Lehman: Kampf um Entschädigung:Verkaufte Verluste

Verbraucherschützer sind entsetzt: Die Pleitebank Lehman Brothers will Verpflichtungen aus Derivaten verkaufen. Inhaber von Zertifikaten sollten schnell widersprechen.

Markus Zydra

Besitzer von Lehman-Zertifikaten müssen aufpassen. Die insolvente US-Investmentbank will ihre Verpflichtungen aus Derivategeschäften an andere Investoren verkaufen. Deutsche Sparer sollten der Abtretung widersprechen, empfehlen Experten. Sonst könne die Entschädigung geringer ausfallen.

Lehman: Kampf um Entschädigung: Plakat eines enttäuschten Lehman-Kunden: Die insolvente Bank will ihre Verpflichtungen aus Derivategeschäften verkaufen.

Plakat eines enttäuschten Lehman-Kunden: Die insolvente Bank will ihre Verpflichtungen aus Derivategeschäften verkaufen.

(Foto: Foto: dpa)

Das New Yorker Insolvenzgericht Southern District hat Lehman Brothers gestattet, die Verpflichtungen aus seinen Derivatgeschäften an Dritte weiterzugeben, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg. "Es sei denn, die Betroffenen widersprechen", so der zuständige Richter James Peck in seiner Entscheidung.

Die Entscheidung trifft auch Lehman-Kunden in Deutschland, die Zertifikate der Bank gekauft haben. Betroffene könnten demnächst einen Brief vom Insolvenzverwalter der US-Investmentbank erhalten. In dem Schreiben würde dann mitgeteilt, dass Lehman Brothers seine Verpflichtung gegenüber dem Privatanleger anderen Investoren übertragen will. Wenn Sparer nicht binnen einer festgelegten Frist widersprechen, müssten sie die Ansprüche beim neuen Besitzer der Verpflichtungen geltend machen.

Klage gegen Vertriebsbanken geprüft

"Anleger sollten widersprechen", rät der Münchner Rechtsanwalt Peter Mattil, der davon ausgeht, dass deutsche Sparer von diesen Abtretungsplänen betroffen sind. "Dadurch erhöht sich die Chance, mehr Geld aus der Insolvenzmasse von Lehman zu erhalten." Lehman Brothers stärke durch die Weitergabe der Derivate seine Kapitalbasis, weil so die Verbindlichkeiten zurückgingen. Das erhöhe, so Mattil, automatisch die Insolvenzmasse, aus der auch die deutschen Sparer entschädigt werden. Es sei darüber hinaus fraglich, ob bei dem neuen Besitzer etwas zu holen sei.

Rund 40.000 deutsche Sparer haben zwischen 500 und 800 Millionen Euro in Lehman-Zertifikate investiert. Diese Inhaberschuldverschreibungen sind nahezu wertlos, seit Lehman Brothers am 15. September Insolvenz angemeldet hat. Das Durchschnittsalter der Sparer liegt bei 64 Jahren, so die Verbraucherzentrale Hamburg. Im Schnitt habe jeder Anleger rund 20.000 Euro investiert.

Viele Rechtsanwälte prüfen derzeit Klagen gegen die Vertriebsbanken, bei denen Sparer die Lehman-Papiere erworben haben. Der Vorwurf lautet auf Falschberatung. Die Papiere seien von den Finanzberatern als sichere Anlage verkauft worden, obwohl - anders als bei Festgeld und Fonds - die Pleite der emittierenden Bank auch zum Totalverlust führen kann.

Neben den möglichen Schadenersatzforderungen gegen die Berater steht den Sparern auch eine anteilige Entschädigung aus der Insolvenzmasse von Lehman Brothers zu. Wie hoch diese Summe ausfällt, ist noch unbekannt. Die verbliebenen Vermögenswerte der US-Bank werden derzeit verkauft, um die Kapitalbasis für die Auszahlung der Gläubiger zu stärken - auch Zertifikatebesitzer sind Gläubiger, sie haben Lehman Brothers mit dem Kauf des Wertpapiers faktisch Geld geliehen.

Einmaliger Vorgang

Die Gerichtsentscheidung, dass Lehman die Derivate abgeben dürfe, gilt in Fachkreisen als einmalig. "So wird eine jahrzehntealte Architektur für Derivate über Bord geworfen", sagte Peter Shapiro, Direktor der Swap Financial Group gegenüber dem US-Fachblatt Bond Buyer. Eigentlich sollte die Gegenseite Einfluss darauf haben, an wen die Forderungen abgetreten werden - und nicht die insolvente Bank.

Nun wird der Insolvenzverwalter von Lehman Brothers in den nächsten Wochen und Monaten Abnehmer für die Verpflichtungen aus den Derivategeschäften suchen. Lehman wird in einigen Fällen dafür bezahlen müssen. Die Bank tritt so ihre derivativen Geschäftsverpflichtungen ab, die die Bilanz belasten.

Sobald ein Interessent gefunden ist, wird der Anleger schriftlich informiert. Investoren müssen dem geplanten Wechsel des Anspruchsgegners innerhalb von zehn oder 20 Tagen widersprechen, so das New Yorker Insolvenzgericht. Ursprünglich hatte Lehman Brothers nur eine Widerspruchsfrist von fünf Tagen angeboten. Ob dieser Widerspruch vorformuliert ist und nur eine Unterschrift braucht, oder ob der Zertifikateinhaber das Ganze selbst aufsetzen muss, zeigt sich erst, wenn das Schreiben da ist.

"Anleger müssen ihre Briefe öffnen, auch wenn das Schreiben in Englisch verfasst ist", sagt Mattil, was eigentlich wie eine Selbstverständlichkeit klingt. "Ich erlebe aber häufig, dass die Sparer den Kopf in den Sand stecken und problematische Post ignorieren."

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