Neue Strategien für unsichere Zeiten:Konsumkick statt Reihenhaus

Konsum

Will! Ich! Jetzt! Haben! Vorsorge hat ausgedient. Es lebe das schnelle Glück des Konsumrauschs.

(Foto: dpa)

Teure Schuhgeschäfte meiden, die Weltreise streichen, dafür Eigenheim und Lebensversicherung? Vorsorge ist eine schöne Idee - in der Theorie. Doch das Konzept ist überholt. Kaufrausch, das schnelle Glück, Fokus auf die Gegenwart, das sind die einzig logischen Antworten auf unsere turbulenten Zeiten.

Von Angelika Slavik

Das waren mal Nachrichten! Die Deutschen, so konnte man kürzlich erfahren, hauen neuerdings das Geld auf den Kopf. Hemmungslos und wüst verprassen sie ihr Einkommen, so ließen sich die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts interpretieren. Sparen? Vorsorgen? Pah!

Die Bundesrepublik, dieses Mahnmal von Solidität und Vernunft, die strenge Musterschülerin in einer Klasse mit lauter undisziplinierten südeuropäischen Haushaltssündern, diese Bundesrepublik soll sich nun verwandelt haben: in eine Hedonisten-Hochburg; in ein Land, dessen Bevölkerung fröhlich auf den Tischen tanzt, berauscht vom flüchtigen Glück des schnellen Konsums. Pardauz.

Natürlich stimmt das so nicht. Wenn man sich die Zahlen genauer ansieht, zeigt sich, dass die Deutschen immer noch unter der Prämisse der Vorsorge handeln. Sie machen es nur anders als früher. Die Bürger tragen ihr Geld nun häufig nicht mehr auf die Bank, sondern stecken es in Immobilien - in der Hoffnung, dass ihnen das finanzielle Absicherung bringt. Langfristig und solide, versteht sich. Die große Kaufrausch-Revolution ist also bestenfalls ein Revolutiönchen.

Vorsorge - theoretisch ist das eine schöne Idee

Schade, eigentlich. Denn ganz rational betrachtet ist kurzfristig orientierter Konsum das einzig logische Verhaltensmuster unserer Zeit. Das Konzept der Vorsorge ist längst von der Realität überholt worden. Das Motto von heute sollte lauten: Was schert uns, was morgen ist?

Es ist so: Die Idee des Vorsorgens hat traditionell einen guten Ruf. Das lernen Söhne von Vätern und Enkelinnen von Großmüttern, das propagieren die Sparkassenspots, die Glückwunschkartenindustrie und die Kühlschrankmagnetenhersteller. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Theoretisch ist das eine schöne Idee: Abgesichert zu sein gegen all die Unbill des Lebens. Planen zu können, sorglos in die Zukunft zu blicken. Das Problem ist nur - so läuft das eben nicht.

Die Sache mit den Immobilien, die die Deutschen seit Beginn der Krise wie verrückt kaufen und gekauft haben, ist ein schönes Beispiel. Wer heute eine Wohnung erwirbt in der Absicht, sie zu vermieten, tut das in der Hoffnung, dass sich mehrere Faktoren zu seinen Gunsten entwickeln. Er hofft auf steigende Mietpreise und auf Menschen, die genau in dem Viertel wohnen wollen, in dem er gekauft hat. Er hofft, dass nicht schräg gegenüber ein Asia-Restaurant mit ungünstig positioniertem Lüftungsrohr eröffnet oder eine Techno-Bude im Kellergeschoss. Er hofft, dass die Energieeinsparverordnung ihn nicht zu ungeplanten Investitionen zwingt und dass die Kreditzinsen nicht genau dann auf Rekordniveau steigen, wenn er sich in zehn Jahren um die Anschlussfinanzierung kümmern muss.

Manche verzichten auf Urlaube und kaufen nur nach Einkaufsliste

Natürlich kann man mit diesen Dingen Glück haben. Es kann aber auch anders kommen. In ein paar Jahren könnte sich der Immobilienboom als Blase entpuppen. Die Zinsen könnten wieder steigen und die Kredite verteuern. Viele Tausend Objekte könnten zeitgleich am Markt landen und die Preise in den Keller schicken.

