Komplexe Finanzprodukte:Wie die Zertifikate-Branche um Vertrauen kämpft

Suche Vertrauen, biete Transparenz: Mit der Lehman-Pleite verloren Anleger ihren Glauben in Zertifikate, der Markt schien tot. Nun jedoch wagt sie sich die 100 Milliarden Euro schwere Branche wieder aus der Deckung und legt ihre Margen offen. Verbraucherschützer sind skeptisch.

Von Markus Zydra, Frankfurt

In Deutschland gilt es immer noch als verpönt, die Werbetrommel für Zertifikate zu schlagen. Die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 hat der Branche nachhaltig geschadet. Damals merkten Sparer, dass eine Bankpleite zum Totalverlust der Zertifikate führt, die dieses Institut begeben hat. In unzähligen Talkshows klagten Anleger danach ihr Leid, es gab Gerichtsprozesse - der Markt für Zertifikate, so dachten damals nicht wenige, war tot.

Nun, fünf Jahre nach dem großen Reputationsverlust, wagt sich die 100 Milliarden Euro schwere Branche wieder aus der Deckung. Sie traut sich was und will neues Vertrauen gewinnen und zwar durch Transparenz. Die Branche legt offen, wie viel sie mit den Produkten verdient: Die Marge beträgt zum Zeitpunkt der Emission im Durchschnitt 0,99 Prozent jährlich, so die Berechnungen der European Derivatives Group.

"Mit dieser sehr hohen Kostentransparenz der Zertifikate haben wir die Messlatte auch für die Anbieter anderer Finanzprodukte sehr hoch gelegt", sagt Christian Vollmuth, Geschäftsführer des Deutschen Derivate Verbands (DDV). "Der Ruf der Zertifikate-Branche in Deutschland hat unter Lehman gelitten, nun möchten wir zeigen, dass strukturierte Wertpapiere gerade auch für breitere Anlegerschichten eine gute Alternative sind."

Zudem möchte Vollmuth das "Vorurteil widerlegen, dass Teile der Produktpalette nur deshalb so komplex seien, um so die hohen Gewinnmargen zu verschleiern". Ob das gelingt? Verbraucherschützer sind skeptisch. "Grundsätzlich begrüße ich die Initiative. Die durchschnittliche Jahresmarge von 0,99 Prozent zeigt dabei deutlich, dass es sich um sehr teure Produkte handelt", sagt die Verbraucherschützerin Dorothea Mohn, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Bundesverband.

Zum Vergleich: Bei Aktienfonds liegt die Profitmarge für die Fondsgesellschaften im Schnitt bei etwa 0,2 Prozent, so Branchenschätzungen. Offiziell gibt es dazu keine Informationen. Allerdings gibt es auch bestimmte Zertifikate, etwa Discountpapiere, die ähnlich günstig sind.

"Es handelt sich um Expertentransparenz"

Doch die Kosten spielen vielleicht gar nicht die entscheidende Rolle. "Ich bin skeptisch, dass es Verbrauchern hier einfach gelingt, einen Kostenvergleich zu anderen Anlageprodukten wie beispielsweise Investmentfonds herzustellen", sagt Mohn. "Es handelt sich um eine Expertentransparenz, ich glaube nicht, dass Verbraucher das alles nachvollziehen können", sagt Mohn, die Zertifikaten generell skeptisch gegenübersteht, weil diese Produkte kaum für den langfristigen Vermögensaufbau und ausschließlich für erfahrene Anleger mit profundem Marktwissen geeignet sein könnten.

Zertifikate sind Schuldverschreibungen, durch die der Anleger der emittierenden Bank faktisch Geld leiht. Der Reiz dieser Produkte: Sie lassen sich so strukturieren, dass man praktisch auf jedwede Preisentwicklung von Wertpapieren wetten kann. Hier lauert auch die Gefahr der Zertifikate: Ihr Einsatz setzt fundierte Finanzmarktkenntnisse des Anlegers voraus.

Die deutsche Derivate-Branche gibt sich in diesem Jahr sehr quirlig. Im Spätsommer einigte sich der DDV mit seinen Mitgliedern auf einen Fairnesskodex. Der sieht unter anderem vor, dass die Emittenten künftig bei Anlageprodukten mit vollständigem Kapitalschutz, die eine Mindest- und eine Höchstverzinsung aufweisen, die jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten im entsprechenden Produktinformationsblatt angeben. So soll der Anleger wissen, wie hoch seine Chancen sind.

"Es handelt sich um einen beachtlichen Schritt zur Verbesserung der Transparenz, auch wenn noch Raum für eine Weiterentwicklung bleibt", sagt Karl-Burkhard Caspari, Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht bei der Finanzaufsichtsbehörde Bafin.

Die Angabe der Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Maximalauszahlung bei kapitalgeschützten Zertifikaten sei sicher hilfreich für Anleger, um die Chancen für diesen Idealfall einschätzen zu können. "Für die Orientierung des Anlegers mindestens genauso sinnvoll wäre es allerdings, auch die Wahrscheinlichkeiten anzugeben, mit welcher der Mittelwert zischen Mindestrendite und maximal möglicher Verzinsung erzielt wird", so Caspari.

Man merkt schon: Die Welt der Zertifikate bleibt kompliziert, auch wenn der Fairnesscode vorsieht, dass die Branche künftig keine Produktmerkmale mehr in den Vordergrund stellt, die nur unter unwahrscheinlichen Umständen eintreten. Auch sollen die Produkte klar und unmissverständlich bezeichnet werden. Der Praxistest dieser Versprechungen steht freilich noch aus.

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