Logistik:Eben bestellt, schon geliefert

Logistik: Im Lager von Bergans: Auf den Würfeln, in denen sich die Ware befindet, sausen Roboter herum und holen "auf Befehl" die gewünschte Ware. Dann wird sie zu einem Schacht gebracht, der zu einem der Kommissionierplätze führt.

Im Lager von Bergans: Auf den Würfeln, in denen sich die Ware befindet, sausen Roboter herum und holen "auf Befehl" die gewünschte Ware. Dann wird sie zu einem Schacht gebracht, der zu einem der Kommissionierplätze führt.

(Foto: oh)

Immer schneller soll die Ware beim Kunden sein. Daher müssen die Lager nah an den Städten sein - und automatisiert. Ein Besuch im Verteilzentrum Norderstedt.

Von Sabine Richter

Große Laufleistungen werden den Mitarbeitern nicht abverlangt im Großlager des Sportbekleidungsherstellers Bergans in Norderstedt bei Hamburg - anders als in konventionellen Verteilzentren. Jacken, Pullover, T-Shirts und Accessoires werden hier nicht mehr in Fächern in Hochregalen sortiert, sondern per Scanner im System eingebucht und in Kästen, sogenannte Bins, in einem automatischen Kommissionierungssystem abgelegt. Algorithmen bestimmen, wo Plätze frei sind, häufig gefragte Produkte kommen nach oben.

Das Autostore-System, hergestellt vom norwegischen Anbieter Element Logic, sieht von außen aus wie ein Würfel, gut fünf Meter hoch, mit glatten Außenwänden. Drinnen zieht die Ware in einem der 23 000 etwa 45 mal 65 mal 33 cm großen Plastik-Behälter ihre Bahnen, bis sie gebraucht wird. Auf der Oberfläche des Würfels sausen mit großer Geschwindigkeit schwarz-rote Roboter herum, die durch leise Elektromotoren angetrieben werden. Sie holen "auf Befehl" des Computers die gewünschte Ware nach oben und fahren sie zu einem Schacht, der zu einem der Kommissionierplätze führt. Dort kommt dann ein menschlicher Mitarbeiter ins Spiel. Er entnimmt der Kiste die benötigten Mengen und macht die Bestellung versandfertig. Anschließend bringt der Roboter die Behälter wieder zurück in das Regal-System.

"Für jeden der zwölf Lager-Mitarbeiter kommen pro Stunde etwa 120 sogenannte Picks zustande, fünf mal so viel wie ohne das Autostore-System", sagt Kai Böckmann, Logistikleiter bei Bergans. Damit konnten vom Verteilzentrum Norderstedt im vergangenen Jahr 400 000 Artikel in 40 000 Paketen versandt werden. Nur für die sperrigen oder größeren Teile wie Zelte oder Kanus gibt es noch die klassischen Regalplätze.

Das hochautomatisierte Kommissioniersystem ist auch Ausdruck der gewachsenen Ansprüche an moderne Logistikanlagen. Immer schneller muss die Ware beim Kunden sein, immer rationeller der Versandprozess. Morgens bestellt, abends geliefert, wirbt unter anderem Amazon für seinen Abo-Dienst Prime. Die Zustellung am Tag der Bestellung wird eine feste Größe werden, sagen Fachleute.

"Die Service-Versprechen der Internet-Händler sind sportlich und werden noch sportlicher", bestätigt Jan Dietrich Hempel, Geschäftsführer Garbe Industrial Real Estate GmbH, die die Logistikanlage in Norderstedt geplant hat. Amazon etwa bietet in manchen Städten den Service an, eine Bestellung innerhalb nur einer Stunde auszuliefern. Viele Kunden wollten das und seien auch bereit, dafür zu zahlen. "Es gibt hier aber noch einen anderen Aspekt, den die Anbieter genau kennen, er lautet: je schneller die Lieferung, desto geringer die teuren Retouren", sagt Hempel.

Deshalb verändert der E-Commerce zusehends auch die Logistikimmobilie. "Die klassischen Zentrallagerkonzepte mit ihren riesigen Hallen für große Sortimente können diese Entwicklungen auf Dauer nicht abdecken", ist sich Hempel sicher. Drei Trends bestimmten die Entwicklung: "Eine schnelle Bedienung der Kunden, die Konvergenz der Vertriebskanäle und die Automatisierung."

