Messestadt Riem:An der Realität vorbeigeplant

Halbfertige Plätze, kaputte Leuchtürme und zahnlose Mähroboter: In der Messestadt sind viele ambitionierte Ideen der Stadtplaner bis heute nicht aufgegangen.

Renate Winkler-Schlang

Schon viel zu lange unfertig ist der Willy-Brandt-Platz, das Zentrum der Messestadt Riem. Wer die überbreite Freitreppe des U-Bahnhofs Messestadt West herauf kommt und Olaf Metzels Kunstwerk "Nicht mit uns" links liegen lässt, hat Weite vor sich. Links das Hotel und geradeaus das Einkaufszentrum wollten die Architekten krönen mit einem Portikus, der oval den Platz optisch fasst. Vorne, an der Allee, wo die Säulen dafür in den Himmel ragen sollen, hat man Aussparungen im Boden nur provisorisch gepflastert.

Messestadt Riem: Herzstück der Messestadt: Die Riem Arcaden.

Herzstück der Messestadt: Die Riem Arcaden.

(Foto: Foto: Renate Winkler Schlang)

Doch rechterhand, gegenüber dem Hotel, fehlt seit Jahren schon das Gebäude, welches das luftige Laufband überm Platz mittragen müsste: Ein Multiplex-Kino hätte es sein sollen, so war es erdacht vor langer Zeit.

Anwohner wünschen sich einen Aldi

Damals boomten Multiplexe. Jetzt grassiert Kinosterben und kein Investor lässt sich zwingen. Weit mehr als ein Kino ersehnen die Bürger einen Aldi, doch diese Idee löste in der städtischen Planungsbehörde begreiflicherweise keinen Jubel aus. Zur Bundesgartenschau hat man die Fläche, anders als die Dauerbrache im Gewerbegebiet gegenüber der Messe, immerhin mit Gras und bunten Sperrholzwürfeln aufgemöbelt. Kinder kicken hier zentral.

"Unsere planerischen Ziele waren hoch gesteckt", sagt Münchens Stadtbaurätin Christiane Thalgott. Sie verweist darauf, dass der Stadtteil für 16000 Einwohner und 13000 Arbeitsplätze zwei Jahrzehnte braucht, um zu wachsen. "Da ist es völlig normal, dass nicht jede Konzeptidee der ersten Stunden eins zu eins umgesetzt werden kann und auch, dass sich die Rahmenbedingungen ändern und Anpassungen notwendig sind."

500 Millionen Euro will die Stadt in die soziale und technische Infrastruktur dieses neuen Stadtteils auf dem alten Riemer Flughafen investieren, finanziert zum Großteil aus den Grundstückserlösen, so das ehrgeizige Ziel.

Die meisten Bewohner sind zufrieden und nutzen, was problemlos gedieh, ganz selbstverständlich - etwa schöne Kindergärten, großzügige Grün- und Spielflächen. Doch in die Schlagzeilen geriet immer wieder einiges, was Bürgern, Planern und Steuerzahlern Ärger machte.

Thalgott übrigens bleibt gelassen und meint, dass man über viele Patzer der Pionierzeit heute nicht mehr spricht: "Man muss den Dingen auch Zeit geben."

Lesen sie auf den nächsten Seiten über ein Wahrzeichen, das zum Kabelgrab wurde.

An der Realität vorbeigeplant

Richtig geblinkt - beim Probebetrieb

Messestadt Riem: 86 Meter hoch, zehn Kilometer Kabel: Der Messeturm.

86 Meter hoch, zehn Kilometer Kabel: Der Messeturm.

(Foto: Foto: Renate Winkler-Schlang)

Die Messe hat einen Turm. Der ist von der Autobahn aus und weithin sichtbar und daher besser als nichts. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wäre es plangemäß ein Leucht-Turm geworden, ein Lichtobjekt, das mit 2,4 Millionen Leuchtdioden den neuen Tower zum gewünschten "Moving Tower" gemacht hätte.

Irgendwann hat er ja mal geblinkt: Anfang des Jahres 2000 meldete die SZ, dass die Kunst-am-Bau-Idee von Professor Franz Kluge den Probebetrieb überstanden habe. Im März vor sechs Jahren sollte es dann richtig losgehen mit Lichtkunst und leuchtender Edel-Eigenwerbung.

Nicht nur die in 20 Ringen angeordneten Dioden, sondern auch zwei Großdisplays, sechs Meter breit, vier Meter hoch, sollten in 40 Metern Höhe eine Ring-Infowand bilden: alles in allem ein "weltweit einzigartiges multimediales Versuchslabor".

Warum es nicht dauerhaft funktioniert hat, daran will sich die Messe heute am liebsten nicht mehr im einzelnen erinnern. "Technische Probleme" statt dramatischer Effekte. Jedenfalls haben die Leuchtdioden der Witterung nicht standgehalten und fielen nach und nach aus. Die Veränderung im Stromkreis führte zu Kabelbrand, nichts ging mehr, der Turm war tot.

Der Turm wird wohl für immer dunkel bleiben

Und das wird sich wohl auch nicht ändern lassen: Die Firma, die für die Umsetzung dieses Teils des Projekts zuständig war, gehöre zu dem zwischenzeitlich insolventen Konzern Babcock-Borsig. "Deshalb besteht keine Möglichkeit zur Reparatur", teilt die Messe mit. Die Messe-Baugesellschaft verfolge Schadensersatzansprüche und erwarte "aus der Konkursquote erhebliche Rückflüsse". Die Suche nach neuer Technik und anderen Herstellern dauerte lange, verlief aber im Sande.

