Private Anleger:Der Aktionär ist wieder da

Deutsche Börse Frankfurt

Die Bronzeplastik eines Bullen steht als Symbol für den Aufwärtstrend am Aktienmarkt vor der Börse in Frankfurt am Main.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Nach langer Enthaltsamkeit gibt es in Deutschland wieder mehr private Aktienbesitzer. Wer kauft die Papiere? Spurensuche im Wirtshaus.

Von Hans von der Hagen

Als die Dame mit dem leicht niederländischen Akzent bekennt, sie habe in der vergangenen Woche gezockt, klingt das höchst vergnügt. In dieser Runde wirkt das auch so, als habe sie ausnahmsweise einen Volkswagen Passat mal in der Garage stehen lassen und sei stattdessen mit einem geliehenen Sportwagen über die Autobahn gebraust.

Zocken, das ist genau das, was sie hier an dem Aktienstammtisch eigentlich nicht machen. Aber der Gewinn lag "bei zufällig 400 Prozent". Und da nicken dann doch einige respektvoll. "Wie viel Euro?", ruft einer aus der Runde. "Von Prozenten kann man nicht leben." Gelächter. Es sei nur ein kleiner Betrag gewesen, sagt sie. "Ich habe 6000 Euro verdient." Um die 30 Personen, eher Männer als Frauen, eher älter als jung, sitzen an diesem Abend beim Metzgerwirt im Münchner Westen, Schloss Nymphenburg ist in Sichtweite und König Ludwig schaut von der Wand herab.

Es sind Leute, die offenkundig Spaß daran haben, ihr Geld in Aktien anzulegen und sich mit Unternehmen und Chancen zu beschäftigen. Und wenn es gerade nichts anzulegen gebe, würden sie auch mal wandern oder auf den Weihnachtsmarkt gehen, sagt Peter Matthiesen, der schon seit den Anfängen der Aktien-Runde-München im Jahr 2002 dabei ist. Alle 14 Tage treffen sie sich.

Matthiesen ist im Rentenalter und sehr wachsam, was die Finanzmärkte angeht. "Wir haben zwei fiktive Musterdepots", erzählt er. "An denen können sich die Teilnehmer der Runde orientieren." Eines enthalte nur Unternehmen, die seit Jahrzehnten solide wirtschafteten und die möglichst international aufgestellt seien. Coca-Cola, Linde, Lindt und Novartis. Einer aus der Runde spricht von "Oma-Werten".

Das sehen wohl auch andere so, darum gibt es überdies das Perspektiv-Depot. Darin finden sich Aktien, die etwas mehr Schwung verheißen, aber auch riskanter sind: Apple zum Beispiel. Und Infineon.

Alle Veränderungen im Depot werden per Handzeichen auf den Weg gebracht. An diesem Abend fliegt mit großer Zustimmung aller die Hälfte der britischen Reckitt-Benckiser-Aktien aus dem Depot. Die Runde fürchtet, dass der Brexit, also der drohende Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, dem Pfund schwer zusetzen könnte.

Kein Zweifel, hier in diesem Wirtshaus steht die Aktie, man muss es so sagen, hoch im Kurs. Ganz anders sieht es im Rest der Republik aus.

Manfred Krug und die furchtsamen Deutschen

Besaßen 2001 noch 13 Millionen Deutsche Aktien oder Aktienfonds, waren es 2015 nur noch neun Millionen, weiß das Deutsche Aktieninstitut (DAI). Das entspreche 14 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren. Es ist der höchste Stand seit drei Jahren, darum glaubt man beim DAI, der Interessenvertretung von Banken, Investoren und börsennotierten Unternehmen: "Die Deutschen fassen wieder Vertrauen in die Aktie." Vielleicht ist die Wahrheit auch sehr viel schlichter: Es fehlt an Alternativen. Außerdem hält kein Schauspieler mehr seinen Kopf für die Aktie hin.