Das Tempo der Auslieferung beeinflusst die Lage eines Verteilzentrums. Für die neuen Service-Anforderungen werden andere Standortkonzepte benötigt - von Auslieferungslagern in der Fläche bis hin zu Same-Day-Delivery-Standorten in den Städten. Die reinen Fahrtzeiten auf zunehmend belasteten Strecken haben physische Grenzen, also rücken die Verteillager näher an die Kunden und an die großen Ballungsgebiete heran.

Zentrale Logistik-Hochburgen mitten in Deutschland könnten bald ausgedient haben

"Da das Internetgeschäft in der Summe stark gestiegen ist, fällt die Regionalisierung auch leicht, weil es unwirtschaftlich wird, riesige zentrale Standorte zu betreiben", sagt Hempel. Natürlich spielten Angebot und Preis von Grundstücken und Arbeitskraft hier ebenfalls eine große Rolle. Bisherige Logistik-Hochburgen wie Bad Hersfeld oder Erfurt, für die sich Amazon und Zalando wegen der Lage mitten in Deutschland entschieden haben, hätten keine große Zukunft mehr.

"Das Zusammenwachsen von Onlinevertrieb und stationärem Handel erfordert hybride Immobilienlösungen, die unter einem Dach den Nachschub für die Filialen und die Belieferung der Onlinekunden sichern, also eine Anlage, aus der Paletten und auch kleine Pakete rausgehen und auch Retouren bearbeitet werden", erklärt Hempel. Die bisherige Unterteilung von palettenbasierter Filiallogistik und der auf den Paketversand ausgerichteten Onlinelogistik werde dieser Konvergenz nicht mehr gerecht. Das Online-Logistikzentrum der Zukunft werde eine Kombination aus flexiblem Hochregallager und flachem Hallenraum für die Zusammenstellung der Sendungen sein. Erste Mittelständler, darunter das Textilunternehmen Ernsting's family, machen bereits aus einer Immobilie heraus E-Commerce, Filialbedienung und Retouren-Bearbeitung.

Mobile Bestellungen über Smartphone oder Tablet seien weitere Treiber dieser Prozesse, weil mit der stetigen technischen Weiterentwicklung der Geräte auch das mobile Marketing zunimmt und zu Impulskäufen anregt.

Nah am Kunden müssen auch die Onlineversender von Lebensmitteln sein, denn hier dürfte Same Day Delivery weitgehend Standard werden. Die Ankündigung Amazons, deutschlandweit in den Onlinehandel mit frischen Lebensmitteln einzusteigen, bringt dem Thema neuen Schwung. Allerdings basteln alle großen und viele kleine innovative Anbieter schon lang an Themen wie Hygiene, Kühlung, Verpackung und Verpackungsentsorgung. "Die deutschen Verbraucher zögern noch, aber wenn die Dinge einmal in Gang kommen, wird sich der Markt erdrutschartig entwickeln. Das wird ein neuer Wachstumstreiber und eine Herausforderung für den Logistikimmobilienmarkt", prognostiziert Hempel. Deshalb feilt sein Unternehmen zusammen mit Kunden bereits an neuen Lösungen für die Kühllogistik für Fleisch und Gemüse. "Vermutlich werden dafür regionale Läger modifiziert oder, wie Amazon plant, ganz neu errichtet."

Auch beim letzten Schritt, der Zustellung an den Endkunden, gibt es immer neue Optionen, um die Wünsche einer immer anspruchsvoller werdenden Kundschaft zu bedienen.

Paketshops und Packstationen sind nur noch das Rückgrat der Zustellernetze. Zu den neuen Formen und Formaten zählen Paketkästen und Paketbutler, eine abschließbare Tasche, die an der Wohnungstür befestigt wird, mobile Paketkästen im Kofferraum von Autos, Paketshops in Kiosken von U-Bahn-Stationen. Shell und Amazon testen seit Juli sogenannte Amazon- Locker an zehn Shell-Stationen, Hermes in Hamburg einen Zustellroboter der Firma Starship.

Nur geringe Chancen werden der spektakulärsten aller Zustellformen, der Drohne eingeräumt, auch wenn Google, Amazon, Wal-Mart oder die Deutsche Post davon träumen. Ein Versuch von Deutschlands größter Floristenkette Blume 2000 scheiterte an zu viel Wind. "Ein hübscher Gedanke und PR-Gag", urteilt Logistikfachmann Jan Dietrich Hempel. "In einem so hoch geregelten und dicht besiedelten Raum wie Deutschland glaube ich nicht, dass sich das in absehbarer Zeit durchsetzt."

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