Martin Walser:Der ewig Umstrittene

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Böll, Walser, Grass: Von den drei Ikonen der deutschen Nachkriegsliteratur hat Martin Walser stets am meisten über die Welt der Wirtschaft geschrieben.

Alexander Hagelüken und Harald Freiberger

Das Geld - und die Abhängigkeit davon - beschäftigten den 1927 Geborenen früh: Ob er als Jugendlicher das Geschäft seiner Mutter steuerte oder später versuchte, seinen Lebensunterhalt im Casino zu erspielen ("ich habe an einem Abend so viel verdient, dass ich eine Waschmaschine bestellt habe. Am nächsten Abend habe ich alles wieder verloren").

Das Scheitern am Leben: ein zentrales Thema bei Martin Walser. Neben Geld. (Foto: Archivfoto: ddp)

Seine Romane bevölkert er mit Vertretern, Immobilienmaklern, Chauffeuren und Spekulanten, ihren Sehnsüchten, Ängsten und Deformationen. Lustvoll wettert er gegen die Verachtung des Kulturbetriebs für die Geld-Welt: "Die Leute wollen wenig von der Wirtschaft wissen. Etwas gegen diese Entfremdung zu bewirken, erfüllt mich beim Schreiben." Politisch lässt er sich nie festlegen: Früh trommelte er für die SPD, später galt er als distanzierter DKP-Sympathisant, jetzt sagt er im Interview: "Das Eigentum an den Produktionsmitteln durch Aktienanlage? Warum nicht. Wahrscheinlich ist das der einzige Weg."

Was er für notwendig hält, sagt er ohne Rücksicht auf politische Korrektheit. 1988 stößt er mit seiner Aussage auf Widerspruch, er könne sich nicht mit der deutschen Teilung abfinden. Der Vorwurf, ein Rechter zu sein, wird von seinen Kritikern 1998 noch gesteigert: Da beklagt sich Walser über "die Instrumentalisierung von Auschwitz" und fragt, ob die Verwendung des Holocaust als "Moralkeule" nicht eher schade als nutze.

Es hilft ihm wenig, dass er den Nationalsozialismus immer ablehnte und gegen ein Vergessen der Geschichte anschrieb: Der damalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis, wirft ihm "latenten Antisemitismus" vor. Diese Anklage wird wiederholt, als er im Jahr 2002 kaum verhüllt mit dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki und dessen großer Macht abrechnet: Walsers Roman "Tod eines Kritikers" wird zum Skandal der Saison.

Herbe Urteile erntet Walser, seit er in den vergangenen Jahren in seinen Romanen häufig die Liebe alter Männer zu sehr jungen Frauen behandelt. Die FAZ betitelt ihre Kritik des Romans "Die Angstblüte" mit "Das Busenschlamassel", die Welt spricht von einem "künstlerischen Desaster". Offen wie noch nie spricht Walser im Interview über das Thema: "Manchen Menschen schenkt das Leben eine zweite Pubertät". Was seine persönlichen Erfahrungen betrifft, sagt er: "Gewisse Erfahrungen produzieren im Autor bestimmte Bücher. Du brauchst das, was Du schreibst, um die Wirklichkeit zu ertragen."

© SZ vom 22.02.2008/ang - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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