So wie damals Manfred Krug. An ihm machen bis heute viele den ersten und zugleich letzten großen Aktienboom Deutschlands fest: Krug, der einst als Rechtsanwalt Liebling Kreuzberg und Tatort-Kommissar Paul Stoever den Weg ins deutsche Wohnzimmer gefunden hatte, war 1996 von der Deutschen Telekom in einen gigantischen Werbefeldzug eingespannt worden: Er sollte den furchtsamen Deutschen Mut machen, Aktien zu kaufen. Nicht irgendwelche, sondern die T-Aktie, die aus Sicht der Telekom Solidität und Zukunftshoffnung wie keine zweite Aktie vereinte.

In einem der Werbespots fragt Krugs Tatort-Kollege Charles Brauer: "Was würdest Du einem jungen Vater empfehlen, der sich Sorgen um die Zukunft macht." Krug gewohnt forsch: "Mitgehen!" Breuer: "Mit wem?" Krug: "Na, mit der Telekom, wenn die wieder an die Börse gehen."

Geldanlage

In welchen Städten welche Aktien im Depot liegen

Viele sind mitgegangen bei einem der Telekom-Börsengänge. Zunächst lief es ja auch fantastisch - die T-Aktie schwang sich auf Kurse von mehr als hundert Euro. Der Dax stieg unaufhaltsam und was am Neuen Markt mit seinen jungen Internetunternehmen geschah, lässt sich selbst mit dem Wort Ekstase nur unzureichend beschreiben. Deutschland war wie im Rausch. Emsig lernten Bürger Begriffe wie Neuemission, Bookbuildingspanne und Zeichnungsfrist. Es lohnte sich ja auch: Wer bei Börsengängen Aktien zugeteilt bekam, strich über Nacht mitunter mehrere Tausende Euro ein.

Dann der jähe Absturz, der bis heute nachwirkt: Der Dax verlor zwischen 2001 und 2003 mehr als 70 Prozent seines Wertes. Keine Börsenweisheit, keiner jener Sätze, die Anlegern gerne in düsteren Zeiten um die Ohren gehauen werden, hielt damals der brutalen Wirklichkeit stand. Viele Menschen haben in jenen Jahren sehr viel Geld verloren.

"Wahrscheinlich konnten Sie den Hals nicht voll kriegen"

Die Euphorie wich der Wut, dann kam die Resignation. Manfred Krug geriet mit der Bild am Sonntag aneinander, die seine Antwort auf den Brief eines sich als erboster Aktionär ausgebenden Herrn abdruckte und dessen Antwort wohl widerspiegelte, was viele dachten: "Als die T-Aktie bei 100 Mark stand, hätten Sie verkaufen können. Wahrscheinlich konnten Sie den Hals nicht voll kriegen und haben darauf gewartet, dass die Aktie steigt und steigt. Jetzt muss ich mir Ihr Gejammer anhören."

Verschämt zogen sich viele Anleger aus den Aktien zurück, still beerdigte die Deutsche Börse den Neuen Markt. Mitte der Nullerjahre ging es wieder bergauf. Die verbliebenen privaten Anleger hofften, der Sturz des Dax werde sich als Versehen erweisen. Und tatsächlich: 2007 stand er wieder da, wo im Jahr 2000 der Abstieg begonnen hatte: bei mehr als 8000 Punkten. Doch dann der nächste Schlag: die Finanzkrise. Der Dax-Index halbierte sich und vergraulte so auch die tapfersten Anleger. Die Deutschen wurden wieder zu einem Volk von Sparern. Manfred Krug schrieb keine bösen Briefe mehr, sondern entschuldigte sich "aus tiefstem Herzen bei allen Mitmenschen", die "eine von mir empfohlene Aktie gekauft haben und enttäuscht worden sind". Die Werbespots für die T-Aktie? Sein größter beruflicher Fehler.

