Lafontaine im SZ-Interview:"Investmentbanker sind kriminell"

Oskar Lafontaine über seine Reformvorschläge für die Finanzmärkte und warum er schon vor zehn Jahren alles besser wusste.

D. Brössler und A. Hagelüken

Als Oskar Lafontaine, 65, 1999 als Finanzminister zurücktrat, feierte die Börse. Heute sagt er: "Die Märkte funktionieren nicht mehr" und fordert ein Milliardenprogramm für die Konjunktur und dass die Regierung Hedgefonds und den Handel mit verbrieften Papieren verbietet. "Man muss das Finanzcasino schließen."

Lafontaine im SZ-Interview: "Die Maßstäbe stimmen nicht mehr", sagt Oskar Lafontaine

"Die Maßstäbe stimmen nicht mehr", sagt Oskar Lafontaine

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Herr Lafontaine, welche Aktien besitzen Sie?

Lafontaine: Ich will Ihnen keine falschen Tipps geben. Ich würde aber raten, auf sichere Anlagen zu setzen.

SZ: Sie haben mit der Börse noch alte Rechnungen offen: Als Sie 1999 als Finanzminister zurücktraten, schossen die Kurse in die Höhe.

Lafontaine: Das war verständlich. Die Investmentbanker und Hedgefondsmanager kannten meine Vorschläge für das internationale Finanzsystem: feste Wechselkurse zwischen den Währungen, Kontrolle des Kapitalverkehrs und Austrocknen der Steueroasen. Deshalb haben die Sektkorken geknallt, als ich ging.

SZ: Haben Sie das Gefühl, dass Sie damals die Krise vorausgesehen haben?

Lafontaine: Warnungen vor den Übertreibungen der Märkte gibt es seit über 20 Jahren. Ich habe auch gewarnt und als Finanzminister Vorschläge zur Regulierung gemacht. Aber die meisten waren anderer Meinung: Der damalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer erklärte den Politikern, sie seien der Kontrolle der Finanzmärkte unterworfen. Und Joschka Fischer meinte, man könne gegen die Märkte keine Politik machen. Und so nahm das Unheil seinen Lauf. . .

SZ: Haben Sie damals wirklich die richtigen Dinge vorgeschlagen? Beim Austrocknen der Steueroasen stimmte Ihnen jeder zu, die Frage ist die Durchsetzung. Und feste Wechselkurse diskutiert zurzeit niemand, weil Währungsschwankungen nicht das Problem sind.

Lafontaine: Die Spekulation mit Währungen bleibt ein großes Problem. Deshalb brauchen wir wieder feste Wechselkurse zwischen den Leitwährungen. So sieht das auch der Währungsspezialist und Nobelpreisträger Robert Mundell.

SZ: Das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse wurde Anfang der siebziger Jahre aufgegeben. Seitdem erlebte die Weltwirtschaft einen Boom.

Lafontaine: Die Asienkrise 1997/98 war das Ergebnis von Währungsspekulationen, ebenso die Krise in Lateinamerika zwei Jahre später. Und die Volkswirtschaften, die nach solchen Krisen zu festen Kursen übergingen, wie China und Indien, wachsen am schnellsten.

SZ: Sie fordern wegen der Finanzkrise einen geistig-moralischen Umbruch. Ist das die Chiffre für Sozialismus?

Lafontaine: Es geht um die Gerechtigkeit, ohne die es keinen Zusammenhalt der Gesellschaft gibt. Bankmanager wie Herr Ackermann fordern 25 Prozent Rendite. Ein Bankkunde würde für eine solche Forderung ausgelacht. Da sehen Sie, dass die Maßstäbe nicht mehr stimmen.

SZ: Da stimmen Ihnen viele Menschen zu. Aber wie machen Sie es besser?

Lafontaine: Die Regierung muss hochspekulative Hedgefonds, den Schrotthandel mit verbrieften Papieren und die Auslagerung von Risiken in Zweckgesellschaften verbieten.

SZ: Verbietet man damit nicht auch sinnvolle Mechanismen, Preise für Güter und Wertpapiere zu finden, auf denen die Marktwirtschaft und damit unser Wohlstand basiert?

Lafontaine: Die letzte Zeit zeigt, dass die Märkte nicht mehr funktionieren.

