, wenn es einen besonderen Anlass gebe - was 2006 und 2007 nicht der Fall war.

"Davor hätten Bankberater warnen müssen."

Wer dagegen erst im Frühjahr 2008 seine Lehman-Zertifikate erworben habe, hätte genauer aufgeklärt werden müssen, sagte der Frankfurter Anwalt Matthias Schröder. Weil es zu dieser Zeit bereits erste Gerüchte gab, dass Lehman in eine gehörige Schieflage geraten sei. "Davor hätten Bankberater warnen müssen", sagte Anwalt Schröder.

Neben dem Zeitpunkt des Kaufs dürfte es auch eine Rolle spielen, welches Risikoprofil ein Kunde habe, meinte Verbraucherschützer Westphal. Wer sehr konservativ sei, dem dürfe kein Berater hoch riskante Papiere verkaufen. Eines zeigt sich spätestens seit dem Urteil deutlich: Wer eine Bank betritt, muss - ähnlich wie beim Gebrauchtwagenkauf - ein gesundes Misstrauen mitbringen.

Wer größere Beträge investieren will, sollte daher immer eine zweite Meinung einholen. Denn Berater haben eben nicht nur das Kundeninteresse im Blick. Sie wollen auch Geld verdienen. Berater seien auch Verkäufer - mit Eigeninteressen an Gewinnen, sagte Westphal. "Das muss dem Kunden klar sein."

Nicht nur Kunden haben für die Lehman-Pleite bezahlt. Auch die Hamburger Sparkasse steht als zweiter Verlierer da. Früher einmal galt die größte Sparkasse Deutschlands als zuverlässiger Partner. Als Bank der kleinen Leute. Doch als Lehman pleiteging und die Haspa in den meisten Fällen keine Entschädigung zahlte bekam auch das Image große Kratzer.

Wie sauer viele Kunden noch sind, wird sich an diesem Donnerstag zeigen. Um halb vier sind sie verabredet. Dann wollen die Geschädigten der Lehman-Pleite mal wieder vor den Hamburger Banken protestieren. Auch Brigitte Krupsky ist darunter, die Witwe des verstorbenen Klägers, der am Dienstag in Karlsruhe leer ausging. Brigitte Krupsky will jetzt ihre Wut loswerden und ihre Empörung. Darüber, dass der kleine Anleger einmal mehr gegen eine mächtige Bank verloren hat.

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