Moderne Bausünden:Vom König lernen

Bürgermeister und Manager versagen als Bauherren zusehends. Die Entgleisungen, die sich in zeitgenössicher Architektur ereignen, fallen mittlerweile immer fataler aus.

Gerhard Matzig

Wie im Straßenverkehr, so ereignen sich auch auf den Baustellen der Architektur täglich Unfälle. Dabei geht es nur selten um Tote und Verletzte.

Moderne Bausünden: Lindenoper zu Berlin: Die Rokoko-Oper befindet sich seit Jahren in baufälligem Zustand. Im Zuge der Sanierung sollten zwei Schwachpunkte der Oper beseitigt werden: die schlechte Akustik und die mangelhaften Sichtverhältnisse. Aber so weit kam es erst gar nicht.

Lindenoper zu Berlin: Die Rokoko-Oper befindet sich seit Jahren in baufälligem Zustand. Im Zuge der Sanierung sollten zwei Schwachpunkte der Oper beseitigt werden: die schlechte Akustik und die mangelhaften Sichtverhältnisse. Aber so weit kam es erst gar nicht.

(Foto: Foto: dpa)

Aber dafür sind die ästhetischen Schäden, die in unseren Wohnungen und Büros oder auf den Straßen und Plätzen angerichtet werden, massenwirksam. Architektur, die "öffentlichste aller Künste" (Woods) geht, wie Adolf Loos sagte, alle an: "Man kommt ihr nicht aus." Ein Buch kann man weglegen, einen Film muss man sich nicht anschauen.

Aber von Häusern und Städten ist man auf Dauer umgeben. In unserem urbanen Millennium, in dem sich die Verstädterung zum unumkehrbaren Prozess verdichtet hat, wird es in absehbarer Zeit keinen Menschen geben, der nicht der Architektur ausgeliefert wäre. Auf dem Terrain der Baukultur werden unsere räumlichen Lebensgrundlagen verhandelt.

Wobei die Bedingungen, unter denen Architektur als sichtbarster Teil der Baukultur entsteht (oder als ihr Gegenteil: als hässliche, dysfunktionale Zumutung), vor allem von zwei Akteuren zu definieren sind - von Architekten und Bauherren. Es ist die Qualität ihres Dialogs, die über die Qualität unserer Räume entscheidet. Idealerweise befinden sich Bauherr und Architekt im Gleichgewicht. Zuletzt war allerdings viel mehr Negatives über die eine Seite zu erfahren als über die andere.

Die Krise der Architekten ist offenkundig. Man weiß, dass diese Berufsgruppe in Deutschland im Allgemeinen schlecht bezahlt wird und - unter Akademikern - überproportional von Arbeitslosigkeit bedroht ist. Es gibt ein regelrechtes Architektensterben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Bisweilen liegen sie auch auf Seiten der Architekten selbst, die sich nicht so recht entscheiden können, ob sie sich als kreative Baukünstler oder als technisch und ökonomisch versierte, dienstleistende Baumanager positionieren sollen.

Immer fatalere Unfälle

In Wahrheit müssen sie, wie seit Vitruvs Zeiten vor 2000 Jahren, beides sein: Künstler und Ingenieure. Zwischen beiden Bereichen gehen manche Architekten unter. Die Architektenschaft hat, auch infolge der rasant ausschreitenden und immer komplexer werdenden Bautechnologie und des osmotischen Ineinandergreifens von Architektur, Design und Urbanismus, ihr über die Jahrhunderte gewachsenes berufliches Selbstverständnis verloren - und muss sich nun eine neue Identität erst noch schaffen. Aber das ist bekannt.

Weniger prominent ist dagegen die Krise im Reich der Bauherren, wobei die Unfälle, die sich auf dieser Seite der Baukultur-Produktion ereignen, mittlerweile immer fataler ausfallen.

Etwa in Berlin, wo aus dem stilistischen Richtungsstreit um den Umbau der Lindenoper eine Posse geworden ist. Zur Erinnerung: Die Rokoko-Oper befindet sich seit Jahren in baufälligem Zustand. Im Zuge der Sanierung sollten zwei Schwachpunkte der Oper beseitigt werden: die schlechte Akustik und die mangelhaften Sichtverhältnisse. Man schrieb einen Wettbewerb aus und kürte einen Sieger: Klaus Roth. Dessen Entwurf geriet aber zwischen die üblichen Fronten aus Modernisten und Traditionalisten. Das Ergebnis dieser Debatte: Der Wettbewerb wurde für nichtig erklärt.

