Nachverdichtung:Der Würfel auf dem Dach

Cabin Spacey

Leben auf dem Dach: Minihäuser wie dieses von Cabin Spacey sollen ungenutzte Flächen in Wohnraum verwandeln. Strom und Wärme liefert die Kraft der Sonne.

(Foto: Cabin Spacey)

Aufbauten könnten schnell und einfach zusätzlichen Wohnraum in Großstädten schaffen.

Von Dirk Engelhardt

Mit dem "Loftcube" fing 2003 die schöne neue Welt der modernen Dachaufbauten in Berlin an. Architekt Werner Aisslinger entwarf einen futuristischen Würfel auf vier Beinen, ringsum verglast, den man theoretisch auf jedes Flachdach stellen kann. So entsteht eine Designer-Wohnung für ein bis zwei Personen. Eine kleine Treppe führt von der Dachterrasse hinauf in den Cube, der "alle wichtigen Funktionen - leben, schlafen, arbeiten sowie Küche und Bad - kombiniert", wie es im Werbetext heißt. Der Würfel ist ausgefeilt konzipiert und bietet einen 360-Grad-Rundblick, was gerade auf Hausdächern reizvoll ist. Zudem lässt er sich schnell auf- und abbauen, ein Umzug ist also kein größeres Hindernis. Er verbraucht wenig Energie durch eine Dreifachverglasung, auch Geräusche werden im Inneren gedämmt. Dank einer Stahlkonstruktion ist er sturmbeständig und hält angeblich sogar Erdbeben stand. Kostenpunkt: etwa ab 109 000 Euro.

Rein technisch gesehen ist vieles realisierbar. Wenn da nicht die Vorschriften wären

Nicht nur auf Hausdächern, auch auf Naturgrundstücken oder in den Bergen schindet der Loftcube Eindruck; dank Echtholz-Lamellen an den Außenwänden besitzt er eine warme Ausstrahlung. Trotz alledem hat sich der Würfel bisher nur äußerst schleppend verkauft, vom Büro Aisslinger werden gerade mal drei bis vier Verkäufe pro Jahr gemeldet. "Der Loftcube steht heute zum Beispiel auf dem Dach des Hotel Daniel in Graz, im Park des Château de la Poste in Belgien, am Strand von Beirut im Libanon, vor der Firmenzentrale Hansgrohe im Schwarzwald und vor der Pinakothek der Moderne in München", zählt Fabian Goppelsröder vom Büro Aisslinger auf. Gerade weil die Tiny-House-Bewegung derzeit in aller Munde ist, erstaunt diese niedrige Verbreitung des Vorreiters der Mini-Behausungen, der die Themen Nachhaltigkeit, Design und Mobilität bis ins Extrem ausreizt.

Das Büro Kaden+Lager in Berlin ist spezialisiert auf Holzbauten, und derzeit habe man mehrere Dachaufbauten aus Holz in der Pipeline, wie Tom Kaden erklärt. "Dachaufbauten aus Holz haben den großen Vorteil, dass sie leichter sind als konventionelle Dachaufbauten und somit die Statik des Haus günstiger beeinflussen", so Kaden. Trotzdem habe man bei einem vor Kurzem vollendeten Dachaufbau in Berlin-Neukölln das Gebäude, einen Altbau aus dem Jahr 1900, neu unterfangen müssen. Die Aufbauten können einen Teil des Daches einnehmen oder die ganze Fläche, für jedes bestehende Gebäude ist eine individuelle Anfertigung vorgesehen. Die Gründerzeitfassade des Altbaus in Neukölln kontrastiert dabei mit dem modernen Aufbau. Man wolle nicht historisierend sein, erläutert Kaden.

Kurz vor der Markteinführung steht ein weiteres Designer-Dachhäuschen aus Holz namens "Cabin Spacey". Ertüftelt hat es Simon Becker aus Berlin. Das Minimalhaus mit 30 Quadratmetern Nutzfläche wurde am 20. Juni auf der Tech Open Air Berlin zum ersten Mal vorgestellt. Die Pläne klingen vielversprechend: funktionales Design, Bauteile aus nachhaltigen Materialien und Versorgung mit Solarstrom. Eine Luft-Wärme-Pumpe soll dafür sorgen, dass es im Sommer nicht zu heiß wird und im Winter nicht zu kalt.

Doch Becker musste die Hürden, die Dachaufbauten haben, kennenlernen: "Unsere Strategie ist es, mit großen Immobiliengesellschaften zu kooperieren, die in ihrem Bestand eine Vielzahl an realisierbaren Flächen haben", beschreibt es Becker. "Die baulichen Hürden beschränken sich auf die obligatorischen genehmigungsrechtlichen Aspekte: Zugänge, Anschlüsse, Brandschutz, Schallschutz, Statik und spezifische Verordnungen für das Quartier", so Becker. In Deutschland gebe es eine Vielzahl an Richtlinien für die Sicherheit und Statik, zudem müssen Baugenehmigungen geprüft werden. Dies sorgt zwar für ein gutes Maß an Sicherheit, stellt aber auch Hürden dar.

Technisch, meint der Häuslebauer, stünden genug Lösungen zur Verfügung, um die Aufbauten schnell realisieren zu können. Allein in Berlin könnten auf diese Art und Weise 50 000 Apartments gebaut werden. Für Familien wären die Apartments mit einer Fläche von 8,5 Meter mal 3,2 Meter nicht geeignet, für Singles jedoch allemal.

Für die Hauptstadt Deutschlands, in der zur Zeit gravierender Wohnungsmangel herrscht, wären Dachaufbauten ein eleganter und relativ einfacher Weg, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. In der Vergangenheit wurde in Berlin aber relativ wenige Dachaufbauten realisiert. "Der bis 2004 bestehende hohe Wohnungsleerstand machte eine Verdichtung beziehungsweise eine Aufstockung bis dahin nicht wirklich attraktiv für Bauherren", sagt Petra Rohland von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Ob sich dies jetzt, bei hohem Wohnungsmangel in der Hauptstadt ändert? Schließlich ziehen zur Zeit etwa 50 000 Menschen pro Jahr in die Hauptstadt. Rohland: "Dem Dachraumaufbau können insbesondere planungsrechtliche Regelungen über die zulässige Dichte und bauordnungsrechtliche Regelungen über die Herstellbarkeit notwendiger Rettungswege entgegenstehen." Ein spezielles Programm zur Förderung von Dachaufbauten gibt es laut Rohland nicht, was aufgrund der katastrophalen Wohnungssituation erstaunt.

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