Prozess in den USA:Erbschleicherei auf amerikanisch

In New York spielt sich ein spektakulärer Prozess um eine verstorbene Society-Lady ab: Der Sohn soll der Alzheimer-Kranken Millionen abgeknöpft haben.

J. Häntzschel

Nancy Kissinger, die Frau von Henry, war da und Philippe de Montebello, der ehemalige Direktor des Metropolitan Museums und John Hart, der Theater- und Filmproduzent ("Revolutionary Road") und natürlich auch Annette de la Renta, die Gattin des amerikanischen Designers Oscar de la Renta. Die Liste bekannter Namen aus der Manhattaner High Society wird täglich länger. Doch es ist kein Wohltätigkeitsball, der hier stattfindet. Und die Räumlichkeiten sind nicht zu vergleichen mit den Salons voll Samt, Gold und Marmor, in denen viele der Anwesenden kurz zuvor noch gefrühstückt haben.

Erbe, Bloomberg

Er soll das Testament seiner Mutter gefälscht und sich um 60 Millionen Dollar bereichert haben: Anthony Marshall (rechts) vor dem Supreme Court in New York.

(Foto: Zeichnung: Bloomberg)

Verhandelt wird hier, am New Yorker State Supreme Court, eine weniger glanzvolle Episode im Leben der Park-Avenue-Gesellschaft. Es geht um Brooke Astor, die Grande Dame der New Yorker Society, die 2007 im Alter von 105 Jahren gestorben ist, und darum, wie ihr einziger Sohn, Anthony Marshall, gemeinsam mit Astors Anwalt Francis Morrissey versuchte, ihren Reichtum zu seinem zu machen. Sie beide hätten Astors fortschreitende Alzheimer-Erkrankung ausgenützt, so der Vorwurf der Anklage, um ihr immer größere Teile des Familienerbes zu entwinden - darunter viele Millionen, die für das Metropolitan Museum, die Public Library und den Zoo vorgesehen waren, die New Yorker Institutionen, die Astor, der Familientradition treu bleibend, jahrzehntelang beschenkt hatte.

Erbschleicherei ist so alt wie der Tod. Doch einen Fall wie diesen, mit einer der reichsten, bekanntesten und ältesten Frauen der USA als Opfer und ihrem einzigen Sohn als mutmaßlichen Täter, gibt es nicht alle Tage. Nachdem Vanity Fair schon im letzten Oktober eine 18-seitige, empörte Anklage von einem Astor-Vertrauten druckte, kolportiert die New Yorker Presse nun täglich die neuesten Details, die die prominenten Zeugen dem Gericht tags zuvor auftischten.

Besser als eine Fernseh-Show

Die Perfidie, mit der der Sohn die zunehmende Verwirrtheit seiner Mutter offenbar ausnützte, steht dabei gar nicht im Vordergrund. Viel faszinierender für das Publikum ist der Blick durchs Schlüsselloch in die Gemächer der New Yorker Aristokratie - und der Kampf um Status und Klassenzugehörigkeit, der sich dort abspielt. Die neureichen Zicken, die sich in der amerikanischen Reality-Show "The Real Housewives of New York" um gute Plätze in den Shows von Drittklass-Designern bekriegen, können da nicht mithalten.

John Jakob Astor stammte aus dem pfälzischen Wallstadt. Kurz nachdem er 1784 in die USA kam, begann er, mit Pelzen zu handeln, die er den Indianern abkaufte. Tee, Opium und Sandelholz folgten. Drei Jahrzehnte später investierte er das Geld, das er mit seinem Handelsimperium verdient hatte, um im großen Stil Land im damals noch unbebauten mittleren Manhattan zu kaufen. Wie von Astor vorausgesehen, riss man ihm das Land während New Yorks Aufstieg zur Weltmetropole dann aus den Händen. Er wurde zum ersten US-Multimillionär und zum größten Philanthropen New Yorks.

Brooke Astor heiratete erst 1953 in die Familie ein. Vincent Astor, der letzte reiche Astor Amerikas und Sohn von John Jacob Astor IV, der mit der Titanic unterging, war ihr dritter Mann. Als er sechs Jahre später starb, erbte sie nicht nur Astors Vermögen von 60 Millionen Dollar, sondern auch die Herrschaft über weitere 60 Millionen der gemeinnützigen Vincent Astor Foundation. Geldverteilen war, neben dem Leben als charmante und abenteuerlustige New Yorker Society-Queen, bis kurz vor ihrem Tod ihre Hauptbeschäftigung.

Nur mit ihrem 1925 geborenen Sohn Anthony Marshall, den sie mit ihrem zweiten Ehemann John Dryden Kuser hatte, wurde sie nie recht glücklich. Als Marine kämpfte er in Iwo Jima, doch das war auch schon der Höhepunkt seiner Karriere. Er war vorübergehend bei der CIA, bevor er, nicht ohne die unermüdliche Lobbyarbeit seiner Mutter, als US-Botschafter durch Posten wie Madagaskar oder Trinidad und Tobago tingelte. Auch als Schriftsteller versuchte er sich. Selbst kein Astor zu sein, das wurde seit der dritten Heirat seiner Mutter zu seinem Lebensproblem. Der einzige Trost war der immense Reichtum, der ihm nach dem Tod seiner Mutter in den Schoß fallen würde.

Das eigene Einkommen erhöht

Doch während er selbst älter und zunehmend gebrechlich wurde, wirbelte seine Mutter noch fröhlich durch die New Yorker Salons. "Sie hatte immer irgendeine Affäre am Laufen", erzählte der Produzent John Hart dem Gericht und berichtete von ihren Flirts mit Bill Clinton und Matthew Broderick. Würde die Mutter nach ihm sterben, so rechnete sich Marshall aus, ginge seine dritte Frau, die von Astor verachtete Pfarrerstochter Charlene, leer aus. Astors Alzheimer, der sich Ende der 90er Jahre immer stärker bemerkbar machte, bot Marshall die Chance, genau das zu verhindern.

Zunächst erhöhte er sein Einkommen als Mitverwalter der Astor-Stiftung. Er verkaufte gegen ihren Willen ein von seiner Mutter geliebtes Gemälde und kassierte eine üppige Kommission. Er übertrug das Astorsche Sommerhaus Cove End in Maine an sich selbst und dann weiter an seine Frau. Er feuerte Haushaltshilfen und Gärtner, die Brooke nach ihrem Tod bedenken wollte, "sofern sie noch in meiner Anstellung sind". Die Hauptanklage betrifft jedoch das Testament selbst, das Marshall mit der Hilfe von Morrissey so geändert haben soll, dass das Astorsche Vermögen ihm selbst zukommen würden - und nicht den Museen und Bibliotheken, die sie zuvor als Empfänger des Gelds vorgesehen hatte.

Es war übrigens kein anderer als Marshalls Sohn Philip, der die vermeintlichen Machenschaften seines Vaters mit seiner Klage auf Entzug der Vormundschaft für dessen Mutter an die Öffentlichkeit brachte. Wenn der Prozess in einigen Monaten beendet ist, drohen Anthony Marshall bis zu 25 Jahren Haft.

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