Politik in der Finanzkrise:Das Publikum wendet sich ab

Der Rettungsschirm für die Banken beläuft sich auf 480 Milliarden Euro. Eine Kontrolle der Politiker wäre jetzt nötig, fehlt aber völlig.

A. Hagelüken

In dieser Krisenzeit ist nichts mehr sicher, nur auf eines konnten sich die deutschen Steuerzahler in letzter Zeit verlassen: Es gibt so gut wie jede Woche eine neue Bank, die ihr Geld will. Ob Commerzbank, LBBW, BayernLB oder Hypo Real Estate (HRE) - sobald ein Institut Turbulenzen verspürt, darf der Steuerzahler bereitstehen; bei der Bayerischen Landesbank oder dem strauchelnden Immobilienfinanzierer HRE gerne auch zum wiederholten Male.

Politik in der Finanzkrise: Die Lasten der Krise werden auf die große Zahl der Steuerzahler abgeladen

Die Lasten der Krise werden auf die große Zahl der Steuerzahler abgeladen

(Foto: Foto: dpa)

Stakkato der Finanzspritzen

Der Gesamtrahmen des Rettungsschirms des Bundes beträgt unvorstellbare 480 Milliarden Euro. Doch damit es nicht zu übersichtlich wird, gibt es weitere Töpfe, weil etwa die Landesregierungen zusätzliches Geld in ihre Landesbanken pumpen. Und es wird noch komplizierter: Einige Milliarden fließen als Kapitalspritzen direkt an die Institute, andere sind Garantien, die den Steuerzahler am Ende kaum Geld kosten sollen. Doch ob es so günstig ausgeht, weiß niemand.

Insgesamt sind die Summen so unglaublich, die Vorgänge so technisch und die Ergebnisse so ungewiss, dass ein großer demokratischer Betriebsunfall bevorsteht: Der ganze Prozess entgleitet der Kontrolle durch eine breite Öffentlichkeit. Das Stakkato der Finanzspritzen überfordert die Bürger, die die Summen nicht mit ihren Alltagserfahrungen ins Verhältnis setzen können. Der Milliardenreigen lullt die Menschen ein, er betäubt sie, so dass sie jedes Gefühl dafür verlieren, was gerade vorgeht.

Nur zum Beispiel: Die zehn Milliarden Euro, die gerade in die BayernLB fließen, entsprechen den jährlichen Kosten für zwei Millionen Kindergartenplätze. Und das sind zwei Drittel aller Plätze in der Bundesrepublik von Kiel bis Garmisch. Die Summen, die die Geldhäuser verschlucken, fehlen natürlich woanders, ob bei Kinderbetreuung oder Konjunkturprogrammen - und sie belasten künftige Generationen durch erhöhte Staatsschulden. Weil die Bankenstützungen unter einem Grauschleier mangelnder Öffentlichkeit stattfinden, findet keine ernsthafte Diskussion darüber statt, was mit diesem Geld im Einzelnen geschieht.

Dumpfe Wut hilft nicht

Was es natürlich gibt, ist eine dumpfe Wut auf Banker und Politiker. Üblich sind Verallgemeinerungen, als ob in der Marktwirtschaft immer Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert würden. Das Argument ist in dieser Vergröberung falsch und führt auch nicht weiter, weil es sich meist grundsätzlich gegen die Rettung von Geldhäusern wendet. Es ist aber keine Alternative, einfach eine Bank nach der anderen pleitegehen zu lassen.

Wer das dachte, muss seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers Mitte September umdenken. Eine Stützung von Lehman hätte verhindert, dass die Finanzkrise so stark eskaliert wie in den vergangenen Wochen. Wenn man wichtige Geldhäuser also retten muss, bleibt die Frage, auf welche Weise. Und hier verhindert der Grauschleier über den Rettungspaketen, dass die Öffentlichkeit wirklich eingreift. Dabei zeichnet sich schon ab, was für Fehler die Politiker in diesen Tagen machen. Die bayerische Landesregierung finanziert die BayernLB, bremst aber sinnvolle Fusionen mit anderen Landesbanken; andere Bundesländer agieren ähnlich halsstarrig.

Ein anderes Problem ist, dass die Bundesregierung zwar hohe Summen in die Geldhäuser pumpt, aber wie im Fall der Commerzbank nicht Miteigentümer wird. Damit verschenkt der Staat Zugriffsrechte, die er noch brauchen könnte - etwa, um die Banken zur Vergabe von Krediten anzuhalten. Finanzbranche, Industrie und Politiker streiten noch darüber, ob die Banken tatsächlich zu zögerlich Darlehen vergeben. Klar ist: Eine Kreditklemme hat drastische wirtschaftliche Auswirkungen und wird die Rezession verschlimmern. Wenn der Staat die Banken stützt, muss er ausreichend Kontrolle darüber bekommen, ob die Branche ihrer wichtigsten Aufgabe nachkommt: die Wirtschaft flüssig zu halten.

Die große Umverteilung

Generell findet in der Krise eine große Umverteilung statt. Vom ungesunden Boom haben Finanzmanager und Investoren überdurchschnittlich profitiert. Die Lasten der Krise aber werden auf die große Zahl der Steuerzahler abgeladen, die Rettungspakete bezahlt und Rezessionen durchleidet. Diese Ungerechtigkeit zu mildern und die Lasten langfristig besser zu verteilen, wäre eine wichtige Aufgabe. Die Politiker werden sie jedoch nur angehen, wenn sie unter dem Druck der Öffentlichkeit stehen.

Das Publikum aber hat sich vom komplizierten Milliardenpoker schon entmutigt abgewandt. Das ist ein demokratisches Defizit. Es wird noch dadurch verstärkt, dass die Bundesrepublik sehenden Auges in die nächste Eskalation der Krise taumelt. Nach den Voraussagen der meisten Wissenschaftler droht im kommenden Jahr die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die Bundesregierung zögert, auf diese außergewöhnliche Situation mit außergewöhnlichen Maßnahmen zu reagieren. Dabei ist klar: Deutschland braucht hohe Investitionen in die Infrastruktur und eine Ankurbelung des Konsums, um die schlimmsten Ausmaße des Wirtschaftseinbruchs zu vermeiden.

Die europäischen Nachbarn sind mutiger, wie auf dem EU-Gipfel in Brüssel zu sehen war. Die deutsche Öffentlichkeit sollte es nicht erlauben, dass die deutschen Parteien aus Ignoranz oder Wahltaktik die nötigen Antworten auf die Wirtschaftskrise verweigern. Derzeit allerdings sieht es so aus, als ob die Bürger alles mit sich machen lassen - Rettungspakete ohne politische Kontrolle ebenso wie den freien Fall ins Konjunkturloch.

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