Online-Händler vs. Politik:Das Netz, ein Hort des Bösen

Der Online-Handel wächst - doch viele Verbraucher haben Angst vor Datenmissbrauch und Abzocke, zeigt eine neue Studie von Branchenvertretern. Die werfen Politikern vor, das Internet zu verteufeln und in Sachen AGB und Datenschutz zu streng zu sein.

Jannis Brühl, Berlin

Die Nähe zur Politik ist, wenn überhaupt, nur räumlich. Während die Bundeskanzlerin oben im großen Saal der Bundespressekonferenz über die Rettung Europas spricht, sitzt im Erdgeschoss des Hauses Christoph Wenk-Fischer und klagt, dass die Mächtigen seine Branche, den Online-Handel, nicht verstehen würden: "Das Netz ist für viele Politiker immer noch ein Hort des Bösen."

Dabei ist auch Wenk-Fischer kein Mann ohne Macht: Als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels (BVH) vertritt er mehr als 300 Versandhändler, von Online-Apotheken über Manufactum bis zur "Münzhandelsgesellschaft". Die Branche hat im zweiten Quartal 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugelegt. Doch sie hat ein Problem: Viele Menschen misstrauen dem Internet.

Wenk-Fischer stellt eine Studie zum Vertrauen der Deutschen in Online-Handel vor und macht dabei kräftig Politik. "Petitum" nennt er jeden seiner Appelle an die Gesetzgeber. Der Datenschutz sei ausreichend, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) müssten vereinfacht werden. Online-Handel hat Vertrauen verdient, das ist seine Botschaft.

Die Versandhändler reihen sich ein in die bunte Allianz aus Netz-Aktivisten und datenhungrigen Unternehmen wie Facebook oder Google, die sich alle von der Politik gegängelt fühlen. Vor allem die deutsche Furcht vor Datenmissbrauch macht der Branche Sorgen: Der Umfrage zufolge ist die wichtigste Funktion eines Gütesiegels für Käufer nicht, dass es die Rückgabe garantiert und die AGB für einwandfrei erklärt, sondern, dass es verspricht, dass die Kundendaten sicher sind. Immer wieder betonen Wenk-Fischer und die Gütesiegel-Chefs, dass etwa Verbraucher in Skandinavien weniger Probleme mit der Weitergabe von Daten hätten.

Laut Thorsten Scharmacher, der das Gütesiegel des EHI-Instituts herausgibt, steht die Angst der Deutschen in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Problemen: 99 Prozent der Beschwerden hätten mit der Ware selbst oder der Lieferung zu tun, nicht mit Daten. Die tatsächliche Zahl der Fälle dürfte allerdings höher sein. Dafür spricht, dass in der eigenen Studie der Siegel-Vergeber immerhin sechs Prozent der Befragten angaben, dass ihre Daten schon einmal an Dritte weitergegeben worden seien. Größtes Problem ist allerdings die Ungeduld der Kunden - oder Verzögerungen bei den Händlern: 25 Prozent sagten, sie hätten Ware schon einmal verzögert erhalten.

Die 32-Seiten-AGB mit dem Apfel

Ohne den Firmennamen "Apple" auszusprechen, führt Wenk-Fischer die detaillierten Kauf- und Lizenzbestimmungen des US-Konzerns als Negativbeispiel an: "Ich hab' mal versucht, das auszudrucken. Es waren, glaube ich, 32 Seiten."

Er sagt, dass AGB in der Schweiz in wenigen verständlichen Sätzen formuliert werden können - warum nicht auch in Deutschland? Form und Inhalt seien vom Gesetzgeber vorgegeben: "Bei jeder Gesetzänderung kommt neuerdings mehr Text dazu, der kleinste Formfehler führt zu einem Abmahnrisiko."

Das Verbraucherministerium widerspricht: Die rechtlichen Pflichten seien zwar gesetzlich vorgegeben. Wie lang und verworren AGB würden, sei aber Sache der Händler, sagt ein Sprecher zu Süddeutsche.de: "Es obliegt den Anbietern, verständliche AGB zu formulieren." Er verweist auf das Projekt http://www.surfer-haben-rechte.de, für das die Verbraucherzentralen komplizierte Geschäftsbedingungen in klares Deutsch übersetzt haben.

Neue Regeln zum Verbraucherschutz sind nicht immer im Sinne des BVH. Die kürzlich verabschiedete "Buttonlösung" hält Wenk-Fischer für "großen Unsinn". Damit hat die Regierung Anbieter von Anfang August an verpflichtet, Kunden vor dem endgültigen Einkauf durch einen digitalen "Kaufen"-Knopf noch einmal klar zu machen, dass sie in diesem Moment Geld ausgeben. Für den Verband ist die Regel ein Misstrauensbeweis: Der Einkauf im Netz sei schließlich schon sicher genug, argumentiert der BVH, Abzocker seien "schwarze Schafe".

Auf der Pressekonferenz legten die Interessenvertreter auch Zahlen vor: Um herauszufinden, wie viel oder wenig Vertrauen die Deutschen in die Branche haben, hat TNS Infratest im Auftrag des Verbandes etwas mehr als 1000 Online-Nutzer befragt. Das Ergebnis wurde in dieser Veranstaltung vorgestellt. Es zeichnet das Bild eines digitalen Grabens, wenn es ums Einkaufen geht. TNS-Geschäftsführer Robert Wieland sagt: "Es gibt einen harten Kern, der oft im Netz kauft." Doch der Rest der Befragten, der selten im Netz kauft, sei vor allem eines: verunsichert.

57 Prozent der Befragten haben schon schlechte Erfahrungen beim Online-Einkauf gemacht. Wenk-Fischer weiß die Zahlen in seinem Sinne zu deuten: Das bedeute auch, 43 Prozent hätten keine schlechten Erfahrungen gemacht. Zwei Drittel sagen auch, sie wüssten wenig bis nichts über Gütesiegel. Manager von TÜV Süd, Trusted Shops und dem Handelsinstitut EHI wollen daher ihre Gütesiegel mehr bewerben und auch den Internethändlern klarmachen, was für ein gutes "Investment" die Gebühren zwischen 49 und mehreren Tausend Euro seien, die die Prüfung kostet.

Das beste Gütesiegel ist jedoch immer noch die persönliche Empfehlung: 80 Prozent der Befragten ist es "wichtig" oder "sehr wichtig", dass andere Kunden einen Shop gut bewertet haben.

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