Politiker und die Occupy-Bewegung:Billig-Angriff auf die Banker

Von der Bundeskanzlerin bis zum EZB-Chef: Etliche Politiker adeln die Occupy-Bewegung mit ihrer Zuneigung. Das ist peinlich. Denn alle wissen, dass der Protest zu kurz greift und den Feind falsch benennt. Für die aktuelle Krise sind nicht zockende Banken verantwortlich - sondern verantwortungslose Regierende.

Marc Beise

Jede Protestbewegung braucht ihre Feindbilder, und häufig gibt es gute Gründe dafür. So muss man mit den Bankern und Spekulanten nicht unbedingt Mitleid haben, die nun an den Pranger geraten sind; sie standen lange genug auf der Sonnenseite des Lebens und fühlten sich als Angehörige einer "systemrelevanten Branche" vor Kritik gefeit

Skyline Frankfurt am Main

Die Frankfurter Skyline.

(Foto: dpa)

Nun bläst ihnen der Wind ins Gesicht, selbst im protestzögerlichen Deutschland ist "Occupy Wall Street" angekommen. Entgegen der gewaltigen Medienresonanz aber handelt es sich um eine kleine Bewegung, und schon über diese Diskrepanz könnte man einiges anmerken.

Aber es ist gibt so viel Geraune über die Rolle des Finanzsystems, und die Ohnmachtsgefühle wachsen bei immer mehr Bürgern, sodass der Protest ernst genommen werden sollte. Warum auch nicht: Viel zu lange haben sich die Wirtschaft und erst recht die Finanzwelt als Elite der Gesellschaft gesehen mit einem Geschäftsmodell, das der Bürger nicht versteht und nicht zu verstehen brauche - und umgekehrt wurde ihr diese Rolle von der Gesellschaft auch zugebilligt. Das ändert sich nun, da die Dinge aus dem Ruder laufen. Von einer Elite erwartet man geräuschlose Lösungen, nicht sich immer höher auftürmende Probleme.

Den Protest ernst nehmen heißt allerdings nicht, vor ihm zu kapitulieren. Der Kotau der Politiker, von der Bundeskanzlerin bis zum europäischen Notenbank-Präsidenten, ist peinlich. Sie alle wissen, dass der Protest zu kurz greift, dass der Feind falsch benannt ist, aber sie wagen es nicht zu sagen.

Leicht ironisch könnte man meinen: Bedenkt man die Geschwindigkeit, mit der die Machtpolitikerin Angela Merkel nach Fukushima ihre früheren Positionen zur Kernkraft verraten hat, um im Mainstream zu schwimmen, muss man jetzt womöglich mit der Verstaatlichung aller Banken rechnen; im Zweifel fände das sogar den Beifall der Mehrheiten im Land. Allerdings: In Deutschland gibt es bereits etliche Banken unter politischer Kontrolle. Man nennt sie Landesbanken, und sie stehen in der Krise besonders schlecht da.

Wer Banker und/oder Spekulanten jetzt als Kern des Übels beschreibt, liegt falsch. Beide Berufsgruppen, beide Branchen braucht das Land, und es braucht sie in guter Verfassung. Ohne Banken lässt sich nicht wirtschaften, das ist seit Jahrhunderten bekannt. Bankgeschäfte betreiben, das kann aber nicht mehr nur heißen, bescheiden und überschaubar Kredite an Bürger und Unternehmen zu geben.

Am Anfang war eine US-Regierung

Heutzutage müssen Banken mehr als 190 Staaten finanzieren, gigantische Projekte ermöglichen, unvorstellbar viel Geld für die Gestaltung der Zukunft bereitstellen. Ohne Spekulation hätte es das Silicon Valley nicht gegeben, auch nicht andere Modernisierungsschübe der jüngeren Geschichte. Man muss sich nicht mit der Armut abfinden, darf aber doch sagen: Der Kapitalismus hat Wohlstand geschaffen, weltweit, und in Deutschland ganz besonders.

Aber es gibt Fehlentwicklungen, schwarze Schafe, falsche Anreizstrukturen - und neu ist, dass die Aussetzer einiger das ganze System gefährden. Darüber ist zu reden, hier müssen dringend Spielregeln geändert werden. Das aber wären Teilkorrekturen, kein Systemwechsel. Es ist eigenartig genug, dass sich der Zorn der Straße erst jetzt gegen die Banker entlädt und nicht vor drei Jahren - als sie es nämlich verdient hätten. Damals war die Krise geprägt von waghalsigen Konstruktionen, von ungeheurer Geldschöpfung, unverantwortlich riskanten Geschäften, kurz vom "Kasino-Kapitalismus".

Selbst damals war das nicht die ganze Wahrheit. Am Anfang der Kette war eine US-Regierung, die Menschen Hauseigentum zubilligen wollte, die sich das gar nicht leisten konnten. Da gab es Ökonomen, die Laissez-faire an den Finanzmärkten forderten und teilweise bekamen. Und hinter der Profitgier der Banken standen Millionen Anleger, auch aus Deutschland, die sich mit bescheidenen Vermögenszuwächsen nicht mehr begnügen wollten.

Heute ist die Schuld der Banken noch schwerer zu benennen. Die aktuelle Krise ist der Finanzkrise entwachsen, in der die Staaten Banken mit viel Geld retten mussten, das ist wohl wahr. Dahinter aber stehen gewaltige und davon unabhängige Schuldenstände von sehr vielen Staaten.

Die Banken haben diese Kredite gegeben, ja. Aber warum? Weil die Staaten die Rückzahlung garantierten, was immer geklappt hatte. Weil das Gesetz vorschreibt, dass eine Bank im Kreditfall Eigenkapital in Reserve halten muss, nicht aber, wenn sie diesen Kredit an Staaten gibt. Weil Versicherungen nur begrenzt vermeintlich unsichere Aktien kaufen dürfen, sie zum Kauf von Staatsanleihen vom Staat aber regelrecht gedrängt werden. Wie ist das denn, wenn der Bürger sich ein Häuschen kauft, das er sich eigentlich nicht leisten kann? Wenn das Institut Geld gibt und der Schuldner irgendwann pleite ist: Ist dann die Bank schuld - oder nicht doch vor allem der Schuldner?

Kritik an Banken ist zulässig, aber die aktuelle Krise ist zu einem großen Teil politisch gemacht - von Regierenden, die sich damit das Wohlwollen ihrer Wähler erkauften. Ein bisschen Selbstkritik täte vor allem den Politikern gut.

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