Pfändung:Wenn der Gerichtsvollzieher kommt

GERICHTSVOLLZIEHER ÜBERLASTET

Ein Pfandsiegel, auch "Kuckuck" genannt, dokumentiert in Deutschland, dass ein Gegenstand durch das Gericht beschlagnahmt wurde.

(Foto: DPA/DPAWEB)

Taschenpfändungen sind bei Zwangsvollstreckungen üblich. Gerade musste das Ex-Arcandor-Chef Middelhoff erleben, als ihm eine 20 000-Euro-Uhr abgenommen wurde. Ein Gerichtsvollzieher erzählt.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Der Gerichtsvollzieher am Landgericht Essen hatte Glück. Der Schuldner, gegen den mehrere Zwangsvollstreckungen laufen, trug eine Armbanduhr der Marke Piaget, Neuwert 20 000 Euro, ein Geschenk seiner Frau. Sie wurde ihm sofort abgenommen, im Wege einer Taschenpfändung. So trug es sich Ende August zu. Der Schuldner war der ehemalige Arcandor-Chef Thomas Middelhoff.

"Es ist eher die Ausnahme, dass man als Gerichtsvollzieher so viel Erfolg hat", erzählt ein Mann, der es wissen muss. Detlef Hüermann, 56, ist seit 1989 Gerichtsvollzieher in Münster und zugleich Bundesgeschäftsführer des Deutschen Gerichtsvollzieher-Bundes, der die meisten der 4500 offiziellen Geldeintreiber in Deutschland vertritt. Die Regel ist eher, dass bei Schuldnern wenig zu holen ist. Eine Uhr für 20 000 Euro ist da schon ein Glücksfall.

Obwohl Uhren auch wieder ein Kapitel für sich sind. "Die Plagiate sind inzwischen so gut, dass man gar nicht mehr beurteilen kann, ob die Uhr echt ist", sagt Hüermann. Jeder habe da seinen eigenen Juwelier. "Der kann es meist beurteilen, wenn er die Uhr in der Hand hält." Optisch seien sie oft täuschend echt, "aber es scheitert in der Regel am Gewicht". Ist die Echtheit erwiesen, lässt der Gerichtsvollzieher eine Expertise erstellen, wie viel die Uhr noch wert ist.

Dem Schuldner muss genug zum Leben bleiben

Nach der Pfändung hat der Schuldner vier Wochen Zeit, den Gegenstand auszulösen. Danach leitet der Gerichtsvollzieher die Zwangsversteigerung ein. In den meisten Fällen passiert das heute über das Internet. "Man hat dabei einen viel größeren Kreis von Interessenten als bei einer Auktion vor Ort", sagt Hüermann. Der ausgerufene Preis muss mindestens 50 Prozent des taxierten Werts betragen, kann aber auch höher festgelegt werden.

Taschenpfändungen sind nicht selten. "Sie gehören zu jeder Zwangsvollstreckung dazu", sagt Hüermann. Habe der Gerichtsvollzieher Anhaltspunkte, dass der Schuldner Pfändbares in der Tasche habe, lasse er sich dies zeigen. Meistens ist es die Geldbörse. Allerdings muss er darauf achten, dem Schuldner genug für den Lebensunterhalt zu lassen. Es gibt gesetzliche Pfändungsgrenzen. So müssen einem Alleinstehenden vom Monatslohn 1050 Euro bleiben, mit Ehefrau ohne eigenes Einkommen sind es 1440 Euro, für jedes Kind weitere 220 Euro. "Hat aber jemand am Monatsende 500 Euro in der Geldbörse und er bekommt am nächsten Tag den Lohn überwiesen, sind die natürlich weg", sagt er.

