Kulturimmobilien:"Die gammeln vor sich hin"

Kulturimmobilien: Rauchtest im Augsburger Stadttheater. Das Gebäude wurde im vergangenen Jahr geschlossen und soll nun generalsaniert werden.

Rauchtest im Augsburger Stadttheater. Das Gebäude wurde im vergangenen Jahr geschlossen und soll nun generalsaniert werden.

(Foto: Stadt Augsburg)

Viele Theater und Museen in Deutschland werden seit Jahrzehnten vernachlässigt. Das rächt sich jetzt. Dabei geht es auch anders.

Von Joachim Göres

In Augsburg wurde im vergangenen Jahr das Große Theater mit seinen 900 Plätzen von heute auf morgen geschlossen. Bei Voruntersuchungen für eine geplante Sanierung stellte sich heraus, dass eklatant gegen Brandschutzbestimmungen verstoßen wurde. Zur sofortigen Schließung von Schauspielhäusern oder Museen könnte es künftig häufiger kommen, denn es gibt einen akuten Sanierungsstau von mehreren Milliarden Euro. "Es gibt viele Schrottkulturimmobilien", sagt Tobias Knoblich, Vizepräsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, vor Kurzem auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum zum Thema Kulturimmobilien. "In den letzten Jahrzehnten haben viele Kommunen kaum Geld für die Instandsetzung ihrer oft alten Kulturgebäude ausgegeben. Das rächt sich jetzt", sagt Thomas Weitzel, Kulturreferent in Augsburg.

Dort muss man sich bis voraussichtlich 2023 mit einer provisorischen Spielstätte an einem anderen Ort behelfen. Durch die Sanierung sollen neben einem besseren Brandschutz statische Probleme behoben und durch Aufzüge bis in den dritten Rang soll für Barrierefreiheit gesorgt werden. Heizung, Lüftung, Bühnentechnik - alles muss modernisiert werden. "Bisher hatten wir eine Dampfheizung von 1938, die nur an oder aus ging, meistens war es zu warm. Wir waren die Energieschleuder der Stadt", sagt Weitzel. 186 Millionen Euro sollen Sanierung und der teilweise Neubau für Oper und Theater kosten. Den größten Teil davon übernimmt das Land Bayern.

Braucht es heute überhaupt noch solche architektonisch hervorstechenden Einzelgebäude?

"In NRW werden Kommunen mit solchen Aufgaben alleinegelassen. Für überregional bedeutende Kulturstätten muss es eine Bundes- oder Landesförderung geben", fordert Simone Raskob, Baudezernentin in Essen. 2010 war Essen europäische Kulturhauptstadt, vorher hat die Stadt fünf Museen unter anderem aus Brandschutzgründen umgebaut. Anders als bei der Elbphilharmonie oder anderen kulturellen Prestigeobjekten wurde dabei der Zeit- und Kostenplan eingehalten. "Die Anfangsphase ist entscheidend. Man muss diskutieren, was nötig ist und das noch mal von einem unabhängigen Experten überprüfen lassen. Wir haben danach zum Beispiel beim Museum Folkwang einige Wünsche gestrichen, ohne dass dadurch das Ergebnis schlechter geworden ist", sagt Raskob.

Sie betont, dass die Baukosten im Lebenszyklus eines Kulturgebäudes circa 20 Prozent der Ausgaben ausmachen - der Großteil entfällt auf den Betrieb und die Instandhaltung. "Diese Kosten muss man schon bei der Planung mitdenken, sonst fressen sie einen auf. Wir haben durch die Sanierung jetzt eine bessere Dämmung in Kombination mit einer modernen Lüftungsanlage, sparen Geld für Sicherheitspersonal durch digitale Überwachung und zahlen weniger für Versicherungspolicen, weil die Bilder jetzt im Museum und nicht wie vorher auf der Straße ausgeladen werden", sagt Raskob. Essen gibt jährlich für den Betrieb und die Unterhaltung seiner Kulturgebäude 20 Millionen Euro aus, für das künstlerische Programm stehen 44 Millionen Euro bereit.

