Perspektiven der EU:Manifest für Europa

Der Euro-Pessimismus unter den Deutschen nimmt zu - dabei liegt Deutschlands Zukunft gerade in der Europäischen Union. Und: Der Euro ist kein Teuro. Ein Plädoyer in zehn Thesen.

Thomas Kleine-Brockhoff und Thomas Straubhaar

Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg erhält ein Euro-Pessimismus politischen Zulauf bis weit hinein in die bürgerliche Mitte. Das ist zunächst verständlich. Die Deutschen fühlen sich hintergangen.

Europäische Union, Foto: ddp

Gemeinsam stark: Eine gesunde EU bietet - mit zum Beispiel offenen Märkten - auch Deutschland Sicherheiten.

(Foto: Foto: ddp)

Sie haben die Rolle als Zahlmeister Europas satt. Dieser euro-skeptischen Stimmung tritt die Bundeskanzlerin entgegen. Sie wirbt zu Recht für Europa. Zehn Thesen sollen das belegen:

1. Was die Europäische Union (EU) stärkt, stärkt auch Deutschland. Eine vitale EU ist der beste Garant deutscher Interessen. Sie wird der geografischen Mittellage eines wirtschaftlich mächtigen Deutschlands gerecht.

Die EU hat die politischen Wunden nach dem Zweiten Weltkrieg geheilt, den Nationalismus überwunden, Deutschland mit seinen Nachbarn im Westen und im Osten versöhnt und zu einer historisch vergleichslos langen Zeit des Friedens und der Sicherheit in Europa geführt.

2. Deutsche Interessen werden am besten gewahrt durch offene Märkte, stabile politische Rahmenbedingungen und ökonomische Prosperität in Europa. Nur auf dieser Grundlage können deutsche Unternehmen ihre hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit bestmöglich zur Geltung bringen. Nur so können deutsche (Investitions-) Güter und Dienstleistungen weltweit nachgefragt werden.

3. Die ökonomischen Erfolge der EU dürfen sich sehen lassen: sie haben unstrittig genau jene Öffnung europäischer Märkte vorangetrieben, die für die deutsche Wirtschaft zur Erfolgsgrundlage wurde.

Europa und Deutschland erlebten in den vergangenen fünfzig Jahren eine wirtschaftlich unglaublich erfolgreiche Epoche. Sie brachte eine enorme Verbesserung der Lebensbedingungen in allen sozialen Schichten.

4. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist besser als ihr Ruf. Sie hat Deutschland ermöglicht, die immensen Kosten der Wiedervereinigung zu bewältigen. Dies geschah in Verbindung mit einer Sozialpartnerschaft, die Lohnzurückhaltung ermöglichte sowie mit einem innovativen Unternehmertum, das neue Produkte erfand und neue Marktnischen entdeckte.

5. Wenn Preise und Löhne und als Folge davon die reale Kaufkraft und die Lebensbedingungen sich innerhalb des EU-Raumes angleichen und im Osten Europas eine Mittelschicht aus Konsumenten heranwächst, wird Deutschland der größte Nutznießer der europäischen Einigung sein. Deutsche Firmen können ihre Leistungsfähigkeit in einem Binnenmarkt von 500 Millionen Menschen ausspielen.

6. Der Euro ist kein Teuro. Im Gegenteil: die Gemeinschaftswährung hat zu einer langen Phase der Preisniveaustabilität im Euroraum geführt. Zudem schlägt der Euro den Mitgliedsländern die Möglichkeit aus der Hand, durch eine nominale Abwertung auf die realen Wettbewerbsvorteile deutscher Firmen zu reagieren.

Er wirkt somit als Beschleuniger des Strukturwandels, was in starken Ländern weniger und in schwachen Ländern mehr Anpassungsprobleme verursacht. Deutschland hat von den unterschiedlichen Reaktionsmöglichkeiten profitiert und kann sich über einen Exportboom freuen. Das hat geholfen, die Beschäftigungssituation in Deutschland massiv zu verbessern.

Neue Akteure in der Weltpolitik

7. Neue Spieler sind aufs Parkett der Weltpolitik getreten: China, Indien, Russland und Brasilien an der Spitze, dahinter die anderen aufstrebenden Staaten Asiens und Lateinamerikas, die Türkei im Schlepptau. Als Folge ist Europas Gewicht in der Weltpolitik leichter geworden.

Thomas Kleine-Brockhoff, German Marshall Funds, Thomas Straubhaar, Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut, Foto: OH

Thomas Straubhaar (links) ist Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Thomas Kleine-Brockhoff (rechts) ist Mitglied der Geschäftsleitung des German Marshall Funds in Washington.

(Foto: Foto: OH)

Seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit und seiner demografischen Größe wegen ist das wiedervereinte Deutschland hingegen innerhalb Europas zur wirtschaftlich dominierenden Macht geworden. Daraus erwächst eine politische Verantwortung. Der größte Nutznießer eines friedlichen, stabilen und prosperierenden Europas muss Garant des europäischen Integrationsprozesses sein - auch und gerade in schwierigen Zeiten.

8. Die Politik eines eng verstandenen nationalen Interesses wird der neuen Rolle Deutschlands nicht gerecht. Das große Ganze Europas im Auge zu haben, dient langfristig deutschen Interessen am Nachhaltigsten.

Daraus erwächst die Aufgabe, "öffentliche Güter" für ganz Europa bereitzustellen. Dazu gehören Stabilität und Solidarität und das Bewusstsein, Krisen nicht durch Konflikte, sondern einvernehmlich zu lösen.

9. Deutschland muss bei der Weiterentwicklung der EU auch künftig eine führende Rolle spielen wollen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es in Europa lange darum, Deutschland nicht wieder mächtig werden zu lassen oder deutsche Macht in einem solidarischen Europa einzubetten, sie dadurch erträglich zu machen und europäisch zu kontrollieren.

Doch im Zeichen der Rezession sehnt sich Europa unversehens nach deutscher Führung. Dies hat es seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben. Heutzutage ist deutsche Macht nicht mehr Bedrohung für die europäischen Nachbarn, sondern Hilfe bei der Bewältigung des Strukturwandels und bei der Entwicklung zu prosperierenden Volkswirtschaften. In diesem Wandel des Deutschland-Bildes zum gutmütigen Hegemon liegt eine politische Chance zur Gestaltung.

10. Sicherheitspolitische, ökologische und demografische Herausforderungen, Klimawandel, Umweltprobleme und Migrationsbewegungen zeigen eines: für globale Probleme genügen nationale Lösungen nicht. Wenn Europa den Anspruch erhebt, bei der Ausgestaltung globaler Lösungen mitwirken zu wollen, gründet dieser Anspruch auf dem Fortschritt der wirtschaftlichen Integration Europas.

Wer nun die ökonomische Desintegration Europas zulässt, zerstört Europas Status in der Welt. Deutscher Gestaltungswille muss und kann dafür sorgen, dass Europa seine Mitsprache bei der globalen Suche nach globalen Problemlösungen nicht verliert.

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