Vorsorge ist immer eine Wette - und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Viele Menschen kaufen sich ein Haus, in dem sie auch selbst wohnen, mit der Absicht, im Alter die Miete zu sparen und deshalb wirtschaftlich abgesichert zu sein. Manche verzichten dafür auf größeren Urlaub, halten sich im Supermarkt immer ganz streng an die Einkaufsliste und gucken in unverschämt teure Schuhläden gar nicht erst hinein. Dafür haben wir ja das Haus. Und später, das wird toll.

Ja, später. Allerdings bedeutet später im Leben eben auch: dass Leute sich scheiden lassen, zum Beispiel. Und dann muss das hart ersparte, aber vielleicht gar nicht marktkonforme Häuschen plötzlich unbedingt verkauft werden. Es bedeutet, dass Menschen alt werden oder krank und dann völlig andere Wohnbedürfnisse haben. Dann wird die Idee vom Haus als Vorsorge schnell zum Reinfall, wirtschaftlich, vor allem aber auch emotional: All die Entbehrungen, all die nicht erlebten Reisen, die ganze Rechnerei im Supermarkt - für nix?

Alles richtig gemacht und trotzdem verloren

Das gilt natürlich nicht nur für Immobilienerwerb, sondern auch für Sparpläne und Aktienfonds und alle anderen Vehikel, die Zukunft sichern sollen. Lebensversicherungen stecken tief in der Krise. Mit offenen Immobilienfonds, die mal als supersicheres Lieblingsprodukt der deutschen Anleger galten, erlebten Hunderttausende Menschen zuletzt dramatische Verluste. Nicht wenige davon hatten diese Fonds als tragende oder gar einzige Säule ihrer Altersvorsorge betrachtet. Das ist umso bitterer, als viele Menschen von den Problemen völlig unvorbereitet getroffen wurden. Sie hatten doch vorgesorgt, dachten sie. Alles richtig gemacht und trotzdem verloren.

Die Zeit, in der wir leben, ist von Unsicherheit geprägt, von Unsicherheit auf allen Ebenen. Nichts ist stabil, nichts ist berechenbar. Ob man den Ehepartner von heute im Alter überhaupt noch kennen wird? Wer weiß das? Ob das staatliche Rentensystem für die heute 30-Jährigen noch etwas hergeben wird? Hm. Ob die privaten Alternativen am Ende irgendetwas taugen? Ob der lose Werkvertrag, mit dem sich die Jungakademiker von heute durchs Leben schlagen, in zwei Monaten noch Bestand haben wird? Dazu kommen fragile Finanzmärkte, fragile Staatsfinanzen, fragiler Frieden in Europa. Das sind einige Variablen am Weg zum durchgeplanten Rentnerglück im Reihenhaus.

Die Idee vom Vorsorgen gaukelt eine Sicherheit vor, die es, rein logisch betrachtet, nicht mehr geben kann. Gerade deshalb wird es Zeit, sich in dieser Unsicherheit einzurichten, sie anzunehmen, statt sie zu verleugnen. Denn genau das sind Vorsorgekonzepte heute: ein Alibiinstrument, um sich nicht mit der Unplanbarkeit des Lebens auseinander setzen zu müssen.

Unsicherheit ist einfach der logische Begleiter von Freiheit

Ja, die Zeiten sind turbulent. Nein, niemand weiß, was nächsten Monat ist oder nächstes Jahr. Das mag zunächst Angst einflößend klingen, aber tatsächlich ist Unsicherheit in vielen Fällen auch einfach der logische Begleiter von Freiheit. Je freier, desto unberechenbarer, das gilt für Märkte und Ehepartner gleichermaßen.