SZ: Sie wollen Banken weitgehend auf das Einlage- und Kreditgeschäft beschränken. Damit kastrieren Sie die Branche so, dass sie ihre Funktion für die Marktwirtschaft nicht erbringen kann.

Lafontaine: Man muss das Finanzcasino schließen. Der Finanzsektor ist aufgrund der neoliberalen Ideologie so dereguliert worden, dass überhaupt keine Regeln mehr da sind, um die wildesten Spekulationen zu verhindern. Sorgen über zu viel Regulierung sind derzeit wirklich nicht angebracht.

Im zweiten Teil erklärt Lafontaine, warum die Landesbanken seiner Ansicht nach versagt haben.

"Investmentbanker sind kriminell"

SZ: Scharfe Kontrolle ist absolut nötig. Wenn der Staat aber der Wirtschaft alles haarklein vorschreibt und gar noch selber Unternehmen betreibt, ist das in der Geschichte meist schiefgegangen. Sie stülpen doch einfach Ihre überholte Ideologie über ein aktuelles Problem.

Lafontaine: Finanzmärkte funktionieren anders als Gütermärkte. Das müssen Sie endlich verstehen. Die Menschen sind seit Jahren Opfer einer falschen Ideologie: Die Finanzbranche schreibt dem Staat vor, was er zu tun hat. Ein Staat, der sich dem unterwirft, bekommt die Probleme, die wir jetzt erleben. Die Diktatur des Monetariats ist auch nicht besser als die des Proletariats.

SZ: War die Rettung der Hypo Real Estate (HRE) richtig?

Lafontaine: Die Liquidität der Bank musste gesichert werden. Falsch aber ist es, wenn Finanzminister Steinbrück die Forderung der Branche zurückweist, die Bank zu verstaatlichen. Wenn der Steuerzahler Geld gibt, muss er auch an den Entscheidungen und den möglichen späteren Gewinnen beteiligt sein. Andere Staaten sind da klüger.

SZ: Die Steuerzahler sollen ja Geld aus dem Teilverkauf der HRE erhalten. Wenn die Regierung dagegen die Bank verstaatlicht, wird es vielleicht noch teurer für die Steuerzahler. Das zeigen doch die Landesbanken: Staatlich kontrollierte Institute murksen oft ohne Ende.

Lafontaine: Die Landesbanken haben versagt, weil ihnen unseriöse Spekulationsgeschäfte von Politikern wie Steinbrück, Huber und Milbradt erlaubt oder aufgedrückt wurden. Aber so schlimm wie die Privatbanken in der Wall Street haben sie es nicht getrieben.

SZ: Was macht Sie so sicher, dass der Staat alles besser macht? Sie und andere Politiker sitzen im Verwaltungsrat der staatlichen KfW-Bank, deren Tochter IKB wegen Fehlspekulationen mit acht Milliarden Euro Steuergeldern gerettet wurde. Offenbar haben Sie und andere nicht frühzeitig darauf gedrängt, das Geschäftsmodell der IKB zu überprüfen.

Lafontaine: Das ist typisch. Macht eine Privatbank wie die IKB Pleite, schieben die Ideologen der Politik die Schuld zu. Diese Jacke muss sich höchstens Finanzminister Steinbrück anziehen, dessen Staatssekretär im IKB-Aufsichtsrat saß. Im Übrigen habe ich im KfW-Verwaltungsrat darauf gedrungen, der IKB keine Milliarden hinterherzuwerfen.

SZ: Wenn es wirklich wichtig ist, sind Sie Marktwirtschaftler?

Lafontaine: Sehen Sie! Die größte Schuld am IKB-Desaster trägt doch der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI, der nur auf Marktwirtschaft setzt, wenn es den Gewinnen nutzt. Die Rolle von BDI und Finanzwirtschaft bei der IKB muss ein Untersuchungsausschuss klären. Mich besorgt, dass die FDP laut Handelsblatt keinen Ausschuss will, weil sie um Wahlkampfspenden fürchtet.

Im dritten Teil geht es um die Frage, ob Lafontaine bei der enscheidenden Sitzung zur Lehman-Panne fehlte.

