Rat per Chat:Skypen mit der Sparkasse

  • Viele Banken wollen in den kommenden Jahren die Beratung der Kunden per Video testen.
  • Bei einer deutschen Sparkasse ist dies bereits Alltag.
  • Fraglich ist dabei jedoch, was mit den übertragenen Daten passiert.

Von Varinia Bernau

Am Anfang, so erinnert sich Felix Anthonj, war das große Staunen. Darüber, dass man inzwischen zwar alles Mögliche im Internet findet, aber für eine echte Beratung trotzdem noch immer vor die Tür muss. Aus den Diskussionen, die er darüber vor vier Jahren mit seinen Mitbewohnern am Küchentisch geführt hat, ist inzwischen ein Unternehmen geworden: Flexperto, finanziert vor allem über Risikokapital unter anderem von der Telekom, tritt mit dem Versprechen an, dass die Menschen, die eine Versicherung abschließen, einen ärztlichen Rat einholen oder ein paar Nachhilfestunden nehmen wollen, dazu eben nicht mehr vor die Tür müssen.

Stattdessen geht der Kunde beispielsweise auf die Internetseite einer Versicherung und kann dort auch alle weiteren Schritte erledigen, ohne den Browser zu verlassen: Er sieht, wann der nächste Termin bei einem Berater frei ist, er kann einen Videochat starten, Tariftabellen einblenden lassen - und schließlich auch seinen Vertrag abschließen. Er hält dazu seinen Ausweis in die Kamera. Und auch die Bezahlung kann er direkt über die Internetseite der Versicherung abwickeln. Flexperto bietet die Technologie, damit all dies reibungslos läuft.

Banken, Versicherungen und ähnliche Dienstleister, deren Geschäft eng an die Beratung geknüpft ist, stehen derzeit vor der schwierigen Frage, wie sie eben dieses ins digitale Zeitalter retten können. Seit das Internet in jeder Hosentasche steckt, können sich Kunden immer und überall informieren - und sind somit auch anspruchsvoller geworden. "Die Menschen sind längst nicht mehr an einen Ort gebunden, um Erledigungen zu machen - und deshalb müssen sich alle Dienstleister überlegen, wie sie Kunden an sich binden", sagt Lynn Thorenz vom Marktforschungsunternehmen IDC. Jede fünfte Bank weltweit, so lautet eine Prognose von IDC, wird innerhalb der nächsten zwei Jahre Videoberatung ausprobieren.

Gespräche via Video als angenehm empfunden

Die Sparkasse am Niederrhein ist über die Probephase bereits hinaus: Als erste Sparkasse in Deutschland hat sie vor vier Jahren damit begonnen, Experten per Videoschalte zu den Beratungsgesprächen in einigen Filialen hinzuziehen. "Wir waren selbst überrascht, dass wirklich alle Kunden den zugeschalteten Gesprächsteilnehmer als glaubwürdig wahrnahmen, offen mit ihm sprachen und im Anschluss daran die Atmosphäre als angenehm beschrieben", sagt der dortige Vorstandsvorsitzende Giovanni Malaponti.

Ermutigt von diesen ersten Erfahrungen, bietet sein Institut seit eineinhalb Jahren auch Videoberatung per Skype an. Via Internet kann man so Kontakt zu zwei persönlichen Ansprechpartnern aufnehmen. Die können die allermeisten Fragen bereits beantworten, nur in besonderen Fällen vermitteln sie einen Termin in der zuständigen Geschäftsstelle oder sorgen dafür, dass ein Experte zurückruft - je nach Wunsch ebenfalls per Skype. Seit einem knappen halben Jahr kann man bei der Sparkasse Niederrhein per Skype sogar ein Konto eröffnen. Ausweis vor die Kamera halten - und fertig.

Als eine Branche, die strengen gesetzlichen Regelungen unterworfen ist, glaubten sich die Banken lange in Sicherheit vor den Angreifern aus der digitalen Welt. Doch diese Gewissheit schwindet. Bei manchen Finanzhäusern wächst damit aber auch die Lust am Experiment. "Die Banken schöpfen die technologischen Möglichkeiten bei weitem noch nicht aus", sagt Stefan Groß-Selbeck von der Boston Consulting Group.

Wer gewinnt das Rennen um den Kunden?

Einerseits suchen die Geldhäuser nach neuen Möglichkeiten, die Beratung kostengünstiger als in einem umfangreichen Filialnetz betreiben zu können. Andererseits können sie nicht tatenlos dem Treiben von Apple, Google oder Paypal zusehen. Die Konzerne aus dem Silicon Valley erfinden die Art und Weise, wie die Menschen mit Geld umgehen, gerade neu. Und in kaum einem anderen Bereich fließt derzeit so viel Risikokapital wie in Start-ups, die die Finanzbranche bei dem Schritt in die digitale Welt unterstützen - oder sie dabei auch überholen.

Denn es ist keinesfalls ausgemacht, wer dieses Rennen um den Kunden der Zukunft gewinnt: Die Banken? Die Technologiekonzerne? Neue Start-ups? Oder wird es am Ende doch auf Partnerschaften hinauslaufen, in denen jeder seine spezifischen Stärken einbringt - aber auch die Gewinne untereinander geteilt werden?

Das Start-up Flexperto spielt dabei die Sicherheitskarte: "Die Frage, was mit den übertragenen Daten passiert, kommt in jedem Gespräch - und zwar ziemlich schnell", erzählt Gründer Felix Anthonj. Er betont, dass seine Dienste alle über Server in Deutschland laufen und die Kommunikation komplett verschlüsselt wird. "Wir können gar nicht auf die Kundendaten zugreifen." Dass einige Sparkassen, übrigens nicht nur im Rheinland, sondern auch in anderen Regionen, mit Skype ausgerechnet auf einen amerikanischen Anbieter setzen, findet er befremdlich. US-Unternehmen sind im Zweifelsfall nämlich dazu verpflichtet, auch sensible Kundendaten an US-Behörden herauszugeben. In Moers heißt es hingegen, man stehe den Kunden dort Rede und Antwort, wo diese den Kontakt suchen.

Dem persönlichen Kontakt messen die Deutschen hohe Bedeutung zu

Mehr noch als die diffuse Sorge um ihre Daten hält Branchenbeobachterin Lynn Thorenz die Skepsis gegenüber neuen Technologien für ein großes Hindernis bei der Beratung per Videochat. "Dem persönlichen Kontakt wird in Deutschland eine viel höhere Bedeutung zugemessen als in anderen europäischen Ländern - und zwar quer durch alle Branchen." Bei komplizierteren Angelegenheiten wie etwa einer Baufinanzierung kommen auch die Kunden der Sparkasse Niederrhein nach wie vor in die Filiale - statt zu skypen.

Bei Flexperto gibt man sich zuversichtlicher: In fünf Jahren, so glaubt Anthonj, 24, werde es den Menschen absurd erscheinen, bei einem Wehwehchen einen halben Tag freizunehmen, um sich ins Wartezimmer einer Arztpraxis zu setzen. Gesundheitseinrichtungen sind nach den Banken, Versicherungen und Sprachlehrern die nächsten Dienstleister, die das Start-up für seine Software gewinnen will.

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