Für Ärger hatte das Wahrzeichen jedoch schon vorher gesorgt: Die Ringe am 86 Meter hohen Werk sollen schwebend wirken, sind befestigt an Stahlseilen. Bereits 1998 hatten Techniker ein "Durchrutschen der Ringe am Seil" bemerkt. Gutachter bestätigten dem Turm zwar Standsicherheit.

Sie forderten aber das Einlegen von Hülsen in die Seilklemmen, was das Objekt, dessen endgültiger Preis (zirka 27 Millionen Mark) aufgrund der Streitigkeiten mit den Firmen immer noch nicht feststeht, jedenfalls um eine Million Mark verteuerte - und dem Turmbau zu Riem den Weg ins Weißbuch des Bundes der Steuerzahler bereitete.

Technische Daten? 8,65 Meter Durchmesser. 1850 Meter Seile verbaut, 2160Schrauben. Die Vertikalseile sind mit einer Kraft von 3600 Kilonewton nach unten in die Widerlager eingespannt. 450 Tonnen Stahl wurden verbaut. Unten ruht ein Rechner für die Lichtkunst. Zehn Kilometer Kabel liegen im Schaft und führen außen herum: ein Kabelgrab.

Auf der nächsten Seite: Die Geschichte eines teuren Hightech-Sees.

An der Realität vorbeigeplant

Messestadt Riem: Aus Kostengründen begrünt: Die Steinstufen am Riemer See.

Aus Kostengründen begrünt: Die Steinstufen am Riemer See.

(Foto: Foto: Renate Winkler-Schlang)

Schöner teurer Hightech-See

Es ist nicht bloß ein Baggersee: Im Riemer See steckt Hightech. Pumpen holen Grundwasser in eine Wanne, sodass die zwölf Hektar Wasserfläche dasselbe Niveau haben wie die Umgebung.

Die Planer hatten zuvor den Untergrund untersuchen lassen, dennoch kam es zu unliebsamen Überraschungen: Zu dichtes Gestein bedeutete mehr Bohraufwand. Und zu viel Grundwassergefälle machte anstelle von zwei drei Durchflussrohre auf dem 18 Meter tiefen Seeboden, so genannte Düker, notwendig.

Kostenexplosion geheimgehalten

In der Rückschau betrachtet war der eigentliche Skandal, dass der Maßnahmeträger MRG die Kostenexplosion nicht zügig nach oben meldete. Viele Krisensitzungen gab es, ehe der Stadtrat anstelle der geplanten 11,5 nun 17,3 Millionen Euro genehmigte, denn keiner wollte eine Bundesgartenschau ohne Badesee.

Sparen ließ sich nur noch an der Oberfläche: Also wurde die Steintreppe am Nordufer, das dem See urbanes Gepräge hätte geben sollen, deutlich verkürzt, die Stufen begrünt. Es sehe so schöner aus, fand die Stadtbaurätin. Und abgerechnet wurden "nur" 16,5 Millionen Euro.

Im vierten und letzten Teil: Ein begrüntes Parkhausdach wird zur technischen Herausforderung.

An der Realität vorbeigeplant

Zahnlose Mähroboter

Die Stadt wollte sich das schöne Dauergrün auf dem geneigten Dach des Park-and-Ride-Hauses, obzwar richtig leuchtend nur im Luftbild zu bewundern, etwas kosten lassen: 6325 Euro Unterhaltsaufwand hätte sie pro Jahr in Kauf genommen. Herausgestellt hat sich jedoch, dass die Pflege dieses schrägen Rasens den Haushalt mit 40000 bis 50000 Euro belastet.

Kleine, sich selbst aufladende Mäh-Roboter sollten die Halme mustergültig auf einer Höhe von zwei Zentimetern halten. Die Praxis zeigte: Bei Regen kommt eine solche Maschine aus dem Takt. Aber genau dann wächst das Gras schneller. Ab vier Zentimetern Höhe greifen die kleinen Mäher gar nicht mehr. Die automatische Bewässerung aber läuft weiter, die Halme werden robuster, die Mäher beißen sich endgültig die Zähne aus: Bis zu einem Meter hoch stand im Herbst das Unkraut.

Zu allem Unglück war eine der kleinen Maschinen gestohlen worden. Man musste Stacheldraht anbringen. Der schützte immerhin die Männer, die mit Sensen aufs früher aus ästhetischen Gründen geländerlose Dach mussten.

Auch die Bewässerung hatte Tücken: Man brauchte eine Brunnenanlage und zwei Hochleistungspumpen mit sehr viel Druck. Zu viel bei Wind: Dann wurden schon mal die Kunden nass. Außerdem schwemmte das Gießwasser einen Teil der Düngung weg. Nichts als Ärger also. Und richtig peinlich das Ganze. Der Stadtrat forderte Schadensbegrenzung.

Der neue Plan: Das Gras einfach verdorren lassen

Wolfgang Großmann von der P&R-Gesellschaft schrieb den Umbau des Daches zu "extensivem" Grün aus. So lautet der Fachausdruck dafür, wenn man die Natur ohne große Eingriffe einfach machen lässt. Von 30 Firmen haben zehn gleich abgewunken. Der Rest wird ausgewertet. Am besten gefällt Großmann das Konzept, das Gras verdorren zu lassen und darauf robusteres zu säen.

Die simple Idee werde nun geprüft. Zuerst aber muss die Rechtsabteilung des Kreisverwaltungsreferats noch klären, wie das ist mit dem Urheberrecht des Landschaftsarchitekten. In diesem Sommer jedenfalls hat man den Pflegeaufwand schon mal runtergefahren. Allerdings nicht zu sehr: "Wir durften ja keine vollendeten Tatsachen schaffen..."

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