Quartiere:Wenn die Künstler kommen

Kreative Räume Ruhrgebiet

Was Kreative anlockt: aufgegebene Zechen, Werkstätten und ehemalige Industrieflächen wie hier im Ruhrgebiet.

(Foto: Stadt Dinslaken/Bochum/RAG)

Kreative Unternehmen können sogenannte Problemviertel stabilisieren.

Von Miriam Beul-Ramacher

Ralf Bohnenkamp schiebt einen zwei-mal-zwei Meter großen Keilrahmen aus einer Ecke seines Ateliers in eine andere. "Ich kann hier nicht arbeiten, ich brauche Platz!", sagt er. Siebe, Farbtuben, Pinsel, fertige Gemälde: Die ideale Werkstatt für seine großformatigen Collagen ist der Kellerraum in seinem Mülheimer Einfamilienhaus nicht. Zu wenig Tageslicht, zu niedrige Decken. "Den richtigen Ort zu finden, ist für uns nicht leicht", sagt Anna Flores, die ebenfalls Künstlerin ist und ihr Atelier im ersten Stock des Hauses eingerichtet hat.

Die Bilder des Mülheimer Paares entstehen in einer Mischung aus Malerei und Collagentechnik. Zum Arbeiten benötigen sie viel Fläche, viel Wasser und einen Boden, der allerhand vertragen kann. Etliche Male schon hat das Paar seine Werkstätten aus dem Wohnhaus ausgelagert. Doch meistens blieb es bei Interimslösungen. Einmal fanden die beiden zum Beispiel in Duisburg-Neudorf eine alte Bäckerei, die lange ungenutzt war. Dort gab es viele Waschbecken, einen günstigen Mietpreis von vier Euro pro Monat und Quadratmeter, doch im Winter nicht mehr als 13 Grad. Und vor allem aber:keine anderen Künstler.

Ein Jahr später mietete das Paar ein Hinterhof-Atelier in Essen-Rüttenscheid an. Die Räume waren hell, licht und umgeben von anderen Kreativen. Doch nach dem ersten Winter gaben die beiden auch dieses Quartier auf. In der schlecht isolierten Halle sanken die Temperaturen auf das Niveau der Duisburger Bäckerei. Bloß - im Rücken der schicken Szenemeile Rüttenscheider Straße war das Frieren fast doppelt so teuer. Seitdem läuft eine Dauersuche. "Alle zwei Monate besichtigen wir ein Objekt, wir sind die reinsten Immobilientouristen geworden", sagt Anna Flores.

Das Beispiel des Mülheimer Paares zeigt zweierlei: Zum einen, dass die 15 Städte und Kreise der Metropole Ruhr Immobiliennutzern aus der Kreativwirtschaft durchaus Nischen zu bieten haben. Beliebt sind vor allem Flächen, die nicht zu den boomenden Entwicklungsräumen der Städte zählen wie Altbauquartiere, leere Ladenlokale und Wohnungen, aufgegebene Zechen, Werkstätten oder ehemalige Industrieflächen.

Die Städte an der Ruhr spekulieren auf den Prozess der Gentrifizierung

Auf der anderen Seite scheinen aber Kreative und Immobilieneigentümer noch immer nicht so recht zueinanderzufinden. Was allerdings auch in der Natur der Sache liegt. Zu verschieden sind die Flächenansprüche und die wirtschaftlichen Möglichkeiten der meist kleineren Unternehmen, um für die benötigen Flächen auch finanziell aufzukommen. So spielen ein Bildhauer und ein Designstudio in puncto Flächen und Kosten zumeist nicht in der gleichen Liga. Auch eine Tanzwerkstatt hat zum Beispiel ganz andere Raumwünsche und ein anderes Mietbudget zur Verfügung als etwa eine international agierende Werbeagentur. Nach Recherchen des Maklerunternehmens Colliers in Düsseldorf sind gerade die Werbefirmen finanziell gut ausgestattet und zahlen zwischen 15 und 18 Euro pro Quadratmeter Miete im Monat, vereinzelt auch darüber. Doch das sind Ausnahmen.

