Leben ohne Bankkonto:Gefangen in der Abwärtsspirale

Jede Überweisung kostet zehn Euro und Vermieter lächeln nur kalt: 500.000 Deutsche leben ohne Bankkonto - oft unter dem Existenzminimum.

Maike Brzoska

Früher habe er von anderen Dingen geträumt, sagt Michael Hihn. Einen 5er BMW wollte er fahren, Urlaub auf den Malediven machen, Schmuck kaufen. Nicht mal zwei Jahre ist das her. Heute antwortet er auf die Frage, was er sich für die Zukunft wünsche: "Essen, Licht, Heizung, ein Konto." Wie konnte es so weit kommen?

Girokonto, Foto: dpa

Eine halbe Million Menschen in Deutschland haben kein Girokonto - für die Betroffenen entsteht ein Teufelskreis.

(Foto: Foto: dpa)

Michael Hihn war seit 2004 selbständiger Bodenleger. Es lief gut, er machte 100.000 Euro Umsatz im Jahr, nahm Kredite auf, um Werkzeug und Lieferanten vorzufinanzieren. 2006 dann der Schock: Lymphknotenkrebs, 50 Prozent Überlebenschance. Hihn verbrachte ein halbes Jahr im Krankenhaus - und besiegte den Krebs. Finanziell gesehen ging es von da an bergab. Forderungen von Finanzamt und Lieferanten warteten auf ihn. Sein Gewerbe hatte er während der Zeit im Krankenhaus nicht abgemeldet, vielleicht war das ein Fehler. Auf rund 15.000 Euro summierten sich seine Schulden. Vor der Krankheit wäre das vermutlich keine große Sache gewesen, aber so kurz danach brachte er als Handwerker nicht die volle Leistung. Seine Kredite konnte er nicht rechtzeitig bedienen.

2008 pfändete das Finanzamt dann sein Bankkonto, einige Wochen später kündigte ihm die Deutsche Bank das Konto. Als Bodenleger zu arbeiten, war von da an kaum mehr möglich. Hihn konnte Material nicht vorfinanzieren, auch wollten viele Kunden nicht bar bezahlen, vielleicht fanden sie das unseriös. "Aus heutiger Sicht war ich damit endgültig gefangen in der Abwärtsspirale", sagt Hihn.

Rund eine halbe Million Menschen in Deutschland haben unfreiwillig kein Bankkonto, schätzen Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungen. Die häufigsten Gründe dafür sind Kontopfändung und Einträge bei der Schufa, sagt Marius Stark, Sprecher der Caritas Schuldnerberatung. Die Schufa sammelt Informationen darüber, wie kreditwürdig eine Person ist. "Menschen ohne Bankkonto sind vom normalen Wirtschaftsleben ausgeschlossen", sagt Stark. Man bekomme heute doch keinen Telefonvertrag mehr ohne eine Kontoverbindung, geschweige denn eine Wohnung oder einen Job. "Erklären sie ihrem potenziellen Arbeitgeber mal, dass er ihnen den Lohn bar auszahlen muss."

"Unter dem Existenzminimum"

Ohne Bankkonto zu leben ist teuer. Jede Überweisung auf ein fremdes Konto muss bei der Bank bar eingezahlt werden, zehn Euro kostet das bei den meisten Instituten. Miete, Nebenkosten, Tilgungen - fünfzig Euro sind Anfang des Monats gleich weg von dem Arbeitslosengeld, das Hihn seit 2009 bekommt. Die Stromrechnung begleicht er direkt am Einzahlautomaten der Stadtwerke. Wenn er genügend Geld übrig hat.

"Menschen ohne Konto leben oft unter dem Existenzminimum", sagt Klaus Hofmeister, Chef der Schuldnerberatung in München. Neben den Kosten für Überweisungen behält auch die Bundesagentur für Arbeit ein paar Euro ein, wenn sie das Arbeitslosengeld bar auszahlen muss. Andere ließen sich das Geld auf das Konto von Eltern oder Freunden überweisen. Damit machten sich diese allerdings strafbar, sagt Hofmeister. Probleme gebe es auch, wenn das Konto ebenfalls gepfändet wird. Dann spiele es keine Rolle, wem wie viel Geld auf dem Konto gehört. "Der rechtmäßige Kontoinhaber hängt mit drin", so Hofmeister.

