Kündigung wegen Eigenbedarfs:Spiel mit verdeckten Karten

  • Seit Jahren zeichnet sich eine Tendenz ab: In der Summe hat der BGH die Möglichkeiten der Eigenbedarfskündigung für Vermieter nach und nach ausgedehnt.
  • Darin steckt ein Fundamentalkonflikt: Nicht nur für den Vermieter, sondern auch für den Mieter geht es um das "Eigene", nämlich um die Wohnung als Lebensmittelpunkt.
  • Der BGH bringt diese schwierige Balance in eine Schieflage.

Kommentar von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wahrscheinlich hatten die Mieter aus Mannheim gerade die letzten Lampen aufgehängt. Einzug im April 2011, Kündigung wegen Eigenbedarfs nach nur zwei Jahren - weil die vom Auslandsjahr zurückgekehrte Tochter des Vermieters die Wohnung benötigte. Der Bundesgerichtshof hat (BGH) diese Kündigung nun für rechtens erklärt. Es ist eine Entscheidung, die Konsequenzen haben wird - sie wird Eigenbedarfskündigungen deutlich erleichtern. Auch solche, die nur vorgeschoben sind.

Bisher forderte die Rechtsprechung dem Vermieter eine - mitunter auf fünf Jahre angelegte - "Bedarfsvorschau" darüber ab, wie er seine Wohnung nutzen möchte. Das sollte den Mieter vor unliebsamen Überraschungen schützen. Das neue Urteil dagegen erlaubt den Vermietern, mit verdeckten Karten zu spielen. Gewiss, der Vermieter muss vor der Unterschrift unter einen unbefristeten Vertrag offenbaren, wenn er einigermaßen konkret vorhat, die Wohnung demnächst selbst zu nutzen. Nur: Was ist schon konkret? Die Wirklichkeit liegt doch meist im Ungefähren. Die Studienwünsche der Tochter, die eigenen Gedanken, den Job zu wechseln, die Heiratsabsichten des Sohnes - der Vermieter kennt alle Umstände, die sich irgendwann zum "Eigenbedarf" verdichten können. Der Mieter weiß davon nichts, er muss davon auch nichts wissen, solange es nicht "konkret" ist - sagt der BGH.

Klar, der Vermieter muss auch Freiheiten haben

Dabei herrscht am Prinzip Eigenbedarf kein Zweifel. Natürlich kann sich ein Eigentümer entschließen, seine Wohnung selbst zu nutzen. In unserer Eigentumsordnung ist das gar nicht anders denkbar. Eine Wohnung ist kein Wertpapier, ihr Nutzen lässt sich nicht auf den bloßen Ertrag reduzieren. Zum Eigentum gehört die Freiheit, damit zu tun, was man möchte - Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis, sagt das Bundesverfassungsgericht. Das Auto ist zum Fahren da, die Wohnung zum Wohnen.

Allerdings hat der Mieter ebenfalls eine starke Position, ein kleines Eigentumsrecht sozusagen, auch das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Denn im Spiel um die Wohnung geht es für ihn ums Ganze. Durch eine Kündigung verliert er nicht nur das Dach über dem Kopf - das findet sich anderswo -, sondern wird im schlimmsten Fall aus dem Viertel vertrieben, in dem er die Kinder eingeschult und sich mit den Nachbarn angefreundet hat. Das ist der Grund, warum in der Eigenbedarfskündigung ein Fundamentalkonflikt steckt: Nicht nur für den Vermieter, sondern auch für den Mieter geht es um das "Eigene", nämlich um das, was er sich angeeignet hat - die Wohnung als Lebensmittelpunkt.

Der BGH bringt diese schwierige Balance in eine Schieflage. Dabei folgt der achte BGH-Zivilsenat in vielen Fragen einer ausgesprochen mieterfreundlichen Linie. Renovierungsklauseln, mit denen Vermieter die Last der Instandsetzung auf die Mieter abwälzen wollten, wurden reihenweise für unwirksam erklärt. Weil der Vermieter hier in der stärkeren Position ist, hat der BGH ihm Grenzen gesetzt.

Man kann nur auf die Mietpreisbremse hoffen

Beim Eigenbedarf dagegen zeichnet sich seit Jahren eine andere Entwicklung ab. Die einzelnen Urteile sind manchmal bedenklich, mitunter auch nachvollziehbar. Doch in der Summe hat der BGH die Möglichkeiten der Eigenbedarfskündigung nach und nach ausgedehnt. Die Tochter benötigt eine größere Wohnung, weil der Lebensgefährte einziehen soll? Eigenbedarf, sagt der BGH - ob der junge Mann wirklich existiert, kann der Mieter nicht nachprüfen. Kündigung nach nur drei Jahren, obwohl beim Einzug versichert wurde, Eigenbedarf komme nicht in Betracht? Kündigung erlaubt, weil nun der Enkel die Wohnung braucht. Auch der Chefarzt, der seine Berliner Zweitwohnung für gelegentliche Besuche bei der Tochter braucht, hat Eigenbedarf. Gleiches gilt für Neffen und Nichten; der BGH rechnet sie seit 2010 ebenfalls zu den berechtigten "Familienangehörigen".

In Zeiten stark steigender Mieten in den Ballungsräumen benötigt man nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was die weniger redlichen Charaktere unter den Vermietern - die es gibt - mit dieser Karlsruher Einladung zur Eigenbedarfskündigung anfangen können. Mancher wird sie dankend annehmen, um aus alten Verträgen auszusteigen. Man kann nur darauf hoffen, dass die Mietpreisbremse vorgeschobene Kündigungen ökonomisch unattraktiv macht. Und darauf, dass der BGH seine Rechtsprechung überdenkt. Denn damit verschärft er das Machtgefälle im ohnehin schwer auszutarierenden Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter. Eigentum verpflichtet. Auch dazu, einen Mieter nicht ohne einen wirklich guten Grund vor die Tür zu setzen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: