Pharmaindustrie:Pillen für 32 Milliarden Euro

Gesundheitsminister Rösler nimmt die mächtige Pharmaindustrie in die Zange - und die wehrt sich mit massiver Kritik. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

G. Bohsem

"So breche ich das Preismonopol der Pharmaindustrie" - das sind markige Worte für einen Gesundheitsminister. Sie klingen besonders laut, wenn einer von der FDP kommt und damit als wirtschaftsnah gilt. Obwohl die Pharmaindustrie in den vergangenen Wochen bereits Zugeständnisse gemacht hat, die in die gleiche Richtung gehen, schallt Philipp Rösler nun harsche Kritik entgegen. Die Industrie wirft ihm vor, sich von den Kassen treiben zu lassen, anderen geht das Konzept nicht weit genug. Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die zentralen Fragen der Debatte.

Warum will Rösler eigentlich gegen die Industrie vorgehen?

Der Hintergrund ist die Finanznot der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Rösler will die Situation der Kassen lindern, um Beitragserhöhungen zu verhindern. Im laufenden Jahr wird sich das Defizit nach Berechnungen von Sachverständigen auf rund vier Milliarden Euro belaufen - obwohl der Bund den Kassen rund 16 Milliarden Euro aus Steuergeldern zuschießen will. Schon jetzt erheben die ersten Kassen Zusatzbeiträge.

Warum geht er ausgerechnet die Pharmaindustrie an?

Warum geht er ausgerechnet die Pharmaindustrie an?

Rösler bleibt kaum eine andere Möglichkeit. Er könnte zwar auch auf Kosten von Kliniken und niedergelassenen Ärzte sparen. Doch hier hat seine Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) für kräftige Ausgabensteigerungen gesorgt. Da fällt es Rösler schwer, ausgerechnet in diesen Bereichen den Rotstift anzusetzen. Schließlich gilt die FDP als Lieblingspartei der Ärzte. Zudem sprechen sachliche Gründe für Einsparungen bei der Industrie.

Die GKV verzeichnet seit Jahren steigende Ausgaben für Arzneien. Immer neue Spargesetze konnten den Trend meist nur kurzfristig brechen. Nach jüngsten Zahlen des Gesundheitsministeriums gaben die Kassen und Versicherten 2009 rund 32,4 Milliarden Euro für Medikamente aus, 1,5 Milliarden Euro mehr als 2008. Das ist ein Plus von 5,3 Prozent. In den vergangenen Jahren stieg dieser Posten stärker als die Gesamtausgaben der Kassen. Er nimmt deshalb immer mehr Gewicht in der Gesamtrechnung ein. Zuletzt lag der Anteil der Arzneimittel bei 18Prozent von 170,8 Milliarden Euro Gesamtausgaben.

Gab es bislang keine Versuche, die Kosten in Schach zu halten?

Gab es bislang keine Versuche, die Kosten in Schach zu halten?

Seit 21 Jahren versuchte sich fast jede Bundesregierung an diesem Thema. Es gibt inzwischen rund zwei Dutzend Instrumente zur Kostensteuerung. Auch wurden grundlegende Regelungen versucht, sie scheiterten aber immer am Einspruch der Industrie. Diese droht damit, bei einer strengeren Regulierung, einen Teil der rund 100.000 Arbeitsplätze abzubauen.

Wie funktioniert der Preisbildung in Deutschland?

Wie funktioniert der Preisbildung in Deutschland?

Die Industrie kann den Preis für neue Arzneien selbst bestimmen. Sobald das Medikament zugelassen ist, müssen die Kassen jeden Preis bezahlen, wenn der Arzt dafür ein Rezept ausstellt. Um die Zahl der Verordnungen zu steigern, beschäftigt die Industrie Tausende Pharmareferenten, die die Ärzte besuchen. Offene Bestechung ist selten, doch erhalten Ärzte Einladungen zu Fortbildungen. Auch stellt die Industrie mitunter Software zur Verfügung, die dem Arzt bei der Verschreibung von Arzneien hilft. Üblich sind auch Verträge über Forschungsleistungen des Mediziners. Das heißt, er beschreibt zum Beispiel die Verträglichkeit des Medikamentes und wird für diese Tätigkeit vom Hersteller entlohnt.

Was hat Rösler nun vor?

Was hat Rösler nun vor?

Der Minister arbeitet an einem mittelfristigen und einem kurzfristigen Ansatz. Schnell will er den Zwangsrabatt erhöhen - derzeit muss die Industrie sechs Prozent des Preises jeder verschreibungspflichtigen Medikamentenpackung an die Kassen zahlen. CDU und FDP diskutieren nun, diesen Abschlag auf 16 Prozent anzuheben. Von 2011 an sollen die Kassen zudem mit der Industrie über den Preis der Arzneimittel verhandeln dürfen. Wird man sich nach einem Jahr nicht einig, soll eine unabhängige staatliche Stelle Kosten und Nutzen bewerten und einen Höchstpreis festlegen.

Wie halten es andere Länder?

Wie halten es andere Länder?

Völlig ohne Preisregulierung kommen in Europa sonst nur noch Dänemark und Malta aus. 19 Länder schreiben die Preise für Medikamente gesetzlich vor - sie gehen zum Beispiel vom deutschen Preis aus und legen einen Abschlag fest, der bei bis zu 30 Prozent liegen kann. Auch weil Deutschland als Referenzmarkt gilt, ist es der Industrie so wichtig, an der bestehenden Regel festzuhalten. In vier Ländern wird der Preis verhandelt.

Gibt es denn eine staatliche Stelle, die eine Kosten-Nutzen-Bewertung vornehmen kann?

Gibt es denn eine staatliche Stelle, die eine Kosten-Nutzen-Bewertung vornehmen kann?

Das ist schon jetzt Aufgabe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Es wurde mit der Gesundheitsreform 2004 ins Leben gerufen. Derzeit befindet sich die Kosten-Nutzen-Bewertung im Aufbau, weil über Jahre keine Vereinbarung getroffen werden konnte, nach welcher Systematik neue Arzneien bewertet werden sollen. Zudem leidet das Institut an einer Führungskrise, weil der Vertrag des charismatischen Institutsleiters Peter Sawicki wegen laxen Umgangs mit Spesenabrechnungen nicht verlängert wird. Die Verfehlungen passten Union und FDP gut. Schon vor der Wahl hatten sie Sawickis Ablösung gefordert, weil er ihnen zu unbequem war. Ein Nachfolger steht noch nicht fest.

Hat Rösler Aussicht auf Erfolg?

Hat Rösler Aussicht auf Erfolg?

Angeblich hat er die Unterstützung von Kanzlerin Merkel (CDU). Gesundheitsexperten der Union sehen sein Konzept aber kritisch. Widerstand wird es wohl auch aus den Ländern geben.

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