Jetzt, neun Jahre später, sieht es für die T-Aktie kaum besser aus. Sie notiert mit gut 16 Euro leicht über dem Niveau ihres ersten Ausgabekurses in den neunziger Jahren. Die jungen Väter aus der Telekom-Werbung, das ist nun klar, haben sich zu Recht Sorgen gemacht. Jenseits der Deutschen Telekom ist es in den vergangenen Jahren allerdings recht ordentlich gelaufen. Der Dax stand zwischendurch bei mehr als 12 000 Punkten, aktuell liegt er bei knapp unter 10 000 Punkten.

Doch der Aufschwung konnte das Verhältnis der Deutschen zur Aktie nicht mehr kitten. Die Börse ist für viele Bürger zur No-go-Area geworden. Marc Tüngler von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz versteht das nicht. "Da ärgern sich die Leute höchstens über die Gewinne der Konzerne oder den hohen Preis des Iphones. Aber wäre es nicht der elegantere Weg, sich an den Gewinnen zu beteiligen?" Natürlich seien damit Risiken verbunden, es zeige sich jedoch regelmäßig, dass auf lange Sicht Aktien Vorteile im Vergleich zum Sparbuch hätten.

Musterdepot ist seit 2012 um 60 Prozent wertvoller geworden

Wer investiert heute noch? Die Comdirect-Bank beschreibt die privaten Anleger so: Gut 70 Prozent von ihnen sind männlich, das Durchschnittsalter liegt bei 43 Jahren. Im Depot liegen 53 Prozent Aktien, 26 Prozent Fonds und 10 Prozent Indexfonds. Bei Männern ist der Anteil der Aktien mit 55 Prozent deutlich höher als bei den Frauen (45 Prozent), die dafür mehr Fonds haben. Im Schnitt werden sie 14 Mal im Jahr mit jeweils 7000 Euro an der Börse tätig.

Doch was die Deutschen tatsächlich in Aktien investiert haben, lässt sich nur unzureichend ermitteln. Die Bundesbank nannte 2013 eine Zahl von im Schnitt 29 000 Euro pro Haushalt. Allerdings: Die Aktienvermögen sind sehr ungleich verteilt. Die Hälfte der Haushalte hatte damals ein Aktienvermögen von 8600 Euro oder weniger. Derzeit ist in fast allen großen Städten gemäß einer Auswertung der Kundendepots von Comdirect die Allianz-Aktie besonders begehrt. Auch Daimler, Apple und BASF werden oft gehalten. Ausnahme ist Berlin: Dort setzen Anleger besonders oft auf United Internet.

Private Anleger: SZ-Grafik; Quelle: comdirect bank; Basis: Mikrogeografische Daten von GfK und Acxiom 2015

SZ-Grafik; Quelle: comdirect bank; Basis: Mikrogeografische Daten von GfK und Acxiom 2015

Doch wer sagt Anlegern heute, welche Aktien sie kaufen können? Fragen sie ihren Bankberater, bekommen sie allenfalls ein paar Aktienfonds genannt. Private Vermögensverwalter haben meist erst dann Interesse an Anlegern, wenn die ein ordentliches Vermögen mitbringen. Bleibt: Sich selbst zu informieren. Und Anleger, findet Tüngler, müssten vor allem miteinander reden, gerade in Familien.

An Stammtischen wie dem der Aktien-Runde-München wird viel geredet. So korrigiere man sich gegenseitig, sagt Matthiesen - und mache sich zugleich Mut, es überhaupt mal mit der Aktie zu probieren. Dass es viele Risiken gibt, wissen sie. Doch die Dividende, sagt Matthiesen, sei der neue Zins. Echte Zinsen gebe es ja nicht mehr. Beim Aktienstammtisch sind sie unter den Blicken von König Ludwig gut damit gefahren. Das Musterdepot ist seit seiner Einrichtung im Jahr 2012 rund 60 Prozent wertvoller geworden. Natürlich ohne die Telekom. Mit Manfred Krug braucht ihnen hier wirklich keiner zu kommen.

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