In Loccum wird über die Frage debattiert, ob die Funktion oder die Ästhetik bei Kulturimmobilien wichtiger sei - für Raskob ist das allerdings gar kein Gegensatz: "Wir wollten uns ins Stadtviertel integrieren und keinen Bilbao-Effekt durch ein spektakuläres Gebäude schaffen, das mit der Umgebung nichts zu tun hat. Beim neuen Anbau des Museums Folkwang haben wir uns durch große Glasfronten zum Viertel hin geöffnet. So fällt im Gegensatz zum Vorgängerbau viel mehr Tageslicht ins Museum."

In Berlin ist der Wiederaufbau des Schlosses lange Zeit sehr umstritten gewesen. Ein höchst repräsentatives Gebäude an historischer Stätte, in dem künftig verschiedene Museen ihren Sitz finden werden. So zieht das Ethnologische Museum aus dem etwas abgelegenen Stadtteil Dahlem ins Zentrum - das Museumsdepot bleibt aber in Dahlem. "Das bedeutet natürlich viele Transporte quer durch die Stadt, die Zeit und Geld kosten", räumt Bettina Probst ein, stellvertretende Beauftragte der Gründungsintendanz Humboldt-Forum.

Braucht es heute überhaupt noch Theater und Museen als architektonisch hervorstechende Einzelgebäude? Das Centre Pompidou in Paris gilt als Gegenbeispiel - Kinos, Ausstellungs- und Veranstaltungsräume sind hier unter einem Dach untergebracht. Im Dortmunder U, einem siebenstöckigen ehemaligen Brauereihochhaus, befindet sich nach dem Umbau für 88 Millionen Euro seit 2010 das Museum Ostwall zusammen mit einer Filmwerkstatt, einem Medienkunstverein, einer Mediathek, Hochschulräumen und einem Restaurant mit Dachterrasse. Durch die räumliche Nähe sollten neue Besucher in ein Kunstmuseum gelockt werden - ein Plan, der nicht aufgegangen ist. "Das Dortmunder U ist inzwischen eines der markantesten Gebäude in der Stadt mit sehr vielen Gästen, doch in das Museum gehen immer weniger Menschen. In einem Haus mit ständig wechselnden Angeboten haben es vor allem Dauerausstellungen schwer", sagt Kurt Eichler, Geschäftsführer der Kulturbetriebe Dortmund. Er fügt aber hinzu: "Die anderen städtischen Museen, die alle einen Einzelstandort haben, haben noch mehr Publikum verloren."

Gentrifizierung muss nicht sein: "Man kann die Bodenpreise durch städtische Vorgaben einfrieren."

In Dresden ist vor Kurzem das Kulturkraftwerk Mitte eröffnet worden. Das alte Kraftwerk aus dem 19. Jahrhundert wurde entkernt, hier befinden sich jetzt neu geschaffene Spielstätten für Jugendtheater und Operette sowie ein Energiemuseum, eine Kunsthalle und Probenräume für Musiker. Die einstige Industriebrache und das damit verbundene Quartier sollen durch Kultur aufgewertet werden - eine beliebte Strategie in vielen Städten. Nicht alle freut das, denn Anwohner befürchten dadurch eine verstärkte Nachfrage nach Wohnungen, höhere Mieten und Verdrängung. Gentrifizierung durch Kultur muss aber nicht sein - darauf weist Baudezernentin Raskob hin. "Man kann die Bodenpreise durch städtische Vorgaben einfrieren, um so eine Preisexplosion zu verhindern. Das Städtebaurecht gibt das her. Dieses Mittel muss wieder häufiger eingesetzt werden."

Der Hamburger Architekt Jörg Friedrich hat unter anderem in Würzburg, Gütersloh und Dresden den Um- und Neubau von Theatern geplant. Er kritisiert überzogene Wünsche der Verantwortlichen, Desinteresse von Theaterleitern an konkreten Planungsfragen und mangelnde Kontinuität - jeder Intendant habe andere räumliche Vorstellungen. Sein Fazit in Zeiten niedriger Zinsen: "Die alten Theaterkisten gammeln vor sich hin. Jeder Spieltag, an dem nicht gebaut wird, ist ein verlorener Tag für die Zukunft und kostet nur unnötig öffentliches Geld."

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