Nepal:Bauen auf 3450 Metern Höhe

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Vor bald drei Jahren zerstörte ein Erdbeben ganze Dörfer im Langtang-Tal. Der Wiederaufbau gestaltet sich in der abgelegenen Region ziemlich schwierig, die Logistik ist eine große Herausforderung.

Von Jochen Bettzieche

Gunnar Amor betrachtet die Außenseite des Gebäudes und schüttelt den Kopf. Es mangelt an Stabilität. "Ohne Bewehrungsstreifen bricht das beim nächsten Erdbeben wieder zusammen", sagt der Bauingenieur aus Telfs in Österreich. Er sitzt vor einer Lodge, einem Gasthaus auf etwa 2000 Meter Höhe in der Ortschaft Bamboo im Langtang-Tal in Nepal. Hier bebte im April 2015 die Erde. Der Wiederaufbau ist schwierig, denn ins Langtang-Tal führen keine Straßen, nur Fußwege. Das stellt Bauherren vor große logistische und technische Herausforderungen.

Nepal liegt in einer Risikozone für Erdbeben. Dort, wo die indische gegen die eurasische Platte drückt, schieben sich die Platten zum Himalaya auf, dem höchsten Gebirge der Erde. Das führt immer wieder zu Erschütterungen in der Region. Was aber 2015 in Nepal passierte, war eine der größten Katastrophen, die das Land jemals getroffen haben. Ein Erdbeben der Stärke 7,8 zerstörte zahlreiche Gebäude. Fast 9000 Menschen kamen ums Leben. Allein im Langtang-Tal starben 358 Personen. Gebäude stürzten in sich zusammen oder wurden von Felsen getroffen, die von den Bergen herunterkamen.

Den Stahl bringt der Helikopter, das andere Material bringen Träger zu Fuß

Der 60-jährige Dindu Tamang erinnert sich, dass er damals nur noch gerannt ist, als die Erde bebte. Raus aus seiner Lodge in großer Höhe, einfach weg. "Nach dem Erdbeben kamen keine Touristen mehr", erzählt er. Zwei Jahre lang musste er auf den Feldern seiner Familie arbeiten. Erst im vergangenen Jahr besserte sich die Lage. Die Urlauber kommen zurück - auch, weil Bauingenieur Amor im Auftrag des Deutschen Alpenvereins (DAV) die Wege saniert hat. Die waren nach den Erdstößen nicht mehr begehbar.

Besonders hart traf es die Ortschaft Langtang: Eine Lawine aus Eis und Fels verschüttete das Dorf. Lediglich ein Kloster, das sich an eine Felswand schmiegt, überstand das Desaster. Noch heute bedeckt eine etwa 30 Meter dicke Schicht aus Eis und Geröll das alte Langtang und die Überreste der Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Erdbebens dort aufgehalten hatten.

Temba Lama verlor bei dem Unglück sieben Familienmitglieder, darunter seine Mutter, zwei Schwestern, den Bruder und dessen Ehefrau. "Ich weiß nicht, wo sie liegen", sagt Lama. Die Überlebenden schlossen sich zusammen und gründeten ein neunköpfiges Komitee, um die Hilfsmittel zu verteilen, die in zahlreichen Ländern gezielt für den Ort gespendet wurden. Jeder der 116 betroffenen Haushalte sollte den gleichen Anteil erhalten. "Ein Ingenieur einer amerikanischen Hilfsorganisation hat uns beraten", erklärt Lama.

Hier oben, auf 3450 Metern, bauen sie jetzt stabil. Fundamente und Geschossdecken sind aus Stahlbeton, ebenso statische Verbindungen zwischen den Stockwerken. Dazwischen schichten die Arbeiter Steine auf. Im Gegensatz zu den Bauten in Bamboo werden sie mit Mörtel verbunden und zum Teil verputzt. Schon das Material herbeizuschaffen, ist eine Herausforderung. Bis zum Eingang des Tals auf etwa 1900 Metern führt noch eine Straße. Von hier sind es 19 Kilometer und 1600 Höhenmeter. Weiter führt nur ein schmaler Pfad. Auf mehreren Hängebrücken geht es über den Langtang, den Fluss, der dem Tal seinen Namen gibt. Den Stahl bringt ein Helikopter, anders geht es nicht. Für den Rest des Materials ist das aber zu teuer.

