Notenbanken im Dilemma:So viel Geld - und doch machtlos

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Die Notenbanken haben den Markt in einer groß angelegten Aktion mit Geld geflutet - wie nach der Lehman-Pleite. Das zeigt, welches Ausmaß die Krise in Europa mittlerweile erreicht hat: Sie wird als Bedrohung für die gesamte Weltwirtschaft wahrgenommen. Und doch belegen solche Aktionen die Machtlosigkeit der Notenbanken.

Hans von der Hagen

Das schwächste Glied einer Kette, so heißt es, sei ihr stärkstes. Es bestimmt, wann die Kette reißt. In dieser Krise ist dieses Glied die Bankbranche. Wann immer diskutiert wird, mit welchen Maßnahmen das herrschende Chaos gelöst werden kann, steht am Ende die Frage: Und was passiert mit den Geldhäusern? Wenn etwa Griechenland pleite geht oder der Euro zerbricht?

In einer konzertierten Aktion haben weltweit die Notenbanken den Finanzmarkt mit Geld geflutet, um den Mangel an Dollar in Europa auszugleichen. (Foto: dpa)

Die eigentliche Frage, nämlich was Banken zur Lösung der Krise beitragen könnten, wird schon gar nicht mehr gestellt. Zu offensichtlich ist: Banken sind ihrer jetzigen Struktur für größere Verwerfungen an den Finanzmärkten nicht gerüstet.

Ihr wichtigstes Kapital, Kreditwürdigkeit, erweist sich in schwierigen Situationen als flüchtig. Derzeit sind etwa die US-Geldhäuser kaum noch bereit, den Kollegen auf dem alten Kontinent Dollar zu Verfügung zu stellen. Doch nicht allein das transatlantische Geschäft leidet, der Interbankenhandel ist insgesamt weitgehend ausgetrocknet - wie schon nach der Lehman-Pleite.

Das bedeutet: Wenn sich Banken derzeit Geld leihen wollen, wenden sie sich nicht, wie in normalen Zeiten üblich, an andere Kreditinstitute, sondern oft nur noch direkt an die Notenbanken. Die finanzieren auf diese Weise die Geldhäuser weit über das übliche Maß hinaus.

Kurse Euphorie

Hinzu kommt nun, dass beispielsweise die Europäische Zentralbank derzeit den Banken nicht nur Euro anbietet, sondern auch Dollar, die sie sich wiederum bei der Federal Reserve (Fed) in den Vereinigten Staaten leihen muss. In der konzertierten Aktion am vergangenen Mittwoch hatte die Fed den Zinssatz, den die EZB für die Dollar zahlen muss, gesenkt. Entsprechend günstiger können sich darum dann auch die europäischen Geschäftsbanken bei der EZB Dollar besorgen.

Der Schritt kam überraschend und sorgte für Entspannung auf dem Geldmarkt - darum reagierten die Börsen mit einem Kursfeuerwerk. Doch schon an diesem Donnerstag ist von Euphorie nichts mehr zu sehen. Denn klar ist: Solche Maßnahmen helfen zwar kurzfristig, lösen aber die Probleme im Bankensektor nicht dauerhaft. Im Gegenteil: Der Schritt belegt, wie verfahren die Lage ist - immerhin im Jahre vier der Krise.

Dieser Tage sollen aber die Notenbanken nach dem Willen der Politiker noch viel mehr leisten: Sie sollen nicht nur beruhigen und das Funktionieren des Bankensektors sicherstellen, sondern die Krise selbst meistern helfen.

In den USA macht das die Fed freiwillig - sie sieht sich selbst in der Pflicht, nicht nur für stabile Preise zu sorgen, sondern auch für eine gesunde konjunkturelle Entwicklung. Sie geht dabei sehr weit: Sie kauft etwa Staatsanleihen im Volumen von mehreren Billionen Dollar - vulgo: sie druckt Geld. Zugleich hat sie schon jetzt verkündet, dass sie die Zinsen noch bis 2013 niedrig halten wolle. Normalerweise legt sich eine Notenbank nie derart weit im Voraus fest. Im August wurde gar erwogen, erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten die Leitzinsen an die Arbeitslosenquote zu koppeln.

"Ungewöhnliche Maßnahmen"

In Europa tut sich die EZB mit diesen, wie sie es selbst nennt, "ungewöhnlichen Maßnahmen", viel schwerer. Sie darf sich formal nur um Preisstabilität kümmern, nicht aber um die Konjunktur oder gar um die Rettung von Staaten. Nun aber wird von ihr gefordert, es der Fed gleichzutun, amerikanischer zu werden und damit auch die Rolle des sogenannten letzten Kreditgebers einzunehmen, der im Falle eines Falles immer beispringt.

Alle Versuche der EZB, sich dagegen zu wehren, sind gescheitert. Die Schuldenlast, die von Griechenland und anderen Staaten weit in die Zukunft entsorgt zu sein schien, fordert viel früher als gedacht ihren Tribut. Nun muss jemand zahlen - und das ist die EZB.

Doch theoretisch unendlich viel Geld zu haben, löst die Krise nicht. Charles Plosser, der bei der Fed über alle Maßnahmen im Offenmarktausschuss mitbestimmt, räumt ein, dass es frustrierend sei, dass die geldpolitische Lockerung bislang so wenig gebracht habe. In einem Interview mit dem Handelsblatt sagte er: "Möglicherweise besitzen wir nicht die richtigen geldpolitischen Instrumente, um die Erkrankungen zu heilen, an denen das System leidet. Wir müssen nicht nur begreifen, was Geldpolitik tun kann - sondern auch, was sie nicht tun kann. Wenn ein Arzt bei der Diagnose einen Fehler macht, kann er die Lage des Patienten verschlimmern." Bislang ist die Fed mit ihren Bemühungen, über niedrige Zinssätze die US-Wirtschaft in Schwung zu bringen, schlicht gescheitert.

Auch die EZB kann allenfalls die Märkte beruhigen, aber unmöglich die Probleme lösen - schon gar nicht mit Käufen von maroden Anleihen. Im Gegenteil: Die EZB schafft mit der Geldflut von heute die Inflation von morgen. Sie führt dem Bankensektor über die niedrigen Zinsen und die Bondkäufe gewaltige Summen an Geld zu. Doch die werden nicht, wie es eigentlich sein sollte, verliehen, sondern gehortet. Die Unternehmen, denen das Geld letztlich zu Gute kommen sollte, haben also kaum etwas davon.

Das ist das Dilemma in dieser Krise. Die Notenbanken bräuchten die Hilfe der Geschäftsbanken, um das viele billige Geld, dass Banken und Versicherern horten, in den Wirtschaftskreislauf zu bringen. Stattdessen ist es umgekehrt: Die Notenbanken helfen den Banken. Damit die Kette nicht reißt.

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