Online-Shopping:Verloren im Netz

Online-Shopping: Kopfhörer, Schuhe oder Toaster kann man im Internet kaufen. Nur zahlt nicht jeder den gleichen Preis. Illustration: Stefan Dimitrov

Kopfhörer, Schuhe oder Toaster kann man im Internet kaufen. Nur zahlt nicht jeder den gleichen Preis. Illustration: Stefan Dimitrov

  • Das Internet könnte eigentlich völlige Transparenz ermöglichen - Preisvergleiche über eine Vielzahl von Datenbanken hinweg sind im Netz nur eine Sache von Sekunden.
  • Allerdings passiert exakt das Gegenteil: Die Transparenz wird unterlaufen.

Von Helmut Martin-Jung

Das Angebot klingt gut, und es sind auch nur noch wenige Plätze zu haben im Zug von Paris nach Nantes. Ein kurzer Blick weg vom Bildschirm zur Seite. Die Partnerin nickt. Also buchen, oder? Nur noch kurz checken, ob das passt mit den Terminen. Passt. Dieselben Daten noch einmal eingegeben - und weg ist es, das Angebot. Dieselbe Webseite, derselbe Zug, derselbe Tag, dieselbe Zeit, und trotzdem sind pro Person 20 Euro mehr fällig. So ein Pech. Da scheint einem jemand zuvorgekommen zu sein.

Oder steckt was anderes dahinter?

Die Antwort lautet: Höchstwahrscheinlich, und das ist deshalb so, weil es sich bei dem Fall mit dem plötzlich verteuerten Zugticket, der sich tatsächlich genau so ereignet hat, nicht um einen Einzelfall handelt. Es ist vielmehr die Regel, dass die Anbieter im Internet eine ganze Menge über ihre Kunden wissen. Und dieses Wissen setzen sie ein, und zwar möglichst gewinnbringend.

Wer wie im Beispiel mit dem Zugticket nach kurzer Zeit erneut nach derselben Verbindung sucht, dem wird unterstellt, dass er ein großes Interesse hat, eine Fahrkarte zu kaufen. "Da wird die Internet-Adresse registriert und wiedererkannt", erklärt Ingmar Streese den technischen Hintergrund. Er leitet beim Bundesverband der Verbraucherzentralen die Abteilung Verbraucherpolitik und kennt noch viele andere Tricks.

Wer etwa mit einem iPad oder einem Computer von Apple Internet-Angebote durchstöbert, dem werden oftmals höhere Preise angezeigt - weil diese Geräte teurer sind als andere Computer und man deshalb annimmt, dass ihre Besitzer Geiz nicht ganz so geil finden. Wer häufig teure Produkte eingekauft hat, bekomme ebenfalls oft höhere Preise angezeigt. "Und auch die Tageszeit spielt eine Rolle", weiß Streese.

Man könnte es auch so sagen: Ausgerechnet im Internet, jenem Medium, das eigentlich völlige Transparenz ermöglichen könnte - Preisvergleiche über eine Vielzahl von Datenbanken hinweg sind im Netz schließlich nur eine Sache von Sekunden -, passiert das exakte Gegenteil: "Die Transparenz wird unterlaufen", sagt der Verbraucherschützer. "Das Netz ist wie Manchester-Kapitalismus." Viele Anbieter nutzen die technischen Möglichkeiten des Internets gnadenlos aus, um das Beste für sich herauszuholen, und die Erfahrung zeigt: Die Verbraucherschützer hecheln meist nur hinterher, wie Streese freimütig einräumt.

Dass Anbieter die erhobenen Daten ihrer Kunden und Webseitenbesucher nutzen, muss zwar nicht immer negativ sein. Wer seinen Kunden kennt, kann ihm auch tatsächlich bessere, weil passendere Angebote machen. Doch bei vielen Internet-Dienstleistern geht es um ganz andere Dinge als den Dienst am Kunden.

Dabei wird nicht nur das Tracking genutzt, also das Verfolgen von Spuren, die jeder im Netz hinterlässt. Viele Angebote für Strom und Gas, Handyverträge, Versicherungen oder Reisen konfrontieren die Kunden auf ihren Webseiten mit einem derart undurchsichtigen Geflecht aus Optionen, Bedingungen und Klauseln, dass es kaum möglich ist, die Leistungen wirklich miteinander zu vergleichen. Bei dem einen Handyvertrag wäre die gebotene Datenmenge in Ordnung, dafür gibt es aber keine Frei-SMS. Hier fehlt dies, dort gibt es jene Option nicht oder nur gegen Aufpreis. Setzt der Kunde sich das Angebot im Netz nach dem Baukasten-Prinzip selber zusammen, wird es in der Regel unterm Strich teuer für ihn.

70 Arbeitstage

... wäre der Durchschnittsbürger jedes Jahr beschäftigt, wenn er die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aller Anbieter, deren Dienste er in Anspruch nimmt, wirklich lesen würde.