Hihns Mutter und sein damaliger Lebenspartner sind vom Finanzamt darauf hingewiesen worden, dass die Nutzung des Kontos durch jemand anderen als den Inhaber strafrechtliche Folgen hat, erzählt er. "Wie ein Aussätziger habe ich mich gefühlt." Er hat versucht, bei anderen Banken ein Konto zu eröffnen, bei der Sparda-Bank, der Stadtsparkasse, der Hypo-Vereinsbank - keine Chance.

Hoffen auf das P-Konto

Eigentlich sollte es Fälle wie Michael Hihn gar nicht geben. 1995 haben sich alle Banken und Sparkassen verpflichtet, jedermann ein Konto auf Guthabenbasis anzubieten, also ein Konto, das der Inhaber nicht überziehen kann. Ausnahmen sind allerdings möglich, etwa wenn ein Kunde in der Bank randaliert oder pöbelt. Michaela Roth, Sprecherin des Zentralen Kreditausschusses (ZKA), der Interessenvertretung der Banken, sagt, dass es vielfältige Gründe gebe, warum ein Konto nicht gewährt wird. Bei einer Ablehnung erhalte der Bürger eine schriftliche Begründung und werde gleichzeitig auf die Schlichtungsstellen hingewiesen. Dort vermitteln Ombudsleute zwischen Bank und Kunde. Auch beim ZKA selbst können Verbraucher sich beschweren, wenn sie von der Bank abgewiesen werden, sagt Roth.

Schuldnerberater kritisieren hingegen, dass die Schlichtersprüche der Ombudsleute nicht verbindlich für Banken sind. Für sie ist die Selbstverpflichtung gescheitert, Abhilfe schaffen könne nur ein gesetzlich verankertes Recht auf ein Guthabenkonto. "Anders funktioniert es nicht", sagt Stark.

Aus dem Bundesfinanzministerium heißt es dazu, ein solches Gesetz sei zwar nicht geplant, aber das Problem sei bekannt. Man hoffe, dass sich die Situation durch das P-Konto entschärft. Gemeint ist das Pfändungsschutzkonto, das es ab Juli dieses Jahres geben wird. Bei dem P-Konto bleiben dem Inhaber monatlich knapp 1000 Euro, die nicht gepfändet werden dürfen. Das soll sicherstellen, dass Ausgaben wie Miete, Essen und Strom weiter bezahlt werden können.

Erfolg bei der Dresdner Bank

Der Antrag, ein normales Konto in ein P-Konto umzuwandeln, kann noch während der Pfändung gestellt werden. Die Bank darf das P-Konto nicht kündigen, solange es genutzt wird und der Inhaber die Gebühren dafür zahlt. "Die Bundesregierung versucht das Problem durch die Hintertür zu lösen, ob das funktioniert, muss sich aber erst noch zeigen", sagt Hofmeister.

Auf Michael Hihn wurde der Druck in den vergangenen Monaten immer größer. Er ist mit mehreren Mieten im Rückstand, zwei Mal ist die Räumung der Wohnung schon aufgeschoben worden. Für 40 günstigere Wohnungen habe er sich in den vergangenen Monaten beworben, bei keiner hat es geklappt. "Kein Vermieter will die Miete bar in die Hand gedrückt bekommen", sagt Hihn. Weil er nicht mehr weiter wusste, hat er sich Hilfe bei Beratungsstellen geholt. Das Sozialamt unterstützt ihn jetzt bei der Wohnungssuche. Die Schuldnerberatung München hat ihn ermutigt, sich weiter um ein Konto zu bemühen. Er solle auf die Selbstverpflichtung pochen.

Hihn ist also wieder bei Banken vorstellig geworden, nach einigen Absagen hieß es bei der Dresdner Bank, man wolle ihm ein Guthabenkonto einrichten, trotz Schulden und Schufa-Eintrag. Hihn konnte das zuerst nicht glauben. "Ich dachte, wenn die meine Finanzen prüfen, sagen die noch ab." Doch vor ein paar Tagen kam dann ein Brief mit der EC-Karte für sein neues Konto. Gefreut wie ein kleines Kind habe er sich, sagt Hihn. Vielleicht ist damit die Abwärtsspirale gestoppt.

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