Private Altersvorsorge:Lücke in der Rente

Reserven bilden, um die gesetzliche Rente aufzubessern - vor allem Geringverdiener machen das bisher kaum. Doch wie viel Geld brauchen Angestellte wirklich fürs Alter? Ein Professor rechnet - und kommt zu brisanten Ergebnissen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Eine entscheidende Frage für jeden Arbeitnehmer: Wie viel Geld muss ich während meines Berufslebens monatlich sparen, um meinen gewohnten Lebensstandard als Rentner sichern zu können? Die Antwort hängt davon ab, wie man rechnet - und wer rechnet. Ob Banken, Versicherer oder Investmentgesellschaften, sie alle haben ein Interesse daran, die Vorsorgelücke möglichst groß erscheinen zu lassen, damit sie mehr Geld von Anlegern einsammeln können.

"Der Bedarf im Alter wurde von der Fachwelt entweder theoretisch abgeleitet oder willkürlich vorgegeben. Alle Versuche, ein angemessenes Niveau der Vorsorge zu bestimmen, hingen somit empirisch in der Luft", sagt Professor Martin Werding, der sich an der Ruhr-Universität Bochum seit Jahren mit Sozialpolitik und öffentlichen Finanzen befasst. Er hat deshalb selbst nachgerechnet. Doch auch bei ihm ist die Vorsorgelücke groß, sogar noch größer als in anderen Untersuchungen.

Er sagt: Im Durchschnitt müssen die Bürger bei Eintritt ins Rentenalter etwa 87 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens erzielen, um zufrieden ihren Lebensabend verbringen zu können. Bislang war in diversen Schätzungen häufig von 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens die Rede.

Werding, der für den amerikanischen Vermögensverwalter und Fondsanbieter Fidelity die Studie erarbeitet hat, taxiert den Bedarf deutlich höher. Einem Durchschnittsverdiener in der Rentenversicherung mit 2750 Euro brutto im Monat, der 45 Jahre regelmäßig Beiträge in die Rentenkasse gezahlt hat, würden demnach jeden Monat 650 Euro netto als Ruheständler fehlen, wenn er nicht zusätzlich vorgesorgt hat. Das sind 350 Euro mehr als bei einem Bedarf, der sich an den 70 Prozent des Nettoeinkommens orientiert. Das Rentenniveau eines Durchschnittsverdieners liegt im Moment bei 49,6 Prozent des Nettolohns.

Bislang legen die meisten Geringverdiener überhaupt nichts zurück

Wie kommt der Professor auf seine überraschenden Zahlen? Er hat in eine beliebte Fundgrube der Sozialforscher geschaut, das sozioökonomische Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Darin stecken die Daten von 11.000 privaten Haushalten mit etwa 20.000 Personen, die jedes Jahr befragt werden. Werding ermittelte nun, wie zufrieden die Befragten mit ihrem jeweiligen Einkommen zwischen dem Renteneintritt und dem 75. Lebensjahr sind, und leitete daraus ab, wie viel Geld sie zusätzlich zur gesetzlichen Rente benötigen, damit sie unverändert zufrieden mit ihrer Finanzsituation sind. Der angegebene Durchschnitt von 87 Prozent dürfte allerdings mit Vorsicht zu genießen sein, weil Rentner mit einem geringen Alterseinkommen von vielleicht 700 bis 800 Euro kaum damit zufrieden sein dürften, auch wenn der Betrag 87 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens entsprechen sollte.

Nach den Berechnungen von Werding müsste ein verheirateter, 1970 geborener Geringverdiener mit einem Kind und einem monatlichen Bruttoeinkommen von 1326 Euro 51 Jahre lang monatlich 28 Euro zurücklegen, um zusammen mit seiner gesetzlichen Rente auf die 87 Prozent zu kommen. Unterstellt ist dabei eine Teuerungsrate von zwei Prozent und eine Rendite von zwei Prozent nach Abzug der Inflation. Bei einem Normalverdiener mit einem Bruttoverdienst von 2950 Euro beliefe sich der entsprechende Sparbetrag bereits auf 95 Euro. Bei einem Single mit 4453 Euro monatlich brutto wären es 143 Euro monatlich bei 42 Berufsjahren.

Bislang legen aber die meisten Geringverdiener überhaupt nichts fürs Alter zurück. Vor allem die betriebliche Altersvorsorge führe in Deutschland vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen ein Schattendasein, obwohl diese Form der Vorsorge "die effizienteste und kostengünstigste Lösung ist", kritisiert Fidelity-Manager Klaus Mössle. Er verweist auf Modelle wie in den Niederlanden, wo die zusätzliche Vorsorge quasi verpflichtend ist und je nach Einkommensklasse 50 bis knapp 100 Prozent der Beschäftigten vorsorgen. Auch Großbritannien hat eine Vorsorgepflicht im Oktober 2012 eingeführt. Ein Prozent des Lohns vom Arbeitnehmer werden dort automatisch zurückgelegt, wenn der sich nicht ausdrücklich dagegen ausspricht. Ein weiteres Prozent muss der Arbeitgeber obendrauf legen.

In Deutschland gibt es keine Pflicht zur Vorsorge. Hinzu kommt: Werden Betriebsrenten ausbezahlt, müssen gesetzliche Versicherte darauf ihren vollen Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung zahlen - auch damit müssen Rentner rechnen.

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