Pläne des Binnenmarktkommissars:EU will Rechtsanspruch auf Girokonto durchsetzen

Alles in bar: Etwa 500.000 Deutsche besitzen kein eigenes Konto. Das soll sich jetzt ändern. Die EU-Kommission will Banken gesetzlich dazu verpflichten, jedermann ein Girokonto einzurichten.

Alina Fichter

Attila von Unruh weiß, wie es ist, kein Bankkonto zu besitzen. Er hatte seines verloren, wegen der Schulden, und die Bank wollte ihm kein neues gewähren, so erzählt er es. Die Folge: Er konnte keinen Miet- oder Handyvertrag mehr abschließen. Auch einen Job zu finden war schwierig - denn kaum ein Chef hat Verständnis für einen Bewerber, der sein Gehalt künftig bar oder per Scheck ausbezahlt bekommen möchte. "Es war mein bürgerlicher Tod", erinnert sich Unruh, Gründer der Anonymen Insolvenzler, einer Selbsthilfegruppe für Überschuldete.

Etwa sieben Millionen Menschen EU-weit geht es wie ihm, schätzt Binnenmarktkommissar Michel Barnier, allein in Deutschland sollen es an die 500.000 sein: Ihnen wird ein Konto verwehrt. Barnier will Banken daher gesetzlich verpflichten, ein Girokonto für jedermann einzurichten. "Die Selbstverpflichtungen der Branche funktionieren nicht", erklärte er kürzlich, deshalb müsse die EU-Kommission nun tätig werden.

Die Bundesregierung begrüßt in einer Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums (BMF) eine solche europäische Initiative. "Wir rechnen damit, dass die Kommission noch 2012 einen Gesetzesvorschlag vorlegen wird", sagte ein Sprecher. Fast scheint es so, als fühle sich die Regierung durch Barniers Vorstoß unter Druck gesetzt, jedenfalls diskutierte der Finanzausschuss des Bundestages am Mittwoch über dessen Folgen.

Selbstverpflichtung der Banken

Damit kommt neue Bewegung in eine alte Debatte. In Deutschland sind Banken nicht gesetzlich dazu verpflichtet, jedem ein Konto zu gewähren. Sie haben sich 1995 lediglich zu einer Art Selbstverpflichtung durchgerungen: "Diese Empfehlung stellt sicher, dass einem Verbraucher im Bedarfsfall ein Konto zur Verfügung gestellt wird" sagt eine Sprecherin der Deutschen Kreditwirtschaft, bei der alle wichtigen Bankenverbände Mitglied sind. Ein flächendeckendes Angebot von Girokonten sei daher sichergestellt, eine gesetzliche Regelung halte man nicht für notwendig, so die Sprecherin.

Verbraucherschützer dagegen plädieren bereits seit Jahren für ein solches Gesetz. Der Grund: "Ob die Selbstverpflichtung der Institute funktioniert, hängt stark von der Bank vor Ort und den Mitarbeitern dort ab", sagt Michael Weinhold, Mitglied im Arbeitskreis Girokonto der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände.

Zu ihm kommen immer wieder Menschen, denen es geht wie Unruh - sie werden von den Banken weggeschickt, ein Konto bleibt ihnen vorenthalten. Auch die Ombudsleute, an die sich Kunden bei Problemen kostenlos wenden könnten, wie die Institute gerne betonen, helfen nicht wirklich weiter, sagt Weinhold - deren Empfehlungen seien schließlich nicht verpflichtend.

Zwar wurde 2010 das sogenannte P-Konto eingeführt, bei dem nur der Betrag gepfändet werden darf, der über 1029 Euro hinaus geht. Seitdem kann jeder Kunde von seiner Bank verlangen, sein Konto kostenlos umzuwandeln. Menschen wie Attila von Unruh, der sein Konto bereits verloren hatte, hilft das aber nicht weiter. "Wir brauchen endlich eine gesetzliche Verpflichtung der Kreditinstitute, kontolosen Kunden ein Girokonto einzurichten", sagt SPD-Finanzexperte Carsten Sieling daher dem Handelsblatt. Darauf wird wohl auch EU-Kommissar Michel Barnier dringen. In anderen europäischen Ländern, auch in seiner Heimat Frankreich, ist es ohnehin längst so.

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