Das Abnicken der Geschäftsbedingungen kann teuer werden

Auch in der analogen Welt haben viele dieser Tricks Tradition. Sucht man nach einer passenden Küche, locken den Käufer vielerlei günstige Angebote in diverse Möbelhäuser. Doch schnell erkennt er: Die angebotene superbillige Zusammenstellung eignet sich nicht, einige Teile wären überflüssig, dafür bräuchte man andere - und schon schnellt der Preis in die Höhe.

Im Internet kommt hinzu, dass sich die meisten Verbraucher weder bewusst sind, wie detailliert ihre Bewegungen auf den Buchungs- oder Shopping-Seiten der Anbieter verfolgt werden, noch wissen sie, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich mit den AGB einverstanden erklären und auf den Bestellknopf klicken. AGB, das ist die Abkürzung für allgemeine Geschäftsbedingungen. Jeder Internet-Shopper kennt sie: seitenlange Texte in Juristendeutsch, oft in leseunfreundlichen Großbuchstaben geschrieben. Kaum einer ackert sie durch, fast alle klicken auf "gelesen" und hoffen, dass alles gut geht. Verbraucherschützer Streese: "Wenn der Durchschnittsbürger die allgemeinen Geschäftsbedingungen all seiner Anbieter lesen würde, wäre er damit pro Jahr 70 Arbeitstage beschäftigt."

Die Jäger der Abzocker

Ist es ein Einzelfall oder steckt System dahinter? Wenn Konsumenten sich an Verbraucherzentralen wenden, tun die Mitarbeiter dort sich oft schwer damit, die Fälle einzuordnen. Denn von den Verbrauchern, die sich hintergangen fühlen, kommen nur wenige überhaupt zu einer Verbraucherzentrale, und "sie kommen dann, wenn die Sache schon schiefgelaufen ist", sagt Sven Scharioth vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Doch das soll sich ändern. Mit Unterstützung des Bundesjustizministeriums richten die Verbraucherzentralen derzeit einen "digitalen Marktwächter" ein. "Es geht uns um Strukturen und Methoden", sagt Scharioth. Also etwa: Wird die Erfassung von Nutzerdaten verwendet, um die Preise entsprechend anzupassen? Werden wichtige Hinweise zum Beispiel bei Reisebuchungen zu klein oder erst kurz vor Abschluss der Buchung angezeigt? Dazu erarbeitet der Bundesverband auch Methoden und Standards, nach denen hierbei geprüft werden soll. Mit Mystery-Shopping, bei denen Mitarbeiter der Verbraucherzentralen inkognito auftreten, wollen die Verbraucherschützer zudem prüfen, ob die Anbieter sich an die gesetzlichen Vorgaben halten.

Ziel des Projektes ist es aber auch, die deutschen Verbraucherzentralen zu verknüpfen, um als Frühwarnnetzwerk Trends oder neue Betrugsmaschen eher zu erkennen als bisher. Die einzelnen Verbraucherzentralen sollen sich auch auf jeweils ein Gebiet spezialisieren - so stehen einzelne Mitarbeiter dann als besonders kompetente Experten dafür zur Verfügung.

Der Marktwächter, zu dem auch eine Webseite gehören wird, über die Verbraucher mutmaßliche Abzocke und Betrugsfälle melden können, wird nach den bisherigen Plänen Anfang 2017 voll einsatzfähig sein, doch schon bis Ende dieses Jahres erwartet Sven Scharioth erste Ergebnisse. Ergebnisse, die langfristig dann auch in politische Forderungen münden sollen. MA

Doch das vertrauensselige Abnicken von AGB und Verträgen kann teuer werden. So wie für Tobias Huber. Der 32-Jährige, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, nimmt sich gelegentlich einen Mietwagen. So auch an einem Wochenende vor mehr als einem halben Jahr. Erst als Huber seinen bestellten Wagen abholt, wird ihm eröffnet, dass er auf der Webseite der Mietwagenfirma ein Angebot mit voller Selbstbeteiligung gebucht hat. "Das heißt, das geht bis zum Ersatz des ganzen Autos bei einem Totalschaden", sagt Huber. Beim Buchen auf der Webseite hatte er das nicht bemerkt und musste dafür büßen.

1400 Euro für den Ersatz einer Windschutzscheibe, die man nicht beschädigt hat

Er übersah beim Losfahren, dass die Windschutzscheibe einen kleinen Sprung hatte. Fälschlicherweise dachte er sich, als er ihn entdeckt hatte, es würde reichen, dies bei der Rückgabe anzugeben. Das tat er auch. Doch knapp sechs Monate nach besagtem Wochenende kam eine Rechnung für den Austausch der Windschutzscheibe über etwa 1400 Euro - ein Vielfaches des Mietpreises.

Heute weiß Huber, dass er sofort hätte umkehren oder mit dem Vermieter telefonieren müssen, als er den Sprung in der Scheibe entdeckte. Und er weiß, dass er beim Buchen im Internet fortan genauer hinschauen wird, was er da genau reserviert. Zur Not wird er auch mal einen Blick in die AGB werfen. Denn wie sagte der Verbraucherschützer: Die Transparenz wird unterlaufen - meist im Kleingedruckten. Da unterscheidet sich Online nicht von Offline.

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