Vom König lernen

Seither ist die Situation, gelinde gesagt, verfahren. Wobei das Ärgernis in diesem Fall darin begründet ist, dass der Auslober des Wettbewerbs, die Stadt Berlin, zunächst nicht so recht wusste, was sie eigentlich will (Erhalt oder Veränderung des Baudenkmals), um sich schließlich nahezu orientierungslos von einem im Grunde unsinnigen Richtungsstreit überrollen zu lassen. Die Verantwortlichen tauchten deshalb erst mal ab. Man wartete, typisch Politik, in welche Richtung sich das allgemeine Interesse bewegen würde, ohne sich selbst mit einem belastbaren Standpunkt aus der Deckung des Debattentrubels zu wagen.

Der Wettbewerb um den Umbau der Lindenoper scheiterte deshalb nicht etwa am Systemstreit - sondern an einem wankelmütigen, unprofessionellen und inkompetenten öffentlichen Bauherren, der dem Anspruch der Bauaufgabe in keiner Weise gewachsen war.

Nach Kräften blamiert hat sich zuletzt auch der Kölner Oberbürgermeister, der vor einigen Wochen in aller Öffentlichkeit dem Architekturbüro Wandel Hoefer Lorch zum Wettbewerbs-Entwurf für ein neues Jüdisches Museum gratulierte ("sehr gelungen") - um nur wenige Tage später einen bemerkenswerten Sinneswandel zu offenbaren.

Nach einigen lautstarken, kritischen Artikeln in der Lokalpresse sprach der Oberbürgermeister plötzlich von einer "problematischen" Lösung und zeigte sich als "von Anfang an skeptisch". Über dieses "von Anfang an" lacht heute noch ganz Köln. Offenbar hatte der Oberbürgermeister als Oberbauherr seiner Stadt nur eines von Anfang an: keine begründete eigene Meinung über die zu beurteilende, stadträumlich wirksame Architektur.

Verstecken hinter Gremien

Das ließe sich beinahe auch über den Münchner Oberbürgermeister sagen, von dem man immer noch nicht genau weiß, wie er eigentlich in baukultureller Hinsicht über das ambitionierte, schließlich leider allzu kläglich gescheiterte "Werkbund"-Projekt denkt.

Nach einem spektakulär verlorenen Bürgerbegehren über die Zukunft von Hochhäusern in München - Jahre zuvor -, bei der er sich noch für die Vertikale der Hochhäuser stark gemacht hatte, mag er sich nun gedacht haben: Es könne nichts schaden, wenn sich seine architektonischen Vorlieben und Abneigungen irgendwo in der Horizontalität eines diffusen Sowohl-als-auch verlören.

So viel zu den Bürgermeistern, die an entscheidender Stelle die öffentlichen Bauherren repräsentieren. Wenn aber hier schon keine Haltungen erkennbar sind, wie mag es dann erst um die privaten Bauherren stehen, die sich noch besser hinter Gremien verstecken können? Von dort aus lassen sich die Manager - dem Trend der oft spektakelhaften "Corporate Architecture" folgend - mal von diesem oder jenem Mitglied des Star-Architektentums mal dieses oder jenes Headquarter erbauen.

Oft sind sie für sogenannte kühne Entwürfe allerdings genauso leicht zu begeistern, wie sie sich davon blenden lassen. Selten sind solche Bauherren gebildet genug, um die Architektur auf gleicher Höhe mit den oft astronomischen Budgets zu diskutieren.

Vom König lernen

Man kann aber nicht nur mit zuviel Geld und zuviel Ehrgeiz versagen. Etliche Unternehmer und ihre Erfüllungsgehilfen scheitern auch am Gegenteil: an ihrem absoluten Mangel an Ambition. Als Folge entstehen landauf, landab Verwaltungsbanalitäten, die sich ökonomisch und funktional geben - obwohl sie einfach nur dumm und stillos sind. Wer die dazugehörigen Manager kennt, begreift die Zusammenhänge.