Dieser Gedanke kann auch hilfreich sein. Weil die Abkehr von der Fixierung auf irgendeine vermeintlich perfekte Zukunft die Fokussierung auf die Gegenwart erleichtert. Wann, wenn nicht heute, ist der richtige Moment, um sich dem Kaufrausch hinzugeben, das schnelle Glück zu jagen? Es ist die Möglichkeit, aus der omnipräsenten Unsicherheit unserer Zeit etwas Positives mitzunehmen.

Schneller Konsum ist auch etwas Oberflächliches. Die wirklich wichtigen Dinge könne man ja nicht kaufen, wird gerne argumentiert. Das stimmt. Aber wer kurzfristig sein Geld für schöne Erlebnisse oder schöne Dinge ausgibt, kurbelt damit nicht nur die Wirtschaft an, sondern hebt in der Regel auch die eigene Laune.

Kapital als Spielgeld, nicht als Versicherung

Was unterscheidet die gut gelaunten, ausgeglichenen Menschen von den freudlosen dauerdisziplinierten? Richtig, man verbringt gerne Zeit mit ihnen. Diese Leute knüpfen Kontakte, die ihnen später vielleicht die beste Vorsorge sind. Diesen Leuten gibt man die Projektleitung, in der Erwartung, dass sie ein Team führen können, ohne die Stimmung zu zerstören. Diese Leute lädt man zu seiner Geburtstagsfeier ein. Freundschaft, Kontakte, Lebenslust, Einfühlungsvermögen, all das ist auch eine Form von Kapital, die Menschen aufbauen können, und mitunter wird sie sich langfristiger als haltbarer und nützlicher erweisen, als das, was dann auf der Bank liegt oder auch nicht.

Natürlich kann man trotzdem Immobilien kaufen und Fondsanteile zeichnen. Sein Geld zu mehren ist einen Versuch wert, und man sollte sich freuen, wenn am Ende die Rechnung aufgeht. Aber wer es schafft, das eingesetzte Kapital als Spielgeld zu betrachten und nicht als Versicherung, der wird sich dafür heute nicht mehr kasteien wollen. Der wird, unabhängig davon, wie sich die Kurse und die Häuserpreise entwickeln, mit Nachdruck sein Glück einfordern, jetzt sofort.

Die Fixierung auf die Zukunft aufzugeben und die Gegenwart zur obersten Prämisse des eigenen Handelns zu machen, hat natürlich Konsequenzen. Wer bislang auf die Rente hingearbeitet hat, muss Lust an der Gegenwart entwickeln. Das mag vielen schwer fallen, nicht zuletzt, weil das auch bedeutet: Lust auf Arbeit zu entwickeln. Wer nicht vorsorgt, braucht laufendes Einkommen, vielleicht sogar über das gesetzliche Rentenantrittsalter hinaus.

Das Leben auskosten, egal, ob die Immobilienpreise nach unten gehen

Tatsächlich ist doch die interessante Frage: Was, bitte, ist an Arbeit so schrecklich, dass man sie bislang nur einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte? Wieso wollen auch so viele gesunde Menschen, die gar nicht körperlich arbeiten, immer bloß einfach so schnell wie möglich in Rente? Möglicherweise muss, wer sein Glück plötzlich in der Gegenwart sucht, kritisch überprüfen: Ob Entscheidungen, die man vielleicht vor Jahrzehnten getroffen hat, etwa bei der Berufswahl, heute noch die richtigen sind. Ob das unmittelbare persönliche oder geschäftliche Umfeld noch das richtige ist. Ob man selbst eigentlich ist, wer man sein will.

Vielleicht ist es Zeit, das Leben insgesamt lustvoller anzugehen, sich in der Freizeit mehr zu gönnen, auch die schnellen Freuden des Konsums. Und in der Arbeit mehr Hingabe zu entwickeln. Wieder Lust aufs Detail zu bekommen, den Stolz aufs eigene Werk zu pflegen, der einem vielleicht verloren gegangen ist. Wieder mehr zu machen als unbedingt nötig wäre. Sich ein Leben zu schaffen, über das man zu jedem Zeitpunkt sagen könnte, man habe es ausgekostet - ob die Immobilienpreise nach unten gehen oder nicht.

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