Niedrige Zinsen bei Renten:In der Vorsorgefalle

Der Traum vieler Deutscher vom goldenen Ruhestand droht zu platzen. Sie investieren wie kaum eine andere Nation der Erde und müssen jetzt zusehen wie die niedrigen Zinsen an ihrem Vermögen knabbern. Doch niemand tut etwas gegen die schleichende Enteignung der Altersvorsorge.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Es ist ein Desaster und trifft im Prinzip jeden Bürger, der Geld fürs Alter zurücklegt: den Rechtsanwalt genauso wie den Arzt, den Facharbeiter wie den Angestellten, den Busfahrer wie die Krankenschwester. Da sparen die Deutschen wie kaum eine andere Nation der Erde. In dem Wissen, dass ihre gesetzliche Rente nicht reichen wird, haben sie geriestert, in Versorgungswerke eingezahlt oder Gehalt für eine Betriebsrente umgewandelt, und jetzt sehen sie, wie die niedrigen Zinsen an ihrem Vermögen zehren und ihr Traum vom goldenen Ruhestand platzen könnte. Die schleichende Enteignung der Altersvorsorge findet längst statt, aber keiner tut was.

Seit 2001 sind die Zinsen gesunken, und eine Wende ist bislang nicht in Sicht. Was das in Euro und Cent bedeutet, kann jeder in seinen Bescheiden nachlesen, der in den neunziger Jahren eine Lebensversicherung abgeschlossen hat. Was jetzt noch an Auszahlung prognostiziert wird, liegt - je nach Vertrag - mehrere 10 000 Euro unter den blumigen Versprechen aus der Nachwende-Ära.

Auch bei den staatlich geförderten Riester-Verträgen droht ein böses Erwachen: Bei der Einführung der zusätzlichen privaten Altersvorsorge wurde damit kalkuliert, dass sich das Kapital der Anleger mit vier Prozent verzinst. Tatsächlich bekam ein Riester-Sparer mit einem Versicherungsvertrag 2012 im Schnitt 3,56 Prozent gutgeschrieben. Und das bezieht sich nicht auf die Summe der Einzahlungen, sondern auf den Sparanteil, der nach Abzug der damals ebenfalls viel zu niedrig kalkulierten Kosten übrig bleibt. Wirtschaftsforscher haben bereits vorgerechnet, dass seit 2002 die garantierten Auszahlungssummen der Riester-Policen um 40 Prozent geschrumpft sind.

Viele Sparer handeln allerdings auch nicht wie gewünscht: Sie legen oft zu wenig zurück, um die Zulagen des Staates komplett abschöpfen zu können. Ein Großteil schafft es nicht, jahrzehntelang einzuzahlen. Fast jeder fünfte Vertrag ist bereits stillgelegt, die Gekündigten kommen noch obendrauf. Der Sozialbeirat der Bundesregierung warnt deshalb zu Recht, dass die zusätzliche Vorsorge gar nicht so wie vorgesehen die Senkung des Rentenniveaus ausgleichen kann. Von den Geringverdienern, Langzeitarbeitslosen, Minijobbern und Selbständigen mit Kümmerverdiensten, die nicht vorsorgen können oder wollen, ist da noch gar nicht die Rede. Ihnen ist, sofern sie keinen besser gestellten Partner haben oder kräftig erben, ohnehin die Altersarmut sicher.

Die Parteien sollten nicht die Rentenlücke vergessen

Zwei weitere Faktoren vergrößern die Vorsorgelücke: Viele Sparer unterschätzen die Inflation. Bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent haben nach 20 Jahren 100 000 Euro gerade mal noch eine Kaufkraft von etwa 67 000 Euro. Außerdem knabbern Staat und Sozialkassen am Alterseinkommen. Gesetzliche Renten sind von 2040 an voll zu versteuern. Gesetzlich Versicherte müssen auf Betriebsrenten den vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag zahlen. Von 100 Euro bleiben so nur gut 82 Euro übrig.

Der Befund ist also eindeutig: Millionen, die im Alter ihren gewohnten Lebensstandard halten wollen, sitzen in der Vorsorgefalle. Was also tun? Politiker können nicht an den Zinsen drehen. Wenn die Union mit SPD und Grünen über eine Koalition verhandelt, sollten die Parteien aber nicht die Rentenlücke vergessen.

Nötig wäre zunächst ein Programm gegen die Trägheit der Bürger. Der Staat muss jeden Arbeitnehmer, der eine Stelle antritt, verpflichten, privat oder betrieblich vorzusorgen, es sei denn, er spricht sich extra dagegen aus. Andere Länder haben so die Zahl der Vorsorgesparer schnell erhöht. Dieses Modell darf sich jedoch nicht - wie die Riester-Rente - zum Goldesel der Versicherer entwickeln. Es dürfen nur wenige Vorsorgeprodukte zur Auswahl stehen, deren Qualität etwa die Stiftung Warentest bescheinigt hat. Oder es wird wie in Schweden ein Staatsfonds geschaffen, in dem das Geld der Bürger günstig, rentabel und sicher angelegt wird. Und der volle Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten muss wieder weg.

Dieses Programm könnte die neue Bundesregierung mit einer Mindestrente für langjährig Versicherte ergänzen. Besser wäre es, die finanzielle Basis der Rentenversicherung auszubauen. Je mehr Bürger ausgebildet sind, einen Job finden und gut verdienen, desto höher ist später ihr Altersgeld. Deutschland darf keine Verhältnisse wie in den USA bekommen, wo jeder fünfte alte Mensch als arm gilt.

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