Das Problem der Baukultur unserer Zeit ist: Es gibt immer mehr Bauherren, öffentliche wie private (zu schweigen von der Immobilienwirtschaft und ihren stupiden Wohn- und Büroregalen) - aber es gibt unter diesen Bauherren immer weniger Eigenschaften, die einen Bauenden auch zum Herrn über das Geschehen berufen würden. Wer sich in die entsprechend besetzten Gremien begibt, der weiß, wovon die Rede ist.

Angesichts der vielfältigen aktuellen Strömungen der zeitgenössischen Architektur, angesichts ihrer technischen, ökonomischen, ökologischen, politischen und sozialen Implikationen, wäre man schon froh, hin und wieder einem Entscheider zu begegnen, der den Unterschied zwischen Satteldach und Walmdach oder die Zeitgenossenschaft von Palladio oder Hadid grob umreißen kann. Hadidwer? Genau.

98 Prozent ohne Architekten

Was man dagegen häufig antrifft: persönliche, unreflektierte, ja launenhafte Geschmacksurteile. Die Architekturdebatten unserer Zeit, ob zu Reichstagskuppel, Stadtschloss oder zu einem neuen Hochhaus für Frankfurt, sind damit überreichlich ausgestattet. Stil-Geschwätz bildet den Grundbass im Gespräch über die Architektur, die paradoxerweise zur bildmächtigsten (weil öffentlichsten und die Sehnsucht nach Signets und Signifikanz bedienenden) Leitkultur unserer Zeit werden konnte - ohne dass es ein entsprechendes öffentliches Wissen darum gäbe.

Aus dem gesellschaftlichen Kanon des anerkannten Wissens fällt die Baukunst, im Gegensatz etwa zu Literatur, Musik oder Film, schon lange heraus. Es verwundert daher auch nicht, dass von 100 privaten Wohnbauten 98 ohne die Architekten erbaut werden. Architektur ist eine Geheimwissenschaft - die jeder zu kennen glaubt. Und ein jeder will gerne Bauherr sein.

Vom König lernen

Die modernen Bauherren aber, die Repräsentanten des Kapitals und die der Demokratie, sind, was ihre Wirkmacht angeht, im Grunde die Erben des Feudalismus - gebändigt vom System demokratischer Machtteilhabe, aber auch befeuert vom globalistischen Furor. Deshalb ist die Frage interessant, ob der feudalere Bauherr von einst auch der bessere Bauherr war. Die Formenarmut, die mangelnde Ensemble-Fähigkeit und fehlende Patina-Tauglichkeit, dazu die Kurzlebigkeit heutiger Gebäude: Manches spricht dafür.

In dem kaum verbreiteten, aber lesenswerten Heft über "Elite" der BDA Informationen (so charmant gestaltet, dass die NZZ dagegen wie ein glamouröses Lifestyle-Magazin wirkt), hat Wilhelm Kücker dankenswerterweise einige staunenswerte Fundstücke der Baugeschichte, die immer auch eine Bauherren-Geschichte ist, zusammengetragen. Demnach haben sich die Feudalherren wie selbstverständlich in der Baukunst unterrichten lassen.

Kaiser Joseph I. ging beispielsweise bei Fischer von Erlach in die Bau-Schule: "alle Tage eine Stundt" ging es um "architectura civili et militari". Chambers unterrichtete König Georg III., Klengel ließ August den Starken Fassaden entwerfen - und Klenze ärgerte sich mit dem bayerischen Kronprinzen und späteren König Ludwig I. herum.

Klenze schrieb: "Ja wahrlich, an trüben Stunden fehlt es nicht, wenn man in dem Fürsten (. . .) solches Schwanken in der Kunst, solches gehalt- und bodenlose Detail-Einmischen in dieselbe bemerkt, welchem jeder Begriff von Poesie, Zweckmäßigkeit und Styl in architektonischen Dingen fehlt und welcher in dieser hohen Kunst nichts mehr als ein Mittel sieht, durch Dekoration im Sinne momentaner Eindrücke und Ansichten das Auge zu kitzeln."

Aus Ludwig I. wurde, Klenze sei Dank, ein großer Bauherr. Was aber seine Erben angeht, die Manager, Bürgermeister und ihre Gremien: Wahrlich, an trüben Stunden fehlt es den heutigen Architekten nicht.

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