Das Meiste bringen Träger zu Fuß. Während Trekking-Touristen wegen der dünnen Luft mit Atemproblemen kämpfen, schleppen die Träger ihre Lasten ohne zu klagen. Selbst Fensterscheiben kommen so nach Langtang, zu mehreren zusammengestellt in einem Holzkasten. Um die 50 Kilogramm wiegt einer davon, einzig von einem Trageriemen gehalten, der sich über Kopf oder Stirn des Trägers zieht.

Etwas Entlastung bringen Maultiere, eine Spende einer amerikanischen Hilfsorganisation. Geduldig schleppen sie schwere Zementsäcke in die Höhe, immer angetrieben von ihren Führern. Fußgänger weichen den Karawanen an den steilen Berghängen aus. Begegnen sie ihnen auf einer Brücke, bleibt nur der Rückwärtsgang - für die Menschen. Denn die Tiere gehen unbeirrbar ihren Weg. Einen Tag benötigen sie und ihre Begleiter für die Strecke. Touristen übernachten in der Regel unterwegs mindestens ein Mal.

Dem langen Weg ist noch eine Besonderheit geschuldet: Auf den Baustellen fehlt der Maschinen-Fuhrpark, der in Europa anrückt, wenn ein Gebäude errichtet wird. Betonmischer, Kran und Kreissäge - Fehlanzeige. Häuser entstehen hier in Handarbeit. Arbeiter rühren Beton an der Baustelle von Hand an und füllen ihn in die Schalung. Holz wird mit Axt, Handsäge, Hobel und Stechbeitel in Form gebracht. Wenn es im Dezember richtig stark schneit, ruht die Arbeit. Dann wird es zu schwierig, Material zu transportieren - und zu gefährlich, auf Baustellen ohne Gerüste und Absicherungen.

Vier Zimmer, Fenster, Dach, ein Ofen, dafür reichten die Spendengelder, berichtet Lama: "Jeder hat 32 Säcke Zement à 50 Kilogramm erhalten." Wer mehr wollte, musste eigenes Geld beisteuern.

Er hat es so gemacht. 15 Jahre lang betrieb er eine Lodge in Langtang. Die liegt jetzt irgendwo unter der Schicht aus Eis und Geröll. Lama wollte eine neue Lodge. Die steht mittlerweile, "stärker, aber kleiner", wie Lama sagt, mit mehr Stahl und Beton als früher. In den Zimmern finden die Gäste Waschbecken, Toiletten und Duschen - ein Luxus in dieser Region. In anderen Unterkünften teilen sich Besucher oft die sanitären Einrichtungen.

Warmwasser liefert eine Solarthermie-Anlage auf dem Dach. Daneben erzeugen Photovoltaik-Module Strom. Allerdings nur als Notstromlieferant. "Ende November geht ein Wasserkraftwerk ans Netz, an das ich die Lodge anschließen werde", erklärt Lama. Um den Verbrauch niedrig zu halten, hat er die Zimmer mit Drei-Watt-LED-Lampen ausgestattet.

Das Wasserkraftwerk liegt ein Stück weiter taleinwärts, kurz vor der Ortschaft Kyanjin Gompa. Dort betreibt Ngerup Chhiring Tamang ein Café nach europäischem Vorbild und eine Lodge. Zwei Jahre nach dem Erdbeben hat er eigens eine Espressomaschine und einen professionellen Ofen einfliegen lassen. Tamang hat Glück gehabt: "Das Erdbeben hat nur meine Fenster zerstört." Ersatz haben ihm Träger gebracht.

Seine Nachbarn hat es stärker getroffen. Auch heute noch klingen Axt- und Hammerschläge durchs Tal. Bauarbeiter reichen Stahlstangen in den ersten Stock eines Rohbaus. Dort bereiten Kollegen damit die Bewehrung des Bodens vor. Träger bringen weiteres Baumaterial aus dem Tal, vorbei an den Yaks, die ungerührt auf den Wiesen grasen.

Auch Temba Lama ist mit seiner Lodge noch nicht fertig. Das Wasser fließt noch nicht in allen Gästezimmern. Die Dachterrasse hat noch kein Geländer. Alles Projekte für dieses Jahr, sagt Lama: "Das Geld ist aus." Jetzt müssen erst Besucher kommen, bevor der Bau weiter geht.

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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