"Viele Immobilienbesitzer haben Nutzer aus der Kreativwirtschaft nicht so richtig auf dem Radar oder sie wissen gar nicht, dass ihre Mieter Kreative sind", sagt Rasmus C. Beck, Vorsitzender der Geschäftsführung der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr (WMR, siehe Interview rechts).

Die Enquête-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages hat übrigens elf Teilbereiche definiert, die der Kreativwirtschaft zuzurechnen sind: Architekturmarkt, Buchmarkt, Designwirtschaft, Filmwirtschaft, Kunstmarkt, Markt für darstellende Künste, Musikwirtschaft, Pressemarkt, Rundfunkwirtschaft, die Software-Games-Industrie und der Werbemarkt.

Gemeinsam mit der im Jahr 2009 gegründeten Abteilung Cluster Kultur- und Kreativwirtschaft im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium (Creative.NRW) will die WMR Anbieter und Nachfrager stärker miteinander vernetzen. Dazu haben die beiden Institutionen jetzt das Handbuch "Räume kreativ nutzen" herausgegeben. Die Artikelsammlung dokumentiert, dass kreative Nutzer aufgegebenen Industriearealen und leeren Wohnungen neues Leben einhauchen können und sich Problemquartiere dadurch stabilisieren. Im Idealfall steigen in der Folge dann auch die Werte der betroffenen Immobilien, manchmal sogar der Wert eines ganzen Quartiers. Die Beispiele aus Dortmund, Dinslaken, Bochum, Köln, Wuppertal sowie aus Berlin und Karlsruhe zeigen aber auch, dass sich solche Quartiere nicht am Reißbrett planen lassen.

"Der althergebrachte Top-Down-Ansatz - Flächen bereitstellen, Fördertopf ausschütten, Rendite abschöpfen - funktioniert bei diesem Wirtschaftszweig nicht. Es geht nicht darum, Gewerbegebiete auszuweisen, sondern darum, Milieus zu schaffen", sagte der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) bei der Buchvorstellung vor einigen Wochen. Doch das kann nur im Dialog gelingen.

Das Nutzungskonzept für die 2005 geschlossene Zeche Lohberg in Dinslaken zum Beispiel hat die Eigentümerin RAG Montan Immobilien GmbH (RAG) nicht allein, sondern zusammen mit 90 Kreativen entwickelt. Auf dem 40 Hektar großen Areal finden Nutzer aus der Kreativwirtschaft jede Menge noch nicht zu Ende geplante oder recycelte Flächen in früheren Zechenhäusern und Industriebauten. "Die unfertigen Räume haben wir in der Anfangsphase für 2,50 Euro pro Monat und Quadratmeter vermietet", sagt Ruth Reuter, Stadtplanerin der Stadt Dinslaken und Projektleiterin des Kreativquartiers Lohberg (KQL). Je nach Lage und Zustand würden heute 4,50 bis 6,50 Euro kalt gezahlt. Inzwischen hätten sich rund 15 Kreative mit Ateliers angesiedelt, neben Bildenden Künstlern auch Fotografen und Designer. Für Events stünden zusätzlich unterschiedliche Hallen zur Verfügung.

"Die Nutzer wissen, dass sie reine Gebäudehüllen mieten, oft ohne Wasser und Strom. Das müssen sie selbst organisieren", sagt Projektleiterin Reuter. Der Umbauprozess vom Bergwerk zum Zentrum für Kreative werde in Lohberg noch viele Jahre in Anspruch nehmen. "Dennoch haben die Künstler und Kreativen schon viel für den Standort und ein besseres Image getan", meint Reuter, die damit einen neuralgischen Punkt anspricht. Zwar haben Studien längst bewiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen Kreativität, dem Wert von Immobilien und wirtschaftlicher Prosperität gibt. Paradebeispiele dafür sind die Stadtteile Brooklyn in New York und Notting Hill in London. Zuerst waren sie Problemviertel mit günstigen Mieten und daher Nischen für Kreative, später dann Szene-Lage mit sündhaft teuren Preisen.

Auf einen solchen Prozess der Gentrifizierung spekulieren die Städte der Metropole Ruhr durch den Motor Kreativwirtschaft auch. Doch ob die erhofften Abstrahleffekte in Dortmund, Dinslaken oder Wuppertal je eintreten werden, bleibt abzuwarten.

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