Kurioses von der US-Immobilienblase:Rache eines Gepfändeten

"Wir haben gar keine Hypothek": Warren Nyerges' Haus in Florida war voll bezahlt, sogar in bar. Doch dann wollte die Bank das Anwesen versteigern - aller guten Argumente zum Trotz. Wie sich ein Amerikaner erfolgreich zur Wehr setzte - und zum Volkshelden wurde.

Malte Conradi

Warren Nyerges fühlte sich auf der Gewinnerseite. Hatte er doch alles richtig gemacht. Seinen Job bei der Polizei im verregneten Cleveland hatte er hingeschmissen und sich für ein langes warmes Rentnerdasein mit seiner Frau Maureen im ewig sonnigen Florida niedergelassen.

File image of  Bank of America office in Burbank California

Filiale der Bank of America: Mit wem Warren Nyerges auch sprach, die Bankangestellten, die Juristen, die Offiziellen hielten ihn für einen Pleitier, der sich mit allerlei Tricks aus seiner Hypothek winden will

(Foto: REUTERS)

Als 2009 quer durch die USA Immobilienkäufer ihre Hypotheken nicht mehr bedienen konnten, war es plötzlich erschwinglich, das Haus mit den Palmen im Vorgarten in der wohlhabenden Küstenstadt Naples, nicht weit vom Strand am Golf von Mexiko. Die Bank of America suchte einen Käufer, der vorherige Besitzer hatte seine Raten nicht mehr zahlen können. Eine historische Chance, dachte Warren Nyerges. 250 Quadratmeter für 165.000 Dollar, für den damals 45-Jährigen wurde ein Traum wahr.

"Nichts als Spaß" habe er in den ersten vier Monaten gehabt, erinnert sich Nyerges. Er säte im Garten Rasen aus und strich das ganze Haus in frischer Farbe. Doch im Februar 2010 - in Cleveland lag noch Schnee auf den Straßen, in Naples fielen die Temperaturen nicht unter 24 Grad - klopfte ein Mann an Warren Nyerges' Tür und legte den Traum vom ewigen Sommer auf Eis. Der Besucher teilte Nyerges mit, dass die Bank das Haus versteigern würde. Er habe seine Hypothek nicht bezahlt. Nyerges erinnert sich noch genau an seine erste Reaktion: "Sie müssen sich im Haus geirrt haben", sagte er, "wir haben gar keine Hypothek." Nyerges hatte seinen Traum bar bezahlt, der Kaufvertrag bewies es.

Doch was er für eine harmlose Verwechslung hielt, die schnell aufgeklärt sein würde, zog 18 Monate voll mit frustrierenden Telefongesprächen, endlosem Papierkram und Gerichtsterminen nach sich. Die Bank glaubte seinen Beteuerungen und seinen Verträgen nicht. Sie vertraute nur auf ihre eigenen fehlerhaften Formulare. Nyerges fand sich plötzlich auf der Verliererseite des Immobilienmarkts wieder. Mit wem er auch sprach, die Bankangestellten, die Juristen, die Offiziellen hielten ihn für einen Pleitier, der sich mit allerlei Tricks aus seiner Hypothek winden will. "Zahlen Sie endlich Ihre Raten", rieten sie ihm.

Mit dem Lkw zur Bankfiliale

Erst vor Gericht wurde schließlich festgestellt, dass Warren Nyerges tatsächlich keine Verpflichtungen gegenüber der Bank of America hatte. Deren Angestellte entschuldigten sich wortreich bei ihm, eine Erklärung für das Desaster hatten sie nicht. Auf mysteriösen Wegen war Nyerges' Name auf den Hypothekenvertrag des vorherigen Besitzers geraten. "Derzeit sind wir noch dabei, die Ursache dieser Angelegenheit zu identifizieren", heißt es im Entschuldigungsschreiben der Bank. Dann hörte Nyerges nichts mehr von ihr.

Auch dann nicht, als er die Erstattung seiner Unkosten verlangte. Anwaltsgebühren, Benzinrechnungen, Telefongebühren - Warren Nyerges wollte nur zurückhaben, was er ausgegeben hatte. Er hätte wohl auch ein hohes Schmerzensgeld verlangen können, in den Vereinigten Staaten hätte er durchaus Aussicht auf Erfolg gehabt. Im Herbst 2010 schließlich gab ein Gericht Warren Nyerges abermals recht. 2500 Dollar, so die Entscheidung, müsse die Bank an ihn zahlen. Abermals geschah nichts.

Also drehte der Rentner den Spieß um und wurde zum Helden vieler, die in der Finanzkrise ihr Eigenheim verloren haben. Vor Gericht besorgte er sich einen Vollstreckungsbescheid und tauchte, zwei Polizeibeamte, einen großen Möbelwagen und seinen Anwalt im Schlepptau, vor der örtlichen Filiale der Bank of America auf. Nyerges hatte zuvor die lokalen Fernsehstationen informiert, auf Youtube ist das Video seither ein steter Quell an Schadenfreude.

Der aufgebrachte Filialleiter musste im Beisein der Polizisten hektisch mit der Zentrale telefonieren. "Der Mann war sichtbar erschüttert", sagte Nyerges' Anwalt Todd Allen später in die Kamera. "Ich war kurz davor, seinen Stuhl und seinen Schreibtisch zu pfänden." Keine Stunde später konnte Nyerges die Bankfiliale, in der er so oft von sturen Mitarbeitern zurückgewiesen worden war, mit einem Scheck verlassen.

Inzwischen häufen sich die Hinweise, dass Nyerges kein Einzelfall ist - und die Verwechslung möglicherweise kein Zufall. Immer mehr Betroffene melden sich und behaupten, auch ihnen sei die Zwangsräumung von Häusern angedroht worden, die sich vollständig in ihrem Besitz befinden. Betrügerische Anwaltsfirmen sollen Hausbesitzern hohe Gebühren abgeknöpft haben.

Möglicherweise haben rechtmäßige Besitzer tatsächlich schon ihre Häuser verloren. Denn wer dem Vollstreckungsbescheid nicht innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht, erkennt dessen Rechtmäßigkeit an. Die Staatsanwaltschaft von Florida ermittelt inzwischen in mehreren Fällen, unter anderem auch gegen die Anwaltsfirma, die den Fall Nyerges für die Bank of America bearbeitet hatte.

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