"Ein gewisses Überraschungsmoment ist schon nötig"

Ein Gerichtsvollzieher wird immer erst dann aktiv, wenn es einen vollstreckbaren Titel gibt, zum Beispiel ein Gerichtsurteil zugunsten eines Gläubigers. "Man kommt unangemeldet, ein gewisses Überraschungsmoment ist schon nötig", sagt Hüermann. Vor Ort erklärt er zunächst, warum er da ist, wie viel er für wen eintreibt. Zahlt der Schuldner gleich, ist der Fall erledigt. Doch das ist eher die Ausnahme. Der nächste Schritt ist die "gütliche Erledigung". Der Gerichtsvollzieher schlägt eine Ratenzahlung vor, zum Beispiel zwölf Monatsraten über ein Jahr. Das kostet 15 Euro Grundgebühr und 4,80 Euro pro Rate.

Viele Fälle werden inzwischen auf diesem Weg gelöst. Erst wenn dies nicht möglich ist, etwa weil der Schuldner kein festes Einkommen hat, durchsucht der Gerichtsvollzieher die Wohnung nach Pfändbarem. Wird er fündig, klebt er das amtliche Siegel darauf, das im Volksmund "Kuckuck" heißt. Der Schuldner hat vier Wochen Zeit, seine Schuld zu begleichen, sonst wird das Pfandobjekt abgeholt und versteigert.

"Allerdings spielt die Pfändung von Sachen bei Gerichtsvollziehern keine große Rolle mehr", sagt Hüermann. Ein Kongress seines Verbands war im Frühjahr überschrieben mit dem Titel: "Hat der Kuckuck ausgedient?" Es gibt mehrere Gründe dafür, warum er zu den aussterbenden Tierarten gehört. Zum einen ist der gesetzliche Schuldnerschutz zuletzt immer umfassender geworden. "Als ich 1987 anfing, reichte es, wenn man dem Schuldner die Zeitung ließ, um sein Informationsbedürfnis zu befriedigen", sagt Hüermann. Heute müsse man ihm auch den Fernseher lassen. Überhaupt seien technische Geräte nicht mehr so viel wert. "Ein Videorekorder kostete vor 20 Jahren noch 2000 Mark, heute bekommt man ihn nachgeworfen."

Junge Leute haben die Kosten oft nicht im Griff

Die Daten auf Computer und Laptop müssen zudem vom Fachmann unwiederbringlich gelöscht werden; das kostet. Den Staubsauger muss der Spediteur zur Auktion bringen. Hinzu kommen Gebühren von rund 50 Euro für die Zwangsverpfändung. Jeder Gerichtsvollzieher wägt Kosten und erwartbare Einnahmen ab. Oft fällt die Kalkulation negativ aus. Dann bleibt der Kuckuck in der Tasche.

Möbel sind ohnehin tabu. Tisch, Stuhl, Couch, Bett, Herd und Kühlschrank müssen dem Schuldner gelassen werden. Nur selten kommt es vor, dass sich in der Wohnungen wertvolle Antiquitäten befinden. "Dann wird eine Austauschpfändung geprüft", sagt Hüermann, "und man bekommt etwas Einfacheres hingestellt."

Vor Jahren hat er das auch einmal mit einem Auto gemacht: Einem Schuldner wurde ein Mercedes im Wert von 20 000 Mark abgenommen, er musste fortan einen Opel für 5000 Mark fahren. Theoretisch ist eine Austauschpfändung auch bei Armbanduhren möglich, "aber ich habe es noch nicht erlebt", sagt der Gerichtsvollzieher.

Die Gläubiger waren früher oft Versandhändler, aber das hat nachgelassen. "Heute kommen wir häufig im Auftrag von Mobilfunkanbietern", sagt Hüermann. Gerade junge Leute hätten die Kosten nicht im Griff, viele Flatrates hätten einen Haken, dann kämen über Monate schon einmal Schulden von 1000 Euro zusammen.

Hüermann arbeitet seit 1989 im selben Bezirk. "Ich kenne meine Schuldner, teilweise habe ich sie schon in der dritten Generation", sagt er. "Ich weiß, in welchen Kneipen sie verkehren. Ich finde sie immer. Das Schulder-Dasein vererbt sich." Aber es sei nicht so, dass nur Hartz-IV-Bezieher seine Klientel seien. "Es geht durch alle sozialen Schichten", sagt er.

Manchmal sind es auch Menschen mit 20 000-Euro-Uhr am Handgelenk.

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