"Investmentbanker sind kriminell"

SZ: Herr Verwaltungsrat Lafontaine, die IKB-Mutter KfW ist selbst ein Saftladen: Am Tag der Lehman-Pleite haben die Staatsbanker noch 350 Millionen überwiesen, die verloren sind. Die Politiker machen doch bei der Kontrolle der KfW keine gute Figur.

Lafontaine: Falsch. Nach der Panne hat der Verwaltungsrat sofort gehandelt und die Verantwortlichen gefeuert.

SZ: So weit wäre es nicht gekommen, hätten da fähigere Leute gesessen.

Lafontaine: Wo sind die fähigen Leute - bei Lehman Brothers, bei Merrill Lynch, bei HRE oder bei der BayernLB?

SZ: In der entscheidenden Sitzung des Verwaltungsrats zur Lehman-Panne fehlten Sie. Sie fordern ständig mehr Staat und bessere Aufsicht, aber wenn es ernst wird, sind Sie nicht da.

Lafontaine: Bei den entscheidenden Sitzungen, bei denen es um die Rettung der IKB ging, war ich dabei. Hätte man auf mich gehört, ginge es der KfW viel besser. Bei der Sitzung, bei der über die Entlassung der Vorstände und den IKB-Verkauf abgestimmt wurde, war ich im bayerischen Wahlkampf. Ich hatte vorher öffentlich gefordert, die mit vielen Steuer-Milliarden gerettete IKB nicht an eine Heuschrecke zu verkaufen. Aber die große Koalition wollte es anders. Die Entscheidungen trifft im Übrigen praktisch allein der Präsidialausschuss, in dem vor allem Glos, Steinbrück und Koch das Sagen haben.

SZ: Tja. Und Sie glauben wirklich, dass Politiker bei künftigen Krisen schneller als Marktsubjekte wissen, was zu tun ist?

Lafontaine: Die Subjekte auf dem Finanzmarkt sind eher kriminelle Subjekte. In den USA ermittelt das FBI. Durch die irren Summen, die Hedgefondsmanager und Investmentbanker verdienten, sind sie zu kriminellen Handlungen verführt worden. Deshalb ist der Staat die verlässlichere Institution als das Casino.

SZ: Bei der Deutschen Bank haben jahrelang die Investmentbanker einen großen Teil des Gewinns geliefert. Würden Sie die auch als kriminell bezeichnen?

Lafontaine: Alle Investmentbanker, die durch fahrlässiges Handeln ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben, sind kriminell. Und speziell zur Deutschen Bank, deren Chef jetzt als Erster nach dem Staat gerufen hat: Sie rudert über die Beteiligung an der Postbank gerade zurück ans andere Ufer und sucht wieder das solide Geschäft mit vielen Privatkunden.

SZ: Sie fordern ein Milliardenprogramm für die Konjunktur. Wann und wo hat das jemals wirklich funktioniert?

Lafontaine: Auf der ganzen Welt gibt es viele Beispiele, wie das funktioniert. Der Nobelpreisträger Robert Solow fordert ein solches Konjunkturprogramm auch für Europa. Da sollte selbst Kanzlerin Merkel begreifen, dass die Zeit der ruhigen Hand vorbei ist. Wir brauchen jetzt Lohn- und Rentenerhöhungen über der Preissteigerung, Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie Zinssenkungen der EZB.

SZ: Erwarten Sie wegen der Krise Rückenwind für den Kampf gegen den Neoliberalismus, wie Sie es nennen?

Lafontaine: Viele Arbeitnehmer, Rentner und Hartz-IV-Empfänger verstehen nicht, wenn die Regierung Merkel für die Pleitebanker sofort Milliarden bereitstellt, aber zugleich für Lohnzurückhaltung plädiert, eine Rentenkürzung nach der anderen beschließt und die Verbesserung sozialer Leistungen verweigert. Im Übrigen bin ich skeptisch. Die Tatsache, dass jene, die sich früher dem Diktat der Finanzmärkte unterworfen haben, jetzt anders reden, sagt noch lange nicht, dass sich wirklich etwas ändert. In den USA soll der Investmentbanker Hank Paulson als Finanzminister den Weg aus der Krise weisen. Das ist so, als machte man den Chef eines Drogenrings zum Beauftragten gegen den